„OTC-Switches – Österreich auf europäisches Niveau heben“

Apotheker Krone: Wo liegt Österreich im internationalen Vergleich im Hinblick auf rezeptfreie Arzneimittel?

Gerhard Lötsch: Wenn man sich Vergleichszahlen ansieht, dann rangieren Neuseeland und Australien ganz vorne, was die Zahl an rezeptfreien Arzneimittelwirkstoffen anbelangt. In Europa sind Großbritannien und Deutschland die Spitzenreiter, Österreich hingegen liegt weit hinten. Nur in den Niederlanden sind noch weniger Substanzen rezeptfrei erhältlich, dort ist aber auch das System ein anderes: In den Niederlanden dürfen Arzneimittel in Supermärkten verkauft werden, daher gibt es dort strengere Vorschriften für die Rezeptpflicht.

Wo sollte Österreich Ihrer Meinung nach seinen Platz einnehmen?

Das Ziel muss es sein, Österreich bei den verschreibungsfrei verfügbaren Wirkstoffen auf das durchschnittliche europäische Niveau zu heben. Andere Länder machen es uns vor, wie eine Neuklassifizierung von Arzneimitteln erfolgreich durchgeführt werden kann, und davon können wir lernen. In Österreich und Deutschland durchgeführte Studien können uns als Entscheidungsgrundlage für die künftige Verschreibungspflicht in Österreich dienen.

Welche Vorteile sehen Sie in der verstärkten Entlassung von Wirkstoffen aus der Rezeptpflicht?

Der schnelle und einfache Zugriff zu qualitativ hochwertigen OTC-Präparaten ermöglicht den Menschen eine eigenverantwortliche Gesundheitspflege und eine schnelle Linderung ihrer Leiden. Die Patienten ersparen sich Zeit, weil sie keinen Arztbesuch absolvieren müssen – das entlastet auch die Ärzte, die sich dadurch wieder mehr auf ihre Kernkompetenz fokussieren können. Weiters birgt der Switch eines Arzneimittels vom verschreibungspflichtigen zum verschreibungsfreien Status ein großes ökonomisches Potenzial und entlastet die Sozialversicherung. Jeder Euro, der im Zuge der Selbstmedikation für OTC-Präparate investiert wird, erspart dem Gesundheitssystem 5,20 Euro an direkten Kosten. Ein weiterer Vorteil von OTC-Switches ist die Förderung des freien Wettbewerbs.

Das Mehr an Verantwortung setzt eine ausreichende Health Literacy voraus. Laut Statistik ist die Gesundheitskompetenz in Österreich aber limitierter als im internationalen Durchschnitt. Wie kann man diesem Problem begegnen?

Laut einer Studie des Ludwig-Boltzmann-Instituts aus dem Jahr 2012 verfügen 18,2 % der Österreicher über eine inadäquate Gesundheitskompetenz, 38,2 % über eine problematische Gesundheitskompetenz und nur 33,7 % beziehungsweise 9,9 % über eine ausreichende beziehungsweise exzellente Gesundheitskompetenz. Damit liegt Österreich an vorletzter Position der untersuchten acht EU-Staaten, nur in Bulgarien waren die Werte noch schlechter. Die Studienautoren empfahlen unter anderem, dass der Mangel an Gesundheitskompetenz von der Politik systematisch und nachhaltig als Problem erkannt werden sollte. Daraufhin wurde die Entwicklung von Health Literacy von der Regierung als prioritäres Gesundheitsziel definiert. In weiterer Folge wurde 2015 die Österreichische Plattform Gesundheitskompetenz gegründet. Die Plattform hat sich ehrgeizige Ziele gesteckt, die der langfristigen Entwicklung und Etablierung der Gesundheitskompetenz in Österreich dienen sollen. Einiges ist bereits geschehen, aber sicher noch nicht genug. Wichtig ist, dass die Initiativen nicht einschlafen, sondern dass kontinuierlich und auf hohem Niveau weitergearbeitet wird. Vor allem die sogenannten vulnerablen Bevölkerungsgruppen mit unterdurchschnittlicher Health Literacy müssen gefördert werden. Die Hersteller von OTC-Präparaten unterstützen entsprechende Aktivitäten.

Welche hemmenden Faktoren für OTC-Switches gibt es?

In Österreich ist die Eigenverantwortung für die persönliche Gesundheit nicht sehr stark ausgeprägt. Der mündige Bürger wurde jahrzehntelang nicht gefördert, weshalb viele Österreicher in einer Art „Vollkasko“-Denken leben. Bedauerlicherweise fehlt aus unserer Sicht auch der nachhaltige politische Wille, die Bevölkerung in ihrer Eigenverantwortung zu unterstützen. Hinderlich wirkt sich in Österreich hier auch das System der grundsätzlichen Erstattung von Arzneimittelkosten aus. Generell bremst weiters der nur einjährige Unterlagenschutz das Interesse der Unternehmen, ein Switch-Projekt einzureichen. Dieses Problem betrifft aber ganz Europa und nicht nur österreichische Firmen.

Lassen Sie uns abschließend noch an Ihrer Vision teilhaben?

Ich wünsche mir Self Care auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau unter Anleitung von Apothekern und Ärzten. Ich kann mir für ausgewählte Indikationen auch völlig neue Zugänge vorstellen, etwa eine Rezeptfreiheit nach einem ärztlichen Fachgespräch oder nach einem ausführlichen Beratungsgespräch in der Apotheke. Nicht nur aus Neuseeland sind uns dazu sehr erfolgreiche Modelle bekannt.

 

Die 1. IGEPHA-Switch-Konferenz

Nationale und internationale Experten aus Gesundheitsberufen und der Industrie trafen sich in Wien zur gemeinsamen Identifikation von Entwicklungspotenzialen von OTC-Switches. Dr. Natalie Gauld von der University of Auckland gab einen Einblick in das in dieser Hinsicht fortschrittliche System Neuseelands. Dr. Elmar Kroth vom Deutschen Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) präsentierte Zahlen einer Studie, wonach 85 % der befragten Apotheker Switches entweder uneingeschränkt oder mit Einschränkung zustimmen. Priv.-Doz. Mag. pharm. DDr. Philipp Saiko, Präsident der Apothekerkammer Wien, stellte eine aktuelle Evaluierung aus Dezember 2017/Jänner 2018 zur Rolle der Apotheker in Sachen Switch vor (n = 370). 76 % sagen zu vermehrten OTC-Switches eindeutig ja oder ja mit gewissen Einschränkungen. Drei Viertel der Befragten sehen wirtschaftliche Vorteile. Favoriten für Switches sind Wirkstoffe gegen allergische Rhinitis, Akne (topisch), Migräne und Herpes.