„Großteil der Internettabletten ist gefälscht“

Apotheker Krone: Sie leiten das Referat Doping und Arzneimittel im Bundeskriminalamt, sind also Österreichs oberster Pharmapolizist, wenn man so will. Wie sieht ihr Aufgabengebiet aus?

Franz Schwarzenbacher: Das ist unterschiedlich. Wir wurden 2008 mit dem neuen Dopinggesetz als Sonderkommission eingerichtet. Der Bereich hat sich rasch ausgeweitet, und so wurde 2010 ein eigenes Referat mit fünf Leuten geschaffen. Für den jüngsten Fall, als wir mit internationalen Kollegen ein Fälschernetz ausgehoben haben, wurde dafür eine eigene Soko mit sieben Leuten gegründet. Da gerade im illegalen Arzneimittelhandel selten jemand wen anzeigt, müssen wir selbst aktiv werden. Wir arbeiten eng mit der Dopingagentur NADA, der AGES, dem Zoll und Stakeholdern, wie der Apothekerkammer, zusammen.

Das heißt, das Thema Arzneimittelfälschungen ist groß? Von welcher Dimension reden wir da?

Schwarzenbacher: Wir sehen gerade einmal die Spitze des Eisberges. Die jüngste Aktion, als wir im September einen international agierenden Ring ausgehoben haben, hat das sehr gut gezeigt. Durch diese Ermittlungen haben wir viel über die Arbeitsmethodik der Fälscher erfahren. Im Internethandel mit gefälschten Medikamenten geht es um enorm viel Geld – da ist der klassische Drogenhandel – gemessen an der Gewinnspanne – längst zweitrangig. Nur als Beispiel: bei Heroin kann man mit einem Investment von 1.000 Dollar durch Strecken und den Straßenverkauf maximal 40.000 Dollar verdienen. Bei Internetmedikamenten reden wir vom zehnfachen.

Wie groß war das Fälschernetz, das sie jetzt ausgehoben haben, und wie haben die Fälscher agiert?

Schwarzenbacher: Wir haben da 400 Websites stillgelegt, die weltweit in Österreich aktiv waren. In einer international abgestimmten Aktion wurden bei 16 Hausdurchsuchungen 30 bis 35 verdächtige Personen aufgegriffen – neun davon in Österreich. Wir haben dabei auch etwa 1,6 Millionen Tabletten sichergestellt. Zwischenzeitlich haben Verdächtige gestanden, in den vergangenen zwei Jahren allein in Österreich rund 12 Millionen Euro mit Fälschungen umgesetzt zu haben. Wir reden hier von organisierter Kriminalität und einem Netz von sicher rund 100 Personen. Da werden Websites betrieben – in einem Fall sogar mit Verlinkung zur AGES – mit Callcentern und einer österreichischen Telefonnummer. Als Anrufer wird man ins Ausland weitergeleitet, und von jemandem betreut, der gut Deutsch spricht, betreut. Auch die Konten sind bei heimischen Banken – das Geld wird dann laufend abgeschöpft und weitergeleitet. Die Kunden bekommen immer das Gefühl vermittelt, dass sie in Österreich sind und auch der Anbieter hier sitzt. Sie werden sogar wiederholt angerufen und zu neuen Bestellungen verleitet und beraten. Die Sendungen wurden vorwiegend in Österreich aufgegeben mit Absenderadressen von tatsächlich bestehenden Apotheken.

Wie kommt man so einem Netz auf die Spur – die Kunden werden das ja wohl kaum anzeigen?

Schwarzenbacher: Das stimmt. Wir reden hier von Produkten, die gerne anonym gekauft werden: Lifestyleprodukte, Potenzmittel, Schlankheitsmittel. Die Täter setzen die Preise bewusst hoch an – zum Teil höher als in den Apotheken. Die Kunden denken dann oft, dass das nicht gefälscht sein kann, weil es sonst ja billiger wäre. Geholfen hat uns hier ein Zufall – durch eine Tarifänderung bei der Post waren die Briefe mit den Bestellungen oft unterfrankiert und gingen an die fingierten Absender, eben echte Apotheken, zurück. Die haben uns dann eingeschaltet. Wir haben viele Pakete abgefangen und die Täter so zu Fehlern gezwungen. Diese hatten dann wiederum viele Kundenbeschwerden, weil die Sendungen nicht ankamen.

Wie muss man sich solche Sendungen vorstellen?

Schwarzenbacher: Das sind oft einfach abgeschnittene Blisterstreifen, ohne Beipackzettel in einem gepolsterten Brief. Die Gefahr ist, dass das Produkte sind, die unter unhygienischen Bedingungen hergestellt werden, teilweise mit komplett anderen Wirkstoffen. Teilweise ist der Wirkstoff völlig überdosiert, teilweise enthalten die Produkte gar keinen Wirkstoff. Das gesundheitliche Risiko für die Käufer ist enorm.

Im kommenden Jahr wird der Internethandel mit Medikamenten auch innerhalb Österreichs erlaubt. Wie sicher ist der Bereich?

Schwarzenbacher: Es wird ja nur der rezeptfreie Bereich erlaubt. Bei Internetbestellungen von rezeptpflichtigen Produkten kann man davon ausgehen, dass ein großer Prozentsatz Fälschungen sind. Ich selbst würde aufgrund der Erkenntnisse gar keine Medikamente im Internet kaufen. Man sollte auch klarstellen, dass Kunden, die Arzneien von außerhalb der EU kaufen, sich nach dem Arzneiwareneinfuhrgesetz strafbar machen.

Heuer wurden auch gefälschte Medikamente entdeckt, die in die legale Lieferkette eingeschleust wurden. Wie ist das möglich?

Schwarzenbacher: Das haben auch die Apotheken nicht bemerkt. Hier ging es vor allem um Krebsmedikamente für Spitäler, die über Jahre in Italien gestohlen worden sind. Sie wurden umgepackt, teilweise gestreckt und wieder neu ausgeliefert. Die Gefahr war auch groß, dass sie nicht korrekt gelagert wurden.

Welche Fälle können Sie noch schildern, die Sie aufklären konnten?

Schwarzenbacher: Vor ein paar Jahren haben wir einen Apotheker inhaftiert, der mit Fälschungen gehandelt hat. Er hat die Rohsubstanz an einen Handwerker geliefert, der hat dann in seiner Werkstatt Produkte daraus hergestellt hat. Diese hat der Apotheker dann in seiner Apotheke verkauft hat. Das waren in großen Mengen Schlankheitspräparate. Er ging über die Soko Doping ins Netz, weil er auch Dopingmittel verkauft hat.

Stichwort Doping: Wie stellt sich hier das illegale Geschäft dar?

Schwarzenbacher: Hier muss man zwischen Fälschungen und Produkten unterscheiden, die illegal verkauft werden. Allein in Österreich haben wir drei Labore ausgehoben – etwa eine alte Bäckerei, in der Dopingpräparate hergestellt wurden. Beim Doping geht der Großteil der Produkte generell in den Breitensport und dort in den Kraftsportbereich. Wir reden hier von Testosteronprodukten, Wachstumshormonen, EPO und Kortisonpräparaten, die etwa die Bronchien öffnen. Dazu kommt, dass weltweit etwa achtmal mehr Wachstumshormone hergestellt werden, als medizinisch gebraucht werden. In manchen Ländern sind diese ohne Rezept in Apotheken zu kaufen. Aus Drittländern dürfen diese aber nicht legal nach Österreich eingeführt werden.

Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihren Erfahrungen, und wie wird sich das in Zukunft entwickeln?

Schwarzenbacher: Im kommenden Jahr tritt das Medizinproduktegesetz in Kraft, das uns Möglichkeiten geben wird, gegen Fälschungen vorzugehen. Schon jetzt werden hunderttausende Produkte in diesem Bereich gefälscht – von Handschuhen bis zu Zahnarztbohrern. Die Akteure im Gesundheitswesen müssten viel mehr auf Gefahren aufmerksam machen, die mit der Bestellung etwa von rezeptpflichtigen Produkten verbunden sind.