Pädiatrie und Medikationsmanagement

Kinder sind therapeutische Waisen, schrieb Harry Shirkey in seiner Publikation „Therapeutic Orphans“ im Jahr 1968. Und das hat mehrere Gründe: Zum einen weichen die Bedürfnisse von Kindern in Bezug auf Arzneimitteltherapie erheblich von denen der Erwachsenen ab, die Dosierungen können nicht linear umgerechnet werden, viele Arzneimittel gibt es nicht in fertigen kindgerechten Darreichungsformen und Dosierungen, und noch schlimmer: Viele Arzneimittel sind für Kinder nicht zugelassen. Benötigen sie diese doch, muss der Einsatz „off-label“ erfolgen. Um jedoch Medikamente für Kinder zulassen zu können, bedarf es klinischer Studien. Und hier lag oder liegt auch das ethische Dilemma. Lange Jahre galten Studien an Kindern als unethisch. Aber wenn das eigene Kind erkrankt, hätte jeder gerne wirkungsvolle und sichere Medikamente zur Verfügung, brachten die Tagungspräsidenten Mag. pharm. Gerhard Kobinger und Prim. Univ.-Prof. Dr. Reinhold Kerbl das Problem auf den Punkt.

In den letzten Jahren ist in Hinblick auf Arzneimitteltherapie bei Kindern einiges in Bewegung geraten. 2013 wurde OKIDS, das österreichische Studiennetzwerk für Arzneimittel und Therapien, geschaffen, um durch Bündelung von Kompetenzen die notwendige klinische Forschung für Arzneimittelsicherheit zu stärken. Im Rahmen der Tagung wurde JUNIORMED präsentiert, ein interdisziplinär erarbeitetes Kompendium für Ärzte und Apotheker, in dem qualitätsgesicherte standardisierte magistrale Zubereitungen für Kinder und Jugendliche erfasst sind.

Beratungskompetenz. Ganz egal, ob es um komplexe Zubereitungen geht oder ob es banale Erkrankungen der Kinder sind, die hilfesuchende Eltern in die Apotheke führen, der kompetenten Beratung, welche Arzneimittel für Kinder passen und wie diese richtig verabreicht werden, kommt entscheidende Bedeutung zu. In seinen Eröffnungsworten unterstrich Kerbl, selbst Pädiater, die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Apothekern und bedankte sich explizit für die hohe Qualität der Beratung. „Wir brauchen Sie als Partner im Sinne der Sicherheit für unsere Kinder und Jugendlichen, und wir sind froh, dass wir Sie haben.“

Pädiatrische Pharmakologie

Der gesamte Umgang mit Arzneimitteln muss für das Kindesalter differenziert betrachtet werden, erläuterte Priv.-Doz. Dr. Florian Lagler, Medizinische Universität Salzburg.
Mit der Entwicklung des Kindes ändert sich die gesamte Aufnahme, Verstoffwechselung und Ausscheidung von Arzneimitteln. Lagler verwies auf die Zusammenfassung von G. Kearns, der sich 2003 in seinem im NEJM publizierten Beitrag zur „developmental pharmacology“ mit der Pharmakokinetik und Pharmakodynamik im Kindes- und Jugendalter befasste.

Das beginnt bei der Dicke der Haut und ihrer Durchlässigkeit, die bei Kleinkindern anders ist als bei Schulkindern und Jugendlichen und wiederum Erwachsenen. Unterschiede bestehen altersabhängig in der Nierenfunktion, bei arzneimittelverstoffwechselnden Leberenzymen, dem Verteilungsvolumen, der gastrointestinalen Aufnahme et cetera. All diese Faktoren unterliegen einer entwicklungsabhängigen Veränderung, die nicht linear erfolgt. So werden manche arzneimittelverstoffwechselnden Isoenzyme bei Neugeborenen und Kleinkindern stärker exprimiert, andere mit zunehmendem Alter. All das zeigt auf, dass nicht von der Erwachsenendosis auf die Kinderdosis extrapoliert werden kann. Gleiches gilt für die Dosierungsintervalle.
Lagler zitierte Daten, wonach es im Krankenhausbereich bei ungefähr 10 % der Kinder zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen kommt (in der Neonatologie bei bis zu 90 %). Knapp 3 % der stationären Aufnahmen bei Kindern würden aufgrund von unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAW) erfolgen. Mehr als 20 % der gemeldeten Ereignisse seien gar keine Nebenwirkungen, sondern vermeidbare Fehler, und 80 % der Fehler liegen im Bereich der ärztlichen Verordnung. Das Risiko für Medikationsfehler ist bei Kindern dreimal so hoch wie bei Erwachsenen. Häufigste Ursache für unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind Antibiotika und Antiasthmatika sowie Antiepileptika und kardiologische Präparate.
Lagler plädiert daher für eine rationale Arzneimitteltherapie im Kindesalter, die sich an den Fragen, was ist häufig, was ist relevant, orientiert. Häufige UAW sind einzukalkulieren und in der Beratung zu kommunizieren, seltene UAW sollte man erkennen und vermeidbare UAW sollte man vermeiden. Um Behandlungsfehler hintanzuhalten, sollte man einen möglichen Abusus einkalkulieren, iatrogene Intoxikationen erkennen (der „10-fach“-Dosierungsfehler ist ein typischer Fehler in der Pädiatrie) und Unterbehandlung vermeiden.
Die Auswahl des richtigen Arzneimittels für die richtige Altersstufe ist die wichtigste Maßnahme zur rationalen Arzneimitteltherapie, resümiert Lagler.

 

1 Shirkey HC, Therapeutic Orphans. J Pediatr 1968; 72(1):119–20

2 Kearns GL, Developmental pharmacology – drug disposition, action, and therapy in infants and children. N Engl J Med 2003; 349(12):1157–67

Qualitätsgesicherte altersgerechte magistrale Arzneimittel

Ziel von JUNIORMED, einem von der Österreichischen Apothekerkammer initiierten Projekt, war es, magistrale Zubereitungen für Kinder und Jugendliche österreichweit zu standardisieren. Im Rahmen der Fortbildungstagung wurde das interdisziplinär erarbeitete JUNIORMED-Kompendium nun erstmals präsentiert.

Kinder benötigen spezielle Arzneimittel in passender Dosierung. In der Praxis fehlen oft adäquate Fertigarzneimittel, so dass auf magistraliter zubereitete Arzneimittel zurückgegriffen werden muss. Für magistrale Zubereitungen fehlen jedoch oft Daten.
In einer gemeinsamen Qualitätsoffensive und in einer interdisziplinären Kooperation von Universitäten, Fachärzten und Pharmazeuten wurde eine qualitätsgesicherte Standardisierung von magistralen Rezepturen vorgenommen. Im ersten Schritt wurden alle öffentlichen Apotheken, Krankenhausapotheken, alle Pädiater und pädiatrischen Ambulanzen sowie alle niedergelassenen Allgemeinmediziner und Dermatologen angeschrieben und eingeladen, häufige, schwierige, wichtige Rezepturen einzusenden. Diese Rezepturen wurden in Fachbereiche unterteilt (Haut, HNO et cetera), sowohl nach medizinischen als auch nach pharmazeutischen Kriterien evaluiert (Prüfen auf medizinische Sinnhaftigkeit, pharmazeutische Plausibilität, galenische Stabilität und Machbarkeit et cetera), in Abstimmung mit Experten und Vertretern der jeweiligen Fachgesellschaften beurteilt und last, not least in übersichtlicher Form zusammengefasst. Im Kompendium JUNIORMED wurden schließlich 175 verfügbare, qualitätsgeprüfte Rezepturen für 8 Indikationsgebiete gelistet.