„Apotheken waren außerordentlich anpassungsfähig und flexibel“

Apotheker Krone: Wie hat sich der öffentliche Apothekenmarkt 2021 entwickelt?
Mag. Stefan Baumgartner: Während die Entwicklung im ersten Quartal 2021 im rezeptfreien Bereich noch schwach war, hat mit dem zweiten Quartal eine Erholung eingesetzt. Auch die Husten- und Erkältungskategorie, die sich lange im Sinkflug befand, hat seit dem Sommer wieder Aufwind bekommen und befindet sich aktuell über Vorkrisenniveau. Die größten Zuwachsraten können Atemschutzmasken und COVID-19-Tests aus dem Patient-Care-Bereich verzeichnen. Im erstattungsfähigen Bereich sind Präparate für die Indikationen Amyloidose, atopische Dermatitis, Mukoviszidose und für Indikationen der Onkologie die großen wertmäßigen Wachstumstreiber. Der patentgeschützte Bereich konnte in Summe betrachtet zulegen. Wachstumsdämpfend hat das Preisband 2021 mit einem Umsatzrückgang von 15,7 Mio. Euro FAP gewirkt*. Das Jahr hat sich als patentablaufschwaches Jahr dargestellt. Damit zeichnet sich 2021 im erstattungsfähigen Markt trotz rückläufiger Mengen als umsatzseitig stark wachsendes Jahr ab.

Nach fast 2 Jahren Pandemie mit großen Unsicherheiten, Lockdowns, Öffnungen und erneutem Lockdown – welches Fazit lässt sich aus dieser Zeit ziehen? Gibt es signifikante Auswirkungen, und hat diese Zeit Spuren hinterlassen?
Die großen Hamsterkäufe vor dem ersten Lockdown im März 2020 fanden danach nicht mehr statt. Die folgenden Lockdowns, Hygienemaßnahmen und Reisebeschränkungen bescherten einigen Kategorien wie dem Husten- und Erkältungsmarkt sowie dem Insekten- und Sonnenschutz sogar ein stark negatives Wachstum. Andere Segmente wie das der Immunstimulanzien, der Vitamine, der Beruhigungs- und Schlafmittel sowie der Desinfektion erlebten dafür phasenweise regelrechte Booms. Außerdem entstanden neue Märkte wie jener der Atemschutzmasken und COVID-19-Tests, und es entwickelte sich ein regelrechter Hype um spezielle Substanzen wie Paracetamol oder Ivermectin.

Wie haben sich die heimischen Apotheken in dieser Zeit geschlagen?
Österreichs Apotheken haben außerordentlich hohe Anpassungsfähigkeit und Flexibilität bewiesen und zählen in Krisenzeiten zu den verlässlichsten Partnern im Gesundheitssystem.

Der Versandhandelsanteil steigt, das Apotheken-Randsortiment verlagert sich in den Mass-Market. Muss sich die öffentliche Apotheke Sorgen um ihre Umsätze machen?
Der Pandemieeffekt wird deutlich sichtbar, wenn man die Zahlen von 2019 und 2020 vergleicht. Lag der Versandhandelsanteil 2019 im rezeptfreien Gesundheitsbereich bei 11,2 Prozent, so stieg dieser 2020 auf 15,6 Prozent an, wie eine Studie der IGEPHA, die wir als Auftragsdatenverarbeiter durchführen durften, zeigt. Bekannte Marken aus dem Apothekenbereich werden häufig im Versandhandel bestellt, während beispielsweise im Bereich der Augen- und Ohrenpräparate stark auf die Beratungskompetenz der Apothekerinnen und Apotheker zurückgegriffen wird. Eine gut organisierte Apotheke, die sich an Veränderungen anzupassen weiß, ihre Stärken einzusetzen vermag und Mut zur Digitalisierung zeigt, hat derzeit noch keinen Anlass zur Sorge und wird gestärkt aus der Krise hervorgehen.

In welchen Produktkategorien lässt sich wirtschaftlich punkten?
Derzeit lässt sich in den Top-Wachstumsmärkten punkten. Hierzu zählen topische Rheumamittel, Beruhigungs- und Schlafmittel, Vitamine – hier vorrangig Vitamin D – sowie künstliche Tränenmittel für trockene Augen.

Eine RELATUS-Umfrage** vom November zeigt, dass rund 50 Prozent die Digitalisierung als Chance begreifen, dass aber 15 Prozent darin ein Risiko sehen. Wie weit ist die digitale Apotheke Ihrer Einschätzung nach?
Die Coronakrise hat die Digitalisierung der Apotheken sicherlich vorangetrieben. Viele nutzen die Chance, in die Digitalisierung ihrer Apotheke zu investieren und dadurch wertvolle Zeit zu sparen, die dann wiederum für Beratung und Verkauf genutzt werden kann. Einige Apotheken bieten online Präparate an, die in der Filiale abgeholt oder nach Hause geliefert werden können, und damit gehen sie auf die sich verändernden Bedürfnisse in der Bevölkerung ein. Auch die zahlreichen in Apotheken durchgeführten COVID-19-Testungen können nur digital funktionieren. Apotheken haben auch vermehrt auf unser online zur Verfügung gestelltes Feedback-Tool PIPOS zurückgegriffen, um ihre Umsatz- und Absatzentwicklung in bestimmten Kategorien mit Trends in der eigenen Region zu vergleichen.

Das Interview führte Mag. Martin Schiller

* Basis MAT 09/2021
** https://www.medmedia.at/relatus-pharm/umfrage-zeigt-so-sehen-apotheker-die-digitalisierung/