Mikronährstoffe – immer auf die Kleinen

Die Einnahme von Arzneimitteln kann dazu führen, dass Nährstoffe und Vitamine nicht verwertet werden und sich Mangelerscheinungen ausbilden. So kann es passieren, dass eine Patientin, der ein Estrogen verordnet wurde, einen Zink- oder Folsäuremangel entwickelt.

Transportprobleme vermeiden

Arzneimittel und Mikronährstoffe benutzen im Organismus bei der Resorption, Metabolisierung und Elimination dieselben Transport- und Stoffwechselwege. Sowohl Mikronährstoffe als auch Pharmaka können in ihrer Wirkung somit beeinträchtigt werden. Wird der Wirkstoffspiegel des Arzneimittels beeinflusst, fällt dies meist schneller auf. Der Patient klagt über mehr Nebenwirkungen, oder er bekommt den Stempel „Therapieversager“, weil der Wirkstoffspiegel sinkt. Ein Mikronährstoffdefizit bleibt nicht selten über lange Zeit unentdeckt. Eine medikationsorientierte Supplementierung von Vitaminen, Mineralstoffen und anderen bioaktiven Mikronährstoffen kann im Rahmen einer vorausschauenden Pharmakotherapie ein Defizit vermeiden.

Senioren im Auge behalten

Chronisch Kranke, Schwangere und ältere Menschen sind besonders gefährdet. Bei diesen Gruppen ist auf eine vitamin- und mineralstoffreiche Ernährung zu achten. Medikamente können in alle Stoffwechselbereiche eingreifen: von der Verdauung und Resorption, dem Transport und der Verteilung im Blut, über die Metabolisierung bis zur Ausscheidung. Medikamentös induziertes Erbrechen oder Durchfall, beispielsweise durch Antibiotika, Zytostatika oder Laxanzien, kann, bedingt durch starke Wasser- und Elektrolytverluste, eine Minderversorgung mit Nährstoffen zur Folge haben. Auch ein Appetit- oder Geschmacksverlust durch Digitalisglycoside, Psychopharmaka oder Zytostatika führt zu einer verminderten Nahrungsaufnahme.

Problematischer ist die Gruppe der nicht­steroidalen Antiphlogistika, z. B. Acetylsalicylsäure, die durch Schädigungen der Magen-Darm-Schleimhaut die Resorption beeinträchtigen. Diese fieber-, schmerz- und entzündungshemmenden Substanzen sind teilweise frei verkäuflich und werden daher von großen Bevölkerungsschichten verwendet. Bei hoher Dosierung und Anwendung über lange Zeit kann ein Eisenmangel entstehen. Bei kurzzeitiger Arzneimitteleinnahme sind keine negativen Folgen für den Ernährungsstatus zu erwarten. Lediglich bestimmte Personengruppen, die auf eine lebenslange Medikation angewiesen sind, wie chronisch Kranke oder ältere Menschen, die zu wenig Nahrung zu sich nehmen, können eine Unterversorgung bei einzelnen Nährstoffen entwickeln.

Risikogruppen

Zu den Risikogruppen für eine Mikronährstoffunterversorgung zählen Epileptiker, Rheumatiker, Hypertoniker, Herz-Kreislauf-Kranke, Krebspatienten, Diabetiker, Schwangere, Stillende und Schmerzpatienten.

Auch weil die Symptome nicht mit einer medikamentösen Therapie in Verbindung gebracht werden, beobachtet man klinische Zeichen eines Nährstoffmangels nur selten. Für die betroffenen Personengruppen ist es wichtig, eine gezielte Ernährungstherapie vorzunehmen und damit einer Unterversorgung mit Nährstoffen vorzubeugen.

PPI: Hemmer hemmen Knochenaufbau

Protonenpumpenhemmer (PPI) wie Omeprazol und Pantoprazol sind in der gastroenterologischen Therapie weitverbreitet. Bei einer längerfristigen Therapie kann die Mineralisierung des Knochens leiden. Protonenpumpenhemmer reduzieren die Bildung von Magensäure um bis zu 100 %. Um resorbiert zu werden, müssen in der Nahrung vorhandene Calciumsalze als Oxid oder Carbonat erst zu Chloriden umgewandelt werden. Ohne Magen-(Salz-)säure ist das nicht möglich. Für die Resorption von Calciumionen ist ebenfalls Ascorbinsäure hilfreich. Außerdem ist sie in den für die Knochenmineralisierung notwendigen Vitamin-D-Stoffwechsel eingebunden. Ascorbinsäure wird in den Magensaft sezerniert. Ohne Magensäure entsteht hier ein Defizit.

In einer kanadischen Studie von Targownik et al. wurde die Langzeitwirkung von PPI auf die Knochendichte und das Frakturrisiko ermittelt. 15.792 Patienten mit osteoporosebedingten Frakturen, die PPI eingenommen hatten, wurden analysiert. Als Kontrollgruppe dienten 47.289 Patienten ohne Frakturen. Die Ergebnisse der über 8 Jahre durchgeführten Studie zeigen, dass die langfristige Einnahme von PPI über einen Zeitraum von 7 Jahren das Risiko für osteoporotische Frakturen erheblich steigert (OR: 1,6). Auch das Risiko für Hüftfrakturen ist erheblich erhöht.

Vitamin B12 und Folsäure ebenfalls betroffen

Gastritis- und Ulcuspatienten unter einer PPI-Therapie haben zudem das Risiko, einen Vitamin-B12- und Folsäuremangel zu erleiden. An Proteine gebundenes Vitamin B12 kann ohne Magensäure und den darin enthaltenen Intrinsic Factor nur zu einem geringen Anteil freigesetzt und resorbiert werden. Zwar ist auch eine passive Diffusion im Dünndarm ohne Intrinsic Factor möglich, aber hier wird lediglich etwa 1 % resorbiert. Ein Mangel an Vitamin B12 erhöht ebenfalls das Osteoporoserisiko. Das Risiko einer verminderten Calciumresorption wird so additiv verstärkt.

In der Rotterdam-Studie erwiesen sich erhöhte Homocysteinspiegel als ein eigenständiger Risikofaktor für osteoporotische Frakturen, wenn die Patienten älter als ­55 Jahre sind. Eine Supplementierung von Vitamin B12 (> 50 µg/Tag) in Kombination mit Folsäure und Vitamin B6 erscheint empfehlenswert. Die Freisetzung von Vitamin B12 aus Nahrungsmitteln kann ebenfalls durch H2-Blocker beeinträchtigt werden.

Metformin und Vitamin B12

Vitamin B12 hat es schon nicht leicht: Nicht nur Magenmittel machen dem Cobalamin zu schaffen, auch Antidiabetika haben es auf eine Hemmung abgesehen. Metformin verringert die intestinale Verfügbarkeit der zur Vitaminresorption notwendigen dissoziierten Calciumionen. Die calciumabhängige rezeptorvermittelte Endozytose des Intrinsic-Factor-Vitamin-B12-Komplexes wird unterbunden. Die Folgen können neben einem Vitamin-B12-Mangel eine Hyperhomocysteinämie und ein Mangel an Folsäure sein. Erkrankungen wie Depressionen, Demenz und Neuropathien könnten verschlimmert werden. In der Praxis spielt dies dennoch eine untergeordnete Rolle, da vermutlich nur der inaktive Metabolit von Cobalamin gehemmt wird.

Diabetiker vermissen B-Vitamine

Diabetiker weisen stoffwechsel- und krankheitsbedingt häufig einen niedrigen Vitamin-B-Status auf (vor allem Vitamin B1, B12, B6, Folsäure). Deshalb ist allgemein eine Supplementierung eines Multivitamin-Mineralstoff-Präparates mit Antioxidanzien und B-Vitaminen sinnvoll, um Mangelzuständen vorzubeugen, die Glucosehomöostase zu optimieren und das Risiko für diabetische Folgekomplikationen zu verringern. Die Therapie mit 2 g Metformin erhöht den Homocysteinspiegel nach drei Monaten um 7%, nach zehn Monaten um fast 14%.

Folsäuresubstitution nicht kritiklos

Fachgesellschaften geben sich betreffend Supplementierung bei Hyperhomocysteinämie zurückhaltend. „Vor einer möglichen Empfehlung für die generelle Bestimmung und Behandlung erhöhter Homocysteinwerte bei Gesunden müssen die Ergebnisse derzeit laufender kontrolliert randomisierter Interventionsstudien bekannt sein“, so steht es im Konsensuspapier der D-A-CH-Liga über den rationellen klinischen Umgang mit Homocystein, Folsäure und B-Vitaminen bei kardiovaskulären und thrombotischen Erkrankungen. Auch Antiepileptika wie Phenobarbital, Carbamazepin, Primidon, Valproat und Phenytoin erhöhen Homocystein im Plasma. Patienten sind jedoch dankbar für die Zusatzempfehlung. Vorbeugen ist (auch hier) viel besser als heilen.