Heftige Diskussionen über Lieferengpässe

Aktuell sollen bis zu 900 Medikamente in Österreich nicht lieferbar sein, berichtet ein Apotheker der Apotheker Krone. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) spricht von mindestens 700. Laut Apotheken sind aktuell rund 15 Top-OTC-Artikel betroffen, etwa 180 Top-Rx-Artikel und etwas mehr als 400 Generika.
Für die Apotheken und den Großhandel ist klar: Der Hauptgrund für die Entwicklungen bei Lieferengpässen liegt in den Preisen. Sie sind derzeit massiv unter Druck und niedrig. Also werde dort produziert, wo es am billigsten ist. Das führt dazu, dass die Produktionskette heute für alles globalisiert ist und damit viel anfälliger. Unumstritten ist, dass Österreich dieser Situation besonders ausgesetzt ist, weil es ein kleiner Markt mit tiefen Preisen ist und dieser bei einem globalen Engpass einfach nicht vorrangig versorgt wird. Eine vom Gesundheitsministerium eingerichtete Taskforce beim BASG, bei der alle Stakeholder eingebunden sind, soll nun Lösungen suchen. Doch schon die Ursachenfindung macht enorme Probleme. Die Debatte schwelt schon seit dem Frühjahr und ein Ausweg ist nicht in Sicht. Vielmehr prägen innerhalb des Gesundheitswesens gegenseitige Schuldvorwürfe das Bild.

Industrie macht Druck

Denn die Pharmaindustrie macht vor ­allem Parallelexporte durch heimische Apotheken und den Großhandel für Lieferengpässe bei Medikamenten verantwortlich. Der neue Präsident des Pharmaverbandes Pharmig, Philipp von Lattorff (Boehringer Ingelheim), sagte in einem Antrittsinterview: „Dass wir produktionsbedingt nicht liefern können, ist nur zu einem kleinen Teil für Probleme verantwortlich. Der größere Teil liegt im Export von Arzneimitteln. Großhändler und Apotheken machen sich ein Körberlgeld. Sie sammeln auf dem österreichischen Markt Arzneimittel ein und verkaufen sie in die EU.“ Die Preisunterschiede könnten pro Packung bei teuren innovativen Medikamenten dreistellige Summen ausmachen.
Mit diesem Argument rennt der Pharmig-Präsident beim Vizepräsidenten der Österreichischen Ärztekammer und Bundeskurienobmann der niedergelassenen Ärzte, MR Dr. Johannes Steinhart, offene Türen ein: Dass sich einige Apotheken mit dem Verkauf von Medikamenten ins Ausland ein „Körberlgeld“ verdienen, findet er „empörend“. Für ihn bedeutet dies, dass ein Teil der Apotheken „offensichtlich statt Versorgungsinteressen ausschließlich finanzielle Ziele verfolgt und dafür sogar eine schlechtere Versorgungslage in Österreich in Kauf nimmt“. Steinhart fordert deshalb mehr ärztliche Hausapotheken.

Kassen fordern Lösungen

Auch Mag. Bernhard Wurzer, Generaldirektor der neuen Österreichischen Gesundheitskasse ÖGK, zu der die neun Gebietskrankenkassen fusioniert werden, nimmt im Hinblick auf Lieferengpässe die Apotheken in die Pflicht. Auch er ist überzeugt, dass Lieferengpässe „unter anderem“ den Grund darin haben, dass in Österreich eingekaufte Medikamente exportiert werden. „Es geht nicht, dass Medikamente, die für den österreichischen Markt bestimmt sind, ins Ausland gebracht werden, wo mehr dafür bezahlt wird. Das ist aus Sicht der Versorgung unzulässig.“ Wurzer betont, dass für die Krankenkasse zentral ist, dass die Lieferbarkeit aller Medikamente sichergestellt ist. Man müsse in die Detailanalyse gehen und sehen, woran die Probleme liegen und wie man sie beheben könne, sagt Wurzer. Im Hinblick auf Exporte seien allerdings die Apotheker aufgefordert, etwas gegen einzelne schwarze Schafe zu unternehmen.

Apotheken kritisieren Industrie

Genau diesen Vorwurf weisen die Apotheken allerdings zurück. Engpässe bei der Versorgung mit Arzneimitteln seien nicht akzeptabel, kritisiert die Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr. Sie sieht die Arzneimittelengpässe als fatale Folge „der scheinbar grenzenlosen globalen Liberalisierung. Die Politik muss der ungeregelten Marktliberalisierung im Gesundheitsbereich aktiv entgegentreten, auf nationaler Ebene ebenso wie EU-weit“. Ähnlich argumentiert der Apothekerverband: „In unserer globalisierten Welt wird der Großteil der Medikamente an wenigen Standorten in China und Indien produziert. Treten dort Produktionsprobleme auf, wirken sie sich weltweit aus – das spüren auch wir in Österreich. Hinzu kommt, dass wir im Arzneimittelsektor ein Niedrigpreisland sind und ein dementsprechend wenig attraktiver Absatzmarkt.“ Der Parallelhandel führe definitiv nicht zu einem Versorgungsproblem, sagt auch der Großhandelsverband PHAGO: „Die Versorgungskette wäre deutlich robuster, wenn der Vollgroßhandel alle Arzneimittel von der Industrie beziehen kann“, betont Generalsekretärin Monika Vögele. Ein weiteres Argument der Apotheker: Die Hersteller würden schon längst Exporte kontrollieren, etwa durch Direct-To-Pharmacy-Belieferungen, durch Kontingente, durch das Verlangen von Rezepten bei Großhandelsbestellungen oder durch andere Maßnahmen. Das räumt auch der Pharmig-Präsident ein, nennt aber eben die Parallelexporte als Grund: Um diese zu vermeiden, hätten eben zahlreiche Pharmakonzerne ihre Produkte aus dem österreichischen Pharma­großhandel genommen. Geliefert wird nur noch über Pharma-Logistik-Unternehmen an die Apotheken.

Information als Ausweg

Offen ist weiterhin die Lösung des Problems. „Wir brauchen ein funktionierendes EU-Netzwerk der Behörden, um den schnellen Zugang zu geprüften, hochwertigen, wirksamen und sicheren Arzneimitteln auch in Zukunft sicherzustellen, denn die Verfügbarkeit von Medikamenten wird ein immer wichtigeres Thema. Bei Lieferengpässen von lebenswichtigen Medikamenten können unter anderem über eine Sonderregelung Kontingente aus anderen Ländern für die Versorgung in Österreich zugekauft werden“, sagt DI Dr. Christa Wirthumer-Hoche, Leiterin Geschäftsfeld Medizinmarktaufsicht, Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit GmbH sowie Vorsitzende des EMA-Managementboards.
Ein ganz entscheidender Aspekt ist für sie aber auch, die Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen innerhalb Europas nachhaltig zu stärken. „Hier sind wir alle gefordert, gemeinsam an einem Strang zu ziehen“, appelliert Wirthumer-Hoche zur Zusammenarbeit.

Preisdruck als Problem

Dr. Clemens Martin Auer, Sonderbeauftragter für Gesundheit im Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz, sah zuletzt bei den Gesundheitsgesprächen in Alpbach auch die öffentliche Hand gefordert: „Von der pharmapolitischen Seite her haben wir es mit zwei Paradoxien zu tun. Wir haben einerseits innovative hochpreisige, für viele nicht mehr leistbare Medikamente zur Verfügung.
Dieses Thema ist politisch heiß. Und anderseits haben wir bei den Generika sehr geringe Arzneimittelpreise. Das hat zur Folge, dass es da keine ökonomischen Anreize für die Industrie gibt, diese herzustellen. Es braucht endlich ein wirklich partnerschaftliches System, in dem das öffentliche Gesundheitssystem zusammen mit der Pharmawirtschaft Modelle gegen Lieferengpässe entwickelt.“