Kollateralschäden

Nach einem Jahr Pandemie haben sich psychische Belastungsfaktoren zum Teil intensiviert, zum Teil bereits chronifiziert, wie eine aktuelle Studie zeigt (mehr dazu in der Coverstory ab Seite 46). Ängste nehmen zu, depressive Symptome sind im Ansteigen, Gereiztheit im Alltag greift um sich. Dies alles verstärkt sich mit Fortdauer der COVID-19-Krise – vor allem in jüngeren Altersgruppen. Mag sein, dass ein baldiges Ende der Pandemie in manchen Bereichen Linderung bringt und Normalität bei einigen Menschen wieder für mehr Lebensfreude sorgt, aber nicht jedes Symptom und nicht jeder Zustand wird so einfach verschwinden (genauso wenig wie SARS-CoV-2). Wie die Gesellschaft, die Politik und die Medizin damit umgehen werden, ist fraglich. Genauso fraglich ist, auf welche Unterstützung das Gesundheitspersonal hoffen darf, das seit Monaten am Anschlag arbeitet und über Grenzen gehen muss. Für „Helden des Alltags“ sind Worte schnell gefunden, Taten in Form von Entlastung lassen meist auf sich warten.

Doch nicht nur um die psychischen Kollateralschäden muss man sich Sorgen machen. Im letzten Schuljahr ist laut Experten ein Großteil der Schulimpfungen ausgefallen oder verschoben worden. Dringend wird an Eltern appelliert, die Impfpässe ihrer Kinder zu checken, um Versäumtes nachzuholen. Auch das Post-COVID-19-Syndrom könnte uns noch zu schaffen machen. Selbst nach überstandener Erkrankung werden Betroffene noch von Folgewirkungen heimgesucht, beschrieben wird etwa das Fatigue-Syndrom. Und wie eine aktuelle in Nature* publizierte Studie berichtet, muss man die Gesundheit ehemaliger Patienten verstärkt im Auge behalten: Ein bis sechs Monate nach der Infektion ist das Mortalitätsrisiko um 60 % höher als bei Nichtinfizierten. 20 % der nichthospitalisierten Patienten benötigen im ersten halben Jahr nach der Krankheit weitere medizinische Versorgung – betroffen sein können alle Organsysteme, vom Verdauungstrakt über das Herz-Kreislauf-System bis hin zum Nervensystem.

Viele Fragen, viele Baustellen, viele Unwägbarkeiten – und noch lange kein Licht am Ende des Tunnels. Erfreulich ist allerdings, dass sich kürzlich eine Arbeitsgruppe zur Erstellung einer Leitlinie für Diagnostik, Behandlung, Betreuung und Rehabilitation von ehemaligen COVID-19-Patienten gebildet hat. Solche Leitlinien werden wir in den kommenden Jahren sehr brauchen.


* Al-Aly Z, Xie Y, Bowe B, High-dimensional characterization of post-acute sequalae of COVID-19. Nature 22 April 2021