Pro und Contra zu Impfpflicht für Gesundheitspersonal

Der heimische Impftag stand heuer unter dem Motto „Personalisierte Medizin – Personalisierte Impfungen?“. Schauplatz war diesmal das Austria Center in Wien. Das Thema folgt dem allgemeinen Trend in der Medizin hinsichtlich individualisierter Behandlungskonzepte. Auch Neuerungen im Österreichischen Impfplan standen auf der Tagesordnung. Um die Anwenderfreundlichkeit zu erhöhen, hat man in der neuen Ausgabe die Einteilung der Kapitel überarbeitet, wie Priv.-Doz. Mag. Dr. Maria Paulke-Korinek vom Bundesministerium für Gesundheit berichtete. Die Wichtigkeit eines aktuellen Impfschutzes von Personal im Gesundheitswesen wird besonders betont. Andere Aktualisierungen umfassen eine Vereinfachung der Tabellen zu Pneumokokken, neue Empfehlungen hinsichtlich der Rotavirus-Impfung bei Frühgeborenen, Ergänzungen zur Cholera- und Gelbfieberimpfung sowie Präzisierungen zu Hepatitis A und B. Der heimische Impfplan enthält außerdem einen Link zur europäischen Datenbank gemeldeter Verdachtsfälle von Arzneimittelnebenwirkungen. Das Kapitel zu „Impfungen für Personen ohne Impfdokumentation“ wurde präzisiert.

Eine interessante Pro- und Contra-Session boten Ao. Univ.-Prof. Dr. Heidemarie Holzmann (Leiterin des Nationalen Referenzzentrums für Masern, Mumps und Röteln sowie des Referenzlabors für Hepatitis Viren an der MedUni Wien) und Univ.-Prof. Dr. Werner Zenz (Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde, MedUni Graz) zum Thema Impfplan oder individuelle Impfempfehlung. Holzmann sprach sich für Empfehlungen über einen Impfplan aus. Hohe Durchimpfungsraten würden hohe Schutzraten bewirken. Außerdem sei die Compliance der Bevölkerung hoch und die Durchführbarkeit durch die Synchronisation leichter. Die Alternative, eine individuelle Titerbestimmung, sei nicht für alle Impfstoffe möglich. Sie eigne sich außerdem nicht für die Etablierung einer Herdenimmunität. Für bestimmte Risikogruppen erachtet sie die individuelle Titerbestimmung dennoch als sinnvoll, nämlich für immunsupprimierte Patienten, chronisch Kranke und MS-Patienten. Zenz sprach sich für die individuelle Impfentscheidung aus. Eine Herdenimmunität helfe nur bei Erkrankungen, die von Mensch zu Mensch übertragen werden, aber für FSME oder Tetanus sei dies nicht relevant. Er findet es gut, dass es einen Impfplan gibt, aber für die individuelle Situation sollten Subgruppen definiert werden. Die beiden Referenten kamen zum Konsens, dass ein Impfplan wichtig ist, aber man für Neuerungen offen bleiben solle.

Impfungen in Schwangerschaft und Stillzeit

Im Rahmen eines von Frauenärzten zu propagierenden Programms „Prepare for pregnancy“ sollen die notwendigen Impfungen bereits vor der Schwangerschaft aufgefrischt werden. Das gilt vor allem für die Rötelnimpfung, die Varizellenimpfung und – wenn saisonal möglich – für die Influenzaimpfung. Pro- und Contra-Statements zum Zeitpunkt einer Impfung gab es von Univ.-Prof. Dr. Angelika Berger (Leiterin der Klinischen Abteilung für Neonatologie, Pädiatrische Intensivmedizin und Neuropädiatrie, MedUni Wien) und Univ.-Prof. Peter Husslein (Vorstand der Univ.-Klinik für Frauenheilkunde Wien, Abteilung für Geburtshilfe, MedUni Wien). Berger setzt sich für eine Aktualisierung aller empfohlenen Impfungen vor der Schwangerschaft ein. Hinsichtlich Influenza sprach sie eine klare Empfehlung zur Impfung in Schwangerschaft und Stillperiode vor und während der Influenzasaison aus. Zur Pertussisimpfung in der Schwangerschaft sei eine hohe Effektivität belegt. Der Fokus liege auf dem Schutz des Neugeborenen. Zudem seien viele Säuglinge in den ersten zwei bis drei Lebensmonaten anfällig für viele Infektionen, aber nicht durch eine Impfung zu schützen. Schwangere hätten hingegen einen hervorragenden Zugang zu medizinischer Beratung, die Datenlage zur Sicherheit bei einer Impfung in der Schwangerschaft sei gut, und man hätte somit ein hohes Potenzial, Mutter und Kind zu schützen. Gegen Varizellen sollte jedenfalls vor der Schwangerschaft geimpft werden. Husslein stimmte in seinem Vortrag Berger in den meisten Punkten zu. Prinzipiell sollten Impfungen schon vor Beginn der Schwangerschaft durchgeführt werden. Gynäkologische Ordinationen und Ambulanzen würden eine gute Gelegenheit dazu bieten. Aufklärung und Information aller Schwangeren seien besonders wichtig, etwa wenn man an den schweren Verlauf einer Influenza im zweiten und dritten Trimenon der Schwangerschaft denke. Husslein wies allerdings auch darauf hin, dass Standardimpfungen auch während des Stillens möglich seien. Die Antikörper würden dann über die Muttermilch übertragen, es komme damit zu einem „Nestschutz“.

Impfpflicht für Gesundheitsberufe?

Auch am diesjährigen Impftag waren verpflichtende Impfungen für das Gesundheitspersonal wieder ein Thema. Bevor es zu den Pro- und Kontra-Statements ging, gab es eine Umfrage im Saal. Daraus ergab sich, dass rund 70 % des Saalpublikums gegen Masern, Mumps und Röteln geimpft waren. 80 % hatten eine Varizellen-Erkrankung durchgemacht, 13 % wussten nicht über ihre Immunität Bescheid. Eine Influenza-Impfung ist für 40 % selbstverständlich. 60 % wussten über ihren aufrechten Impfschutz gegen Pertussis Bescheid, immerhin 20 % waren informiert, dass die nächste Auffrischung ansteht. In ihrem Pro-Statement erläuterte Dr. Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt, dass Impfen eine gesellschaftspolitische Verantwortung ist. Interventionen verhindern erheblichen Schaden an Dritten, während die Nebenwirkungen einer Impfung gering sind. Impfungen vermeiden Krankheit, und es stellt sich laut Druml die Frage, ob eine Durchimpfungsrate freiwillig erreichbar ist. Alle Menschen sollen von der Impfpflicht auf gleiche Weise profitieren. Diese Aspekte werden auch in der Empfehlung der Bioethikkomission vom 1. Juli 2015 angesprochen. Das Kontra-Statement wurde von Prof. Dr. Ulrich Heininger, Facharzt für Pädiatrie und Infektiologie am Universitätskinderspital beider Basel (UKBB), vorgetragen. Heininger bezweifelt den nachhaltigen Nutzen verpflichtender Impfungen und sieht eine Verletzung der individuellen Entscheidungsfreiheit. Eine Verpflichtung fördere Widerstand bis hin zum Boykott. Weiters sei unklar, welche Impfungen verpflichtend werden sollen – Influenza, Hepatitis B, Pertussis oder doch alle? Heiningers Vorschlag: Man sollte Anreize schaffen, damit sich das Personal freiwillig impfen lässt.

Univ.-Prof. Dr. Herwig Kollaritsch, Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien, trug zum Thema Reiseimpfungen vor. Um die richtige situationsangepasste Prophylaxe zu ergreifen, sind die Reiseumstände präzise zu beurteilen. Die Person, die Demografie, gesundheitliche Beeinträchtigungen und das Sicherheitsbedürfnis. Ausschlaggebend für eine Impfempfehlung sei auch, welche Reiseroute im Urlaubsland gewählt werde, da es regionale Unterschiede hinsichtlich des Auftretens von Krankheiten gebe. Einen wichtigen Aspekt erwähnte Kollaritsch im Hinblick auf die Ausreise von in Österreich lebenden Migranten in ihre Ursprungsländer – bekannt unter dem Schlagwort „visiting friends and relatives“. Viele dieser Menschen denken nämlich, sie fahren ja ohnehin nur nach Hause und würden deshalb keine Impfungen benötigen.

 

Literatur:

Abstractbook Österreichischer Impftag, 16. 1. 2016

Österreichischer Impfplan 2016