pharmaKON future 2023: Europas neue Arzneimittelgesetzgebung

Die im November 2020 von der EU-Kommission angenommene Arzneimittelstrategie hat neben dem verbesserten und sicheren Zugang zu Arzneimitteln und dem Vorantreiben von Forschung und Entwicklung bei gleichzeitiger Nachhaltigkeit und internationaler Wettbewerbsfähigkeit das Ziel, einen vereinfachten und zukunftsfitten arzneimittelrechtlichen Rahmen zu schaffen.

Neue Richtlinie und Verordnung

Im April dieses Jahres wurden die Vorschläge für eine neue Richtlinie und eine neue Verordnung zur Erneuerung der bestehenden Arzneimittelvorschriften angenommen und veröffentlicht:

  • Eine neue Richtlinie wird die Richtlinien 2001/83 und 2009/35/EC ersetzen und zudem Teile der Verordnung 1901/2006 (Kinder) inkludieren. Sie soll alle Anforderungen an Zulassung, Monitoring, Kennzeichnung und Marktzugang für alle zugelassenen Arzneimittel regeln.
  • Eine neue Verordnung wird die bisherige Verordnung 726/2004 ersetzen und die Verordnung 141/2000 (Orphan Drugs) und 1901/2006 (Kinder) inkludieren. Sie wird u. a. auch Regeln zu Lieferengpässen und zur Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) beinhalten.

Die Auswirkungen dieser beiden Gesetzeswerke sind beachtlich. Laut Wirthumer-Hoche werden die beiden Vorschläge gemeinsam etwa zwei Drittel des aktuell gültigen Arzneimittelrechts ­verändern. Zusätzlich beinhaltet die vorgeschlagene Reform der Arzneimittelgesetzgebung Empfehlungen der Europäischen Kommission hinsichtlich Antibiotikaresistenzen. Wann die Vorschläge tatsächlich in Kraft treten könnten, ist unklar. Zudem finden 2024 EU-Parlamentswahlen statt.

Was die Verbesserung des Zuganges zu leistbaren Arzneimitteln betrifft, werden Maßnahmen wie Änderungen bei der Dauer des regulatorischen Datenschutzes, monetäre Innovationsanreize und eine Verkürzung des Zeitraums bis zum Marktzugang vorgeschlagen. Ein Ausbau der Digitalisierung soll Zulassungsagenden vereinfachen.

Maßnahmen gegen Lieferengpässe

Auch Lieferengpässe sind ein Thema. So sollen die Zulassungsinhaber verstärkt in die Pflicht genommen werden und nationalen Behörden mehr Rechte zugestanden werden (z. B. Zugang zu Verkaufsdaten). Es soll sich in der EU-Gesetzgebung ein ähnlicher Passus finden, wie er hinsichtlich Sicherstellung der Versorgung bzw. Deckung des Patient:innen-Bedarfs bereits im österreichischen Arzneimittelgesetz (AMG) in § 57a Abs. 1 enthalten ist. Der Zulassungsinhaber soll ferner in einem für die Öffentlichkeit zugänglichen Register sämtliche Förderungen der öffentlichen Hand offenlegen. Hat der Zulassungsinhaber die Absicht, das Inverkehrbringen des Arzneimittels einzustellen oder die Zulassung zurückzuziehen, soll er spätestens 12 Monate vor der letzten Lieferung eine Meldung erstatten (vgl. AMG § 21 Abs. 2: 4 Monate). Gleiches gilt, wenn er keine angemessene und kontinuierliche Versorgung sicherstellen kann. Wird der Vertrieb des Arzneimittels vorübergehend eingestellt, soll eine Frist von 6 Monaten gelten. Vorübergehende Lieferunterbrechungen sollen so schnell als möglich gemeldet werden.

Die Mitgliedstaaten bzw. nationalen Behörden verpflichten sich darüber hinaus zum laufenden Monitoring von Lieferengpässen und deren Veröffentlichung. Gleichzeitig ist vorgesehen, dass die Behörden zusätzliche Informationen vom Zulassungsinhaber anfordern können. Im Fall von öffentlich verkündeten Krisensituationen werden Listen mit den entsprechend kritischen Arzneimitteln publiziert, und in diesen Fällen müssen ausführliche Informationen seitens der Zulassungsinhaber an die EMA gemeldet werden. Die seit 2022 auf EU-Ebene eingerichtete „Executive Steering Group on Shortages and Safety of Medicines (MSSG)“, die aus Interessenvertretern der Patient:innen und Ärzt:innen, Vertretern der EU-Kommission, der Mitgliedsstaaten und der EMA besteht, ist mit unterschiedlichen Fragestellungen rund um die Liefersituation der Arzneimittel betraut, u. a. auch mit den Lieferschwierigkeiten von Antibiotika in den letzten Monaten.