Die gesundheitlichen Folgen extremer Temperaturen sind mittlerweile in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen. Hitzeschutz, Flüssigkeitszufuhr und Kreislaufstabilität gehören in der Beratung längst zum Standardrepertoire. Deutlich weniger Aufmerksamkeit erhalten bislang jedoch die psychischen Auswirkungen von Hitzestress. Dabei zeigen aktuelle Studien, dass hohe Temperaturen nicht nur das körperliche, sondern auch das seelische Gleichgewicht empfindlich stören können. Besonders Angstsymptome und emotionale Instabilität treten unter Hitzeeinfluss verstärkt auf.
Walinski et al. veröffentlichten 2023 einen Übersichtsartikel, in dem sie zahlreiche Studien zu den psychischen Auswirkungen des Klimawandels analysierten. Zwei Arbeiten bewerteten sie mit besonders hoher Evidenz. Eine davon untersuchte den Zusammenhang zwischen steigenden Temperaturen und Suizidraten in den USA und Mexiko. In den USA stieg die Suizidrate zwischen 1968 und 2004 mit jedem zusätzlichen Grad Celsius um durchschnittlich 0,68 %, in Mexiko lag der Anstieg zwischen 1990 und 2010 sogar bei 2,1 %. Die zweite Studie befasste sich mit den Folgen von Dürreperioden in Australien. Dort zeigte sich bei Männern im Alter von 30 bis 49 Jahren in ländlichen Regionen ein erhöhtes relatives Risiko für Suizid. Bei 9 % der Fälle in dieser Altersgruppe wurde die Dürre als mitauslösender Faktor identifiziert.1
In einer randomisierten Crossover-Studie wurden Laborparameter von 20 chinesischen Studierenden vor und nach einer 90-minütigen Hitzeexposition analysiert. Bereits nach dieser kurzen Belastung zeigten sich signifikant erhöhte Angstwerte. Physiologisch ließ sich dies durch eine Aktivierung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennieren-Achse (HPA-Achse), entzündliche Prozesse, oxidativen Stress sowie eine Dysbalance im Neurotransmitterhaushalt erklären. So wurden unter anderem verringerte Glutamin- und Cholinspiegel gemessen, die in direktem Zusammenhang mit dem Angstempfinden standen. Als potenzielle Biomarker für hitzebedingte Angstreaktionen erwiesen sich BDNF und GABA (negative Korrelation) sowie Kortisol (positive Korrelation).2
Aufgrund der beschriebenen physiologischen Reaktionen auf Hitze sollte die psychische Belastung im Rahmen der Beratung im Sommer nicht außer Acht gelassen werden. Zur sanften Unterstützung bei psychischem Stress können standardisierte pflanzliche Arzneimittel empfohlen werden. Präparate mit Johanniskraut (Hyperici herba)3, Kava-Kava-Wurzelstock (Kava-Kava rhizoma)4, Lavendelöl (Lavandulae oleum)5 oder Hopfenblüten (Lupuli flos)6 sind zur Selbstmedikation bei leichten bis mittelschweren Angst- oder Unruhezuständen gut geeignet. Im Gegensatz zu vielen Nahrungsergänzungsmitteln wurden diese Arzneipflanzen wissenschaftlich gut untersucht und ihre Wirksamkeit durch den HMPC offiziell bewertet.7 Lavendelöl wird darüber hinaus in der aktuell geltenden S3-Leitlinie zur Behandlung von Angststörungen erwähnt, jedoch aufgrund der unzureichenden Studienlage nicht zur Behandlung einer generalisierten Angststörung empfohlen.8 Bei anhaltenden oder sich verschlimmernden Symptomen sollte zur Abklärung durch Fachärzt:innen geraten werden, um eine ernsthafte psychische Erkrankung auszuschließen oder frühzeitig zu behandeln.