Kassen schicken Spione in die Apotheken

Es war DAS Thema des ohnehin heißen vergangenen Sommers: das Gesetz, dass den Krankenkassen schärfere Kontrollen von Vertragspartnern erlaubt. Die Kassen sollen damit Sozialbetrug eindämmen. Nun hat der Hauptverband eine Richtlinie zur Umsetzung des Mystery Shoppings vorgelegt, und die verspricht erneut eine hitzige Debatte.

Ziel der Regelungen: Sozialbetrug durch nicht gerechtfertigte Krankenstände oder Missbrauch von E-Cards sollen verhindert werden. Aber auch die Verkürzung von Wartezeiten, Abrechnungsbetrug und das ungerechtfertigte Ausstellen von Zuweisungen, Rezepten, Verordnungen und anderem durch Ordinationshilfen sollen geprüft werden. Kontrolliert werden niedergelassene Ärzte, Spitäler, Apotheken, Hausapotheken und alle anderen Vertragspartner der Kassen.

Dazu soll es auch sogenannte Agents Provocateurs geben, denen eine eigene E-Card ausgestellt werden kann, mit der sie mit erfundenen Krankengeschichten Mystery Shopping betreiben können. Doch damit nicht genug: „Vom Ergebnis einer Kontrolle sind die Sozialversicherungsträger desselben Versicherungszweiges, mit denen vergleichbare Leistungen abgerechnet werden, in geeigneter Form zu verständigen“, heißt es in der Richtlinie, die der Apotheker Krone exklusiv vorliegt. Geben soll es auch eine Ökonomiekontrolle, zu der auch die ausgelösten Folgekosten etwa für weitere Untersuchungen, Über- beziehungsweise Zuweisungen sowie die Verwendung der jeweils günstigsten Heilmittel und Heilbehelfe gehören.

In den Apotheken sollen die Prüfer der Frage nachgehen, ob die Arzneimittel wie vom Arzt verschrieben abgegeben werden beziehungsweise ob mit diesem Rücksprache gehalten wird. Und nicht zuletzt, ob die Patienten auch entsprechend beraten werden, wenn ihnen ein Arzneimittel ausgehändigt wird. Apothekerkammer-Präsident Mag. pharm. Max Wellan sieht das dennoch entspannt: „Unsere Juristen haben das geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es kaum Situationen gibt, wo die Prüfung für Apotheker kritisch werden kann.“ Die Beratung in den Apotheken funktioniere gut, und wenn man ein Medikament austausche, wenn ein Arzt nicht erreichbar sei, liege das in der Verantwortung des Apothekers. „Das gilt schon jetzt, und das ist unsere Position.“

Weniger gelassen geben sich Ärztevertreter ob der geplanten Regelung: Dr. Erwin Rasinger, ÖVP-Nationalratsabgeordneter und Allgemeinmediziner, hat die Richtlinien rechtlich prüfen lassen und kritisiert 21 Punkte. In der Kritik heißt es etwa, dass eine Kontrolle der Kontrolleure fehlt, ebenso ein Verbot für Bild- und Tonaufnahmen. Falschangaben gegenüber dem Vertragspartner seien uneingeschränkt zulässig. Zudem fehle eine klare Definition, wann ein begründeter Verdacht vorliege.

Das Fazit der Rechtsprüfung: „Im Vergleich zu den gesetzlichen Voraussetzungen und den Rechtsschutzvorkehrungen im Staatsschutzgesetz, im Sicherheitspolizeigesetz und in der Strafprozessordnung bei der Bekämpfung von Terrorismus, organisierter Kriminalität und schweren Straftaten im Zusammenhang mit verdeckten Ermittlungen, Mitwirkung Dritter, Bild- oder Tonaufnahmen, Scheingeschäft und der Ausstellung unrichtiger Dokumente räumt der Entwurf den Sozialversicherungsträgern völlig außer Verhältnis stehende Befugnisse bei der Vertragspartnerkontrolle ein und verletzt dadurch das Rechtsstaatsprinzip und den Gleichheitsgrundsatz.“ Anders formuliert: Die Kassen dürfen mehr als die Polizei.

„Ärztinnen und Ärzte, die überprüft werden, könnten sich in keiner Form wehren und hätten keinerlei Rechtsschutz“, kritisiert der Vizepräsident der Ärztekammer für Wien, Dr. Johannes Steinhart. „Mit den erstellten Richtlinien wird ein Misstrauensverhältnis zwischen Vertragspartnern der Krankenkassen – Ärzten, Therapeuten, Apothekern und anderen – und den Patienten einzementiert“, sagt die Gesundheitssprecherin der Grünen, Dr. Eva Mückstein. Ihre Kritik: „Scheinpatienten können mit gefälschten Krankengeschichten die Behandler prüfen. Ärzte und Apotheker müssten eigentlich immer mit dem Tonbandgerät in der Praxis sitzen oder an der Tara stehen, um danach beweisen zu können, was gesprochen wurde“, erläutert Mückstein. Der Rechtsschutz für die Gesundheitsdienstleister müsse daher ausgebaut werden. „Es muss den Vertragspartnern möglich sein, gegen unsachliche oder unberechtigte Vorwürfe den Rechtsweg zu beschreiten, schließlich geht es um berufliche Existenzen“, fordert Mückstein.

Auch Gesundheitsministerin Dr. Sabine Oberhauser (SPÖ) bremst: „Es ging und geht uns darum, Missbrauch und Misswirtschaft vorzubeugen. ,Mystery Shopping‘ ist kein Ärztepflanz.“ Sie empfiehlt den Kassen, ihre Richtlinie noch einmal zu überarbeiten.