Hausapotheken: Bessere Versorgung oder mehr Wettbewerb?

Der mit Spannung erwartete Bericht der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB), in dem für die Herausforderungen der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum „Lösungsansätze aus wettbewerblicher Sicht“ aufgezeigt werden und eine Angleichung der Zulassungsvoraussetzungen für Hausapotheken und öffentliche Apotheken empfohlen wird, polarisiert weiter.
Das Problem der Ausdünnung der Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum ist evident. Die Lösungsansätze sehen für die Vertreter der beiden akademischen Gesundheitsberufe jedoch unterschiedlich aus: Die Österreichische Ärztekammer sieht in einer möglichen Liberalisierung der Hausapothekenregelung eine Chance für eine bessere flächendeckende Versorgung der ländlichen Bevölkerung und fühlt sich durch den aktuellen Bericht der Bundeswettbewerbsbehörde in ihrer Argumentation hinsichtlich eines Ausbaus von ärztlichen Hausapotheken und der Streichung der Mindestentfernungen bei der Bewilligung von Hausapotheken in Gemeinden ohne öffentliche Apotheke bestätigt.

Apothekensterben und Gefahr für funktionierendes System

Anders sehen das die Vertreter der Apothekerkammer, des Apothekerverbandes und des Verbandes Angestellter Apotheker, die sich in einer Pressekonferenz an die Öffentlichkeit wandten. Sie warnen vor einem „großflächigen Apothekensterben“ als Folge der Liberalisierung: 600 der derzeit 1.372 öffentlichen Apotheken wären akut von einer Schließung bedroht, wie Mag. pharm. Dr. Gerhard Kobinger, Präsidiumsmitglied der Österreichischen Apothekerkammer, erläutert.

Mag. pharm. Jürgen Rehak, Präsident des Österreichischen Apothekerverbandes, warnt vor einer Verschlechterung der Gesundheitsversorgung: „Die BWB fordert in ihrer aktuellen Publikation die Ausweitung ärztlicher Notabgabestellen für Medikamente (so genannte Hausapotheken) und bringt damit ein funktionierendes System in Gefahr. Denn Wettbewerb im Gesundheitswesen führt zu einer Verschlechterung der Versorgung.“

Insgesamt zeichnen die Vertreter der Apothekerschaft eine eher pessimistische Prognose. Schleichend habe sich die wirtschaftliche Lage der Apotheker verschlechtert. So sei der Verbraucherpreisindex zwischen 2004 und 2018 um 30 Prozent gestiegen, die Krankenkassenvergütung der Apotheken im selben Zeitraum hinke jedoch um 10 Prozentpunkte hinterher. Real würde das einen Verlust von knapp 15.000 Euro für eine durchschnittliche Apotheke pro Jahr bedeuten. Die Situation würde durch eine Liberalisierung der Hausapotheken weiter verschärft. Mit der befürchteten Verdrängung von bis zu 600 ländlichen Apotheken sei auch ein Verlust von mehr als 6.000 Arbeitsplätzen und 400 Lehrstellen verbunden, wie Kobinger im Rahmen der Pressekonferenz ergänzt: Gleichzeitig würde die Zahl der ärztlichen Hausapotheken steigen.

Ärztekammer reagierte scharf

Anders sieht es die Ärztekammer, die umgehend auf die Aussendungen der Apothekerkammer konterte und den Apothekern primär finanzielle Eigeninteressen attestierte, die sich eben nicht am Versorgungsbedarf orientierten. „Hier geht es einer Standesvertretung offensichtlich nicht um die bestmögliche Patientenversorgung, sondern primär um finanzielle Eigeninteressen“, wird Dr. Johannes Steinhart, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, in der Aussendung zitiert. In den letzten 10 Jahren seien 155 öffentliche Apotheken neu eröffnet worden, während in den letzten zwei Jahrzehnten mehr als 100 ärztliche Hausapotheken verloren gegangen seien. Da sich öffentliche Apotheken vorzugsweise in vergleichsweise dicht besiedelten und deshalb potenziell profitablen Standorten niederließen, gehe diese Entwicklung voll auf Kosten der ländlichen Bevölkerung – und dort ganz besonders der älteren und kranken Menschen, so die Österreichische Ärztekammer.

Worum geht es wirklich?

Für besonderes Unverständnis sorgt bei Apothekern der Verweis der Ärztekammer auf die „restriktive Öffnungszeitenregelung“ von öffentlichen Apotheken, wonach niedergelassene Allgemeinmediziner in der Regel über flexiblere Öffnungszeiten verfügten als öffentliche Apotheken. Tatsächlich stehen den durchschnittlich 20 Stunden Öffnungszeit einer Hausarztordination 50 bis 60 Stunden gegenüber, die eine öffentliche Apotheke pro Woche geöffnet hat, dazu kommen Nacht- und Wochenenddienste.

Patientensicherheit und Vier-Augen-Prinzip

Seitens der Apotheker warnt man davor, ein funktionierendes System in Gefahr zu bringen. Mag. pharm. Raimund Podroschko, Vizepräsident der Österreichischen Apothekerkammer und Präsident des Verbandes Angestellter Apotheker, verweist auf die Patientensicherheit, die auch durch das bewährte Vier-Augen-Prinzip gewährleistet sei: „Die bewährte Zusammenarbeit zwischen Apotheker- und Ärzteschaft bei der Versorgung der Bevölkerung baut auf dem Vier-Augen-Prinzip auf: Ärztin und Arzt verschreiben das Medikament, Apothekerin und Apotheker geben es ab, stellen sicher, dass keine Fehler passieren, und beraten die Patienten. Damit ist die höchstmögliche Patientensicherheit gewährleistet. Diese Sicherheit setzt die Bundeswettbewerbsbehörde aufs Spiel, wenn sie diese beiden Berufsgruppen in eine Konkurrenzsituation drängt und damit gegeneinander ausspielt.“

Zum Argument des Vier-Augen-Prinzips kommen Versorgungsargumente: Öffentliche Apotheken hätten ungefähr 6.000 verschiedene Arzneimittel lagernd, ärztliche Notabgabestellen nur etwa 200. Podroschko verweist auch auf Substitutionspatienten, auf die in der öffentlichen Diskussion oft vergessen werde, sowie auf die magistralen Zubereitungen – all diese Dienstleistungen würden in Gegenden, in denen die Arzneimittelversorgung ausschließlich über ärztliche Hausapotheken erfolgt, wegfallen. Darüber hinaus gewährleisten Apotheken auch die Möglichkeit einer pharmazeutischen Beratung und eines niederschwelligen Zugangs bei leichteren gesundheitlichen Beschwerden.

Unverantwortlicher Zwist

Jürgen Rehak verwies im Interview mit der Apotheker Krone darauf, dass die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern eine wesentliche Säule der Gesundheitsversorgung darstelle: „Für Hickhack zwischen Berufsgruppen ist hier kein Platz – wer das schürt, handelt unverantwortlich.“
Kein Verständnis dafür hat auch Mag. pharm. Alice Wittig-Pascher. Sie ist Apothekerin in Heidenreichstein im nördlichen Waldviertel und berichtet von zahlreichen Fällen aus ihrem Arbeitsalltag, bei denen sich die Versorgung eben nicht in den Tageskernzeiten abspielt: von der Mutter des fiebernden Kindes, die um halb neun am Abend anläutet, von Patienten, die unmittelbar vor dem Wochenende aus dem Spital entlassen werden, aber keine Medikamente mitbekommen, von Patienten von hausapothekenführenden Ärzten, die gerade auf Urlaub sind. „Und all das tun wir in großartiger Zusammenarbeit mit unseren Ärzten.“

 

Statements

Das Problem ist vielschichtiger
Gerhard Kobinger:
„Tausche Ärzte- gegen Apothekermangel. Das kann nicht die Lösung für die Gesundheitsversorgung am Land sein. Das Problem ist weit vielschichtiger.“

Themen- und Aufgabenverfehlung der BWB
Raimund Podroschko:
„Aufgabe der BWB ist die Untersuchung und Bekämpfung von Wettbewerbsverzerrungen oder -beschränkungen, also der Schutz und die Gewährleistung eines marktliberalen Wettbewerbs dort, wo er angebracht ist. Sich nun als Befürworter der freien Marktwirtschaft auf diese Art und Weise in unser Gesundheitssystem einzumischen, ist eine Themen- und Aufgabenverfehlung. Offensichtlich möchte die BWB erreichen, dass zwei Gesundheitsberufe, die für ihre PatientInnen eng zusammenarbeiten sollen, wirtschaftlich gegeneinander antreten. Die Folge wäre ein veritabler gesundheitspolitischer Scherbenhaufen.“

Hickhack zu schüren ist unverantwortlich
Jürgen Rehak:
„Wenn eine Hausarztordination am Land nur dann finanziell interessant ist, wenn ihr die Abgabe von Medikamenten zugestanden wird, dann braucht es auch für die Ärzte andere Vergütungsmodelle. Apotheker- und Ärzteschaft gegeneinander aufzubringen hat keinen Sinn – ihre Zusammenarbeit ist eine wesentliche Säule der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Für Hickhack zwischen Berufsgruppen ist hier kein Platz – wer das schürt, handelt unverantwortlich.“