Nobelpreis für die innere Uhr

„Das Leben auf der Erde ist an die Rotation unseres Planeten adaptiert. Viele Jahre lang haben wir gewusst, dass lebende Organismen, auch der Mensch, über eine interne biologische Uhr verfügen, die ihnen hilft, den Tag-Nacht-Rhythmus ­vorherzusehen und sich daran anzupassen. Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash und Michael W. Young konnten in diese biologische Uhr hineinschauen und ihr inneres Funktionieren aufklären“, schrieb das Nobelpreiskomitee Anfang Oktober in seiner Begründung für den diesjährigen Medizinnobelpreis und sorgte damit für eine Überraschung.

Von der Grünalge bis zum Ginkgobaum und vom Käfer bis zur Kuh folgt jedes Lebewesen einem geregelten Ablauf, nach dem es schläft, isst und metabolisiert. Über Jahrhunderte wunderten sich Forscher, wieso Tiere und Pflanzen diesen Takt beibehalten, selbst wenn man sie isoliert. Noch nach Monaten in völliger Dunkelheit scheinen sie nicht zu vergessen, wann es Zeit ist, aktiv zu sein, und wann Ruhe angesagt ist. Zwar tickt ihre innere Uhr irgendwann nicht mehr synchron zum Tageslauf – doch sie tickt. Warum? Weil Gene sie steuern.

Verantwortlich für diesen Tag-Nacht-Rhythmus ist eine ganze Reihe von Genen und Proteinen. Ein bekanntes Beispiel: die Mimose. Sie öffnet ihre Blätter, wenn das Tageslicht sie erreicht, und schließt sie erst in der Dunkelheit wieder. Der französische Geophysiker Jean Jacques d’Ortous de Mairan wunderte sich schon vor knapp 300 Jahren über dieses Verhalten und stellte eine der Pflanzen an einen Ort ohne Licht. Zur Verblüffung des Forschers öffneten und schlossen sich die Blätter auch weiterhin nach demselben Rhythmus. Daraus schloss er, dass die Mimose eine unabhängige Uhr in sich tragen müsse.

Die neuen Medizinnobelpreisträger benutzten Drosophila-Fliegen – ja, diese Fliege hätte auch einen Nobelpreis verdient, angesichts der Menge an Studien, die schon mit ihr gemacht wurden – und isolierten zunächst ein Gen, das ihren zirkadianen Rhythmus kontrolliert. Es handelt sich dabei um das „Period“-Gen, das für das Protein PER kodiert. In der Nacht sammelt sich das PER-Eiweiß in Zellen an, am Tag wird es abgebaut. „In der Folge identifizierten sie zusätzliche Proteine als Bestandteile dieser Maschinerie und klärten damit die Mechanismen auf, welche das sich selbst erhaltende Uhrwerk in Zellen bestimmen“, hieß es in der Begründung des Nobelpreiskomitees.

Das Besondere an den Genen, die die innere Uhr steuern: Sie kommen nicht nur beim Menschen und anderen Säugetieren vor. Auch in einzelligen Cyanobakterien, in Pilzen, Pflanzen, Insekten und Nagetieren gibt es Abschnitte im Erbgut, die einen 24-Stunden-Takt vorgeben. Kurz: Deshalb „weiß“ der Apfelbaum, wann es Zeit ist, zu blühen.

Bedeutsam sind die Erkenntnisse unter anderem auch in der Medikamententherapie und bei der Frage, zu welcher Uhrzeit bestimmte Medikamente die beste Wirkung entfalten.