Orale COVID-19-Therapie

Der erhöhten Transmissibilität der Omikron- im Vergleich zur Delta-Variante steht eine geringere Hospitalisierungsrate und Sterblichkeit gegenüber. Wissenschaftlichen Beobachtungen zufolge besteht jedoch vor allem für vulnerable Personengruppen weiterhin das Risiko für einen schweren klinischen Verlauf. Mit zunehmender Evolution immunevasiver Varianten nimmt außerdem die Wirksamkeit der therapeutisch eingesetzten SARS-CoV-2-neutralisierenden monoklonalen Antikörper ab. Hervorzuheben ist auch, dass etwa 5–15 % der Infizierten (je nach vorherrschender Immunität) Long COVID entwickeln können. Im Folgenden wird bei antiviraler COVID-19-Medikation der Fokus auf die perorale Therapie mit Nirmatrelvir/Ritonavir (Handelsname: Paxlovid®) geglegt.

Prinzipiell stehen auch zwei weitere antivirale Therapieoptionen zur Verfügung:

Bei Remdesivir (Veklury®) erschwert die i. v. Applikation den breiten Einsatz bei meist noch infektiösen Patient:innen im ambulanten Setting, weshalb es in der klinischen Praxis vorrangig im Krankenhaus verabreicht wird. Der Einsatz von Molnupiravir (Lagevrio®) ist nach der EMA-Ablehnung des Zulassungsantrags nur mehr als Heilversuch möglich, d. h. nach ärztlicher Bescheinigung, dass Molnupiravir zur Abwehr einer Lebensbedrohung oder schweren gesundheitlichen Schädigung dringend benötigt wird und dies nach dem Stand der Wissenschaft voraussichtlich nicht mit einer zugelassenen und verfügbaren Arznei erzielt werden kann.

Praktische Aspekte zu Nirmatrelvir/Ritonavir

Anfang 2022 erhielt Paxlovid® (300 mg Nirmatrelvir/100 mg Ritonavir als Tabletten zusammen in einer Blisterpackung) als erstes orales Medikament mit antiviraler Wirkung eine EMA-Zulassung zur Behandlung von COVID-19 bei Erwachsenen, die keine zusätzliche Sauerstoffzufuhr benötigen und ein erhöhtes Risiko haben, einen schweren COVID-19-Verlauf zu entwickeln.

Der Hauptwirkstoff Nirmatrelvir ist ein Protease-Inhibitor und verhindert den Bau neuer Viruskopien. Der Zusatzwirkstoff Ritonavir verlangsamt den Abbau von Nirmatrelvir und sichert dadurch ausreichend hohe Wirkspiegel.

In der zulassungsrelevanten EPIC-HR-Studie zu ungeimpften, nichthospitalisierten, symptomatischen Patient:innen in der Frühphase von COVID-19 mit erhöhtem Risiko für schweren Verlauf konnten für Paxlovid® das (relative) Risiko für Spitalsaufnahme oder Sterblichkeit um rund 86 % und auch die Viruslast deutlich gesenkt werden (NNT = 18). Bei gleich verteiltem Auftreten unerwünschter Ereignisse in den beiden Studienarmen und häufigerem Auftreten schwerer unerwünschter Ereignisse im Placebo-Arm konnte die 5-tägige Verabreichung von Paxlovid® als sicher bewertet werden.

Spätere Real-World-Studien bestätigten die klinische Wirksamkeit auch bei Geimpften und bei mit der Omikron-Variante infizierten COVID-19-Patient:innen – wiewohl man beachten muss, dass Morbidität und Mortalität bei Personen mit einer Omikron-Infektion bei meist vorbestehender Immunität (geimpft und/oder genesen) mit einem niedrigeren Ausgangsrisiko im Vergleich zu den Daten aus den Jahren 2020 und 2021 verbunden ist.

Besondere Aufmerksamkeit erlangte auch eine Auswertung von Daten aus den USA zu Patient:innen mit mindestens einem Risikofaktor für schweren Verlauf, nach der eine Paxlovid®-Therapie innerhalb der ersten 5 Tage nach Infektion mit einer relativen Risikoreduktion von 26 % für Langzeitfolgen von SARS-CoV-2 einhergeht.

Aufklärung zu zeitsensitivem Intervall: Paxlovid® sollte innerhalb von 5 Tagen (idealerweise bereits innerhalb von 3 Tagen) nach Auftreten der ersten Symptome angewendet werden (Fact Sheet zur Einnahme siehe Tab. 1).

Hier ist zu erwähnen, dass viele Betroffene nach Symptombeginn und bei anfangs noch mild-moderaten Symptomen nicht gleich Medikamente einnehmen möchten. Darum ist entsprechend Aufklärungsarbeit darüber zu leisten, dass die Wirkung ein zeitsensitives Intervall hat, da bei zu langer Hinauszögerung des Behandlungsbeginns die Virusreplikation bereits über weite Strecken ihren Peak überschritten hat.

Besondere Aufmerksamkeit zu Wechselwirkungen: Der Wirkmechanismus von Ritonavir, bereits bekannt aus der HIV-Therapie, verlangt besondere Aufmerksamkeit bei gleichzeitigem Einsatz anderer Arzneimittel, die z. B. durch das Cytochrom-P450-Isoenzym CYP3A4 metabolisiert werden oder seine Aktivität beeinflussen (sog. CYP3A4-Induktoren). Daher ist es essenziell, vor dem Einsatz von Paxlovid® die aktuelle Medikation sowie einen etwaigen Drogen- und Genussmittelkonsum genau zu erfragen und auf mögliche Wechselwirkungen mit Ritonavir ausführlich zu prüfen. Eine Orientierungshilfe findet sich z. B. in der Fachinformation.In der klinischen Praxis hat sich auch die Verwendung des englischsprachigen „interaction checkers“ der Universität Liverpool – Liverpool COVID-19 Interactions (covid19-druginteractions.org) – bewährt.

Bei jenen Arzneimitteln, bei denen der gleichzeitige Einsatz von Paxlovid® kontraindiziert ist und die nicht pausiert werden dürfen (z. B. Antiarrhythmika, Antipsychotika, Medikamente zur Behandlung pulmonaler arterieller Hypertonie), sollte fakultativ eine alternative COVID-19-Therapie erwogen werden. Bei Arzneimitteln, die nicht pausiert werden dürfen, die aber durch eine andere Substanz derselben Gruppe mit geringerem Interaktionspotenzial ersetzt werden könnten, sollte ein Substanzwechsel erwogen werden (z. B. Umstellung von Simvastatin auf Pravastatin). Bei den übrigen Arzneimitteln, deren Wirksamkeit und Sicherheit durch die veränderten Plasmaspiegel maßgeblich beeinflusst werden, sollte eine Dosisanpassung erfolgen (bevorzugt unter Serumspiegel-Kontrolle, z. B. bei Immunsuppressiva oder Voriconazol). Ist dies nicht möglich, sollte ebenfalls eine alternative COVID-19-Therapie erwogen werden.