Long-COVID: das unberechenbare Phantom

Noch ist das Thema Long-COVID in vielen Bereichen ein Phantom. Als mögliche Ursachen werden Überreste von Viren oder Virenbestandteilen im Körper genannt – vor allem in der Lunge und im Darm wurden Coronaviren noch bis zu zwei Monaten nach der Akutphase nachgewiesen. Einen wesentlichen Einfluss dürfte aber auch das für SARS-CoV-2 typische, massive Entzündungsgeschehen haben. Man findet bei Long-COVID-Patienten erhöhte Entzündungsmarker im Nervensystem, eine vermehrte Produktion von Autoantikörpern und Veränderungen der Blutzellen in Größe und Steifigkeit.
So diffus wie der Ursprung von Long-COVID ist die Definition selbst. Es grassieren Begriffe wie „prolongiertes symptomatisches COVID-19“ (was sich meist auf die Fortdauer von Symptomen der Akutphase bezieht) oder „Post-COVID-19“ (vor allem für Folgebeschwerden aus intensivmedizinischer Behandlung oder für die Genese gänzlich neuer Symptome). Als Überbegriff für alle Beschwerden, die nach der PCR-positiven Phase auftreten, hat sich mittlerweile der Begriff „Long-COVID“ etabliert.
Ebenso wenig mit sicheren Daten belegt ist derzeit die Prävalenz. Während einige Experten Long-COVID bei etwa 10–20 % der Infizierten beobachten, sehen andere maximal 30 % nach der Akutphase als beschwerdefrei und beschreiben bei einem Drittel Symptome nach mehr als 12 Monaten nach der COVID-19-Infektion.

Fatigue, Atembeschwerden und Hauterscheinungen

Bei den Symptomen selbst herrscht jedoch große Einigkeit. Das vorrangige Problem, das 75 % aller Long-COVID-Patienten betrifft, ist eine große Erschöpfung (Fatigue), die sich bereits nach kleinsten Belastungen einstellt. Jeder Zweite klagt über neurologische Ausfallerscheinungen, die unter dem Begriff „Brain-Fog“ zusammengefasst werden. Darunter versteht man geistige Beeinträchtigungen unterschiedlichster Art. Es kann sich dabei um eine recht diffuse, rasch auftretende geistige Erschöpfung handeln, um Konzentrationsschwäche, aber auch um sehr klar abgegrenzte Gebiete wie Wortfindungsstörungen oder den Verlust mathematischer Fähigkeiten. Bei immerhin 40 % der Betroffenen treten Atemschwierigkeiten und/oder Husten auf, und jeder Vierte beobachtet Hautveränderungen. Diese können sehr vielgestaltig ausfallen und von Rhagaden auf den Handinnenflächen über diverse Pusteln und Erytheme bis hin zu Haarverlust reichen.

Symptomatische Behandlung

Die Symptome können sehr plötzlich von allein abklingen. Die Behandlung selbst gestaltet sich derzeit symptomorientiert. Dies ist auch in der seit September vorliegenden deutschen S1-Leitlinie1 so definiert, und die Apotheker werden darin explizit als wichtige Säule in der Patientenbetreuung gesehen. Die Therapie von Long-­COVID ist stark an jener des chronischen Erschöpfungssyndroms (CFS) orientiert. Auch bei dieser Krankheit sind Fatigue und Brain-Fog die Leitsymptome, begleitet von immunologischen Erscheinungen wie erhöhter Infektanfälligkeit und autonomen Symptomen des kardiovaskulären Systems. Bei Long-COVID gehen die möglichen Erscheinungsbilder aber weit darüber hinaus und können sich von den bereits erwähnten Störungen im Hautbild über negative Einflüsse auf den GIT, Seh­störungen, Tinnitus, Geruchsstörung, Muskel- und Gelenkschmerzen bis hin zu Veränderungen im Stoffwechsel zeigen.

Erste Abklärung beim Facharzt

Deshalb sollte der erste Weg eines (möglichen) Long-COVID-­Patienten auch immer jener zum Facharzt sein, um der Ursache der Beschwerden auf den Grund zu gehen. Wenn kein physiologischer Einfluss feststellbar ist und eine COVID-19-Infektion vorlag (diese kann durchaus auch symptomlos gewesen sein!), ist die Behandlung wie bereits erwähnt symptomatisch durchzuführen. Besonderes Augenmerk wird hier auf den richtigen Umgang mit dem Fatigue-Syndrom wie auch mit den psychischen Problemen gelegt. Bei der Bewältigung der Erschöpfung ist darauf zu achten, das Leistungslevel möglichst niedrig anzusetzen. Eine Überreizung der Belastungsgrenze (auch auf psychische Ebene) führt schnell zum Zusammenbruch des Patienten und einer in der Folge noch geringeren Leistungsfähigkeit. Es ist wichtig, dass der Betroffene seinen besonderen Zustand seinem direkten Umfeld kommuniziert. Nur dann kann das Umfeld dem Betroffenen mit Verständnis für die Notwendigkeit zahlreicher Pausen und insbesondre für die verminderte Belastbarkeit begegnen. Außerdem sind regelmäßige Erholungspausen einzuplanen, in denen der Körper frei von jeder Belastung sein soll. Lesen, Fernsehen oder Telefonieren mit Freunden gelten als Aktivität, nicht als Erholung.

Erste Hilfe aus der Apotheke

Generell sind das Unverständnis der Mitmenschen und die eigene zu hohe Erwartung die größten Belastungen von Long-COVID-Patienten und führen häufig zu Depressionen, aber auch zu (Existenz-)Ängsten. Eine frühzeitige psychologische Intervention sowie der Einsatz von Phytotherapeutika wie Johanniskraut oder Passionsblume sind daher anzuraten. Auch Lavendel ist eine gute Option, dem aufbrechenden Angstgeschehen aufgrund der verminderten Leistungsfähigkeit entgegenzuwirken, denn Ängste, ob der Körper jemals wieder so funktioniert wie früher bzw. ob und wann die Nachwirkungen der COVID-19-Erkrankung wieder abklingen, erfassen viele Betroffene. Arznei-Lavendelöl ist für seine angstlösende Wirkung bekannt, ohne während des Tages müde zu machen. Je früher die Einnahme erfolgt, desto besser, um die Verstärkung bzw. das Voranschreiten der Angstsymptomatik zu verhindern. Auch bei den häufig auftretenden Schlafstörungen kann die Pflanze gut eingesetzt werden. Weiters kann zu Melatonin geraten werden, um die Einschlafzeit zu verkürzen und das Durchschlafen zu verbessern. Gerade die Gabe von Melatonin ist in vielen Fällen sinnvoll, weil, so zeigte eine Studie, Aufnahme und Metabolismus von Tryptophan, einer Ausgangssubstanz von Melatonin, durch COVID-19 ­beeinträchtigt werden.2 Auch Pflanzen wie Baldrian und Melisse sind hilfreich für einen guten Schlaf. Die Wahrscheinlichkeit für Schlaf­störungen steigt durch eine vor­angegangene COVID-­19-Er­-krankung an, wie erste Daten zeigen (publiziert in Lancet Psychiatry). Demnach ist Insomnie eine der häufigsten neurologischen und psychiatrischen Folgeerscheinungen von COVID-19.3 Nicht nur bei psychischen Beschwerden können Produkte aus der Apotheke gute Unterstützung leisten. Es gilt vor allem, an zwei Rädern zu drehen: die Energieproduktion zu stärken und das Entzündungsgeschehen und das Übermaß an freien Radikalen einzudämmen. Für Letzteres kann alles empfohlen werden, das entzündungshemmend und antioxidativ wirkt. Die Möglichkeiten reichen dabei von den Klassikern Vitamin C und D über Resveratrol oder Kurkuma bis hin zu Omega-3-Fettsäuren. Letztere sind von besonderer Relevanz, da sie nicht nur durch EPA das Entzündungsgeschehen reduzieren, sondern auch durch DHA die geistige Leistungsfähigkeit verbessern können.

Literatur:

  1. Koczulla, AR, Ankermann T, Behrends U, S1-Leitlinie Post-COVID/Long-COVID. AWMF-Register-Nr. 020/027, Stand 12. 7. 2021
  2. Eroğlu I, Eroğlu BÇ et al., Altered tryptophan absorption and metabolism could underlie long-term symptoms in survivors of coronavirus disease 2019 (COVID-19). Nutrition. 2021 Oct; 90: 111308
  3. US Sleep Foundation: New Study Shows Insomnia More Common in COVID-19 Survivors. Auf: https://www.sleepfoundation.org/sleep-news/new-research-insomnia-and-covid-19