Probiotika: Qualitätskriterien unter der Lupe

Probiotika sind laut WHO-Definition „lebende Mikroorganismen, die in ausreichender Menge konsumiert einen positiven Effekt auf die Gesundheit haben“. Für die Einstufung der Qualität wurden in der Vergangenheit verschiedene Kriterien definiert. Die in einem Probiotikum enthaltenen Stämme müssen Humanstämme sein. Ein wichtiges Kriterium ist die Sicherheit. Die Einnahme muss langfristig ohne Nebenwirkungen möglich sein. Die Sicherheit wird durch die European Food Safety Authority (EFSA) gewährleistet. Mikrobielle Spezies, die für Nahrungszwecke verwendet werden, durchlaufen einen „Qualified Presumption of Safety“-Prozess (QPS). Im Zuge dessen wird untersucht, ob die taxonomische Einheit bekannt ist. Weiters erfolgt eine Bewertung, ob das Wissen zu Pathogenität, Einsatzzielen und Sicherheit ausreicht. Sind die Voraussetzungen erfüllt, bekommt der Stamm den QPS-Status. Die EFSA veröffentlicht auch Listen mit all jenen Keimen, die diesen Status haben. Die Stämme sollten außerdem gegenüber gängigen Antibiotika sensibel und mittels gängiger diagnostischer Verfahren in Patientenproben nachweisbar sein. Ein bedeutsamer Faktor ist die genetische Stabilität, die dafür sorgt, dass ein Stamm nicht Pathogenitätsfaktoren oder Resistenzgene anderer Keime übernimmt.*

Mikrobiom-Experte Doz. Dr. Alexander Haslberger vom Department für Ernährungswissenschaften an der Universität Wien macht auf ein weiteres wichtiges Kriterium aufmerksam: die Überlebensfähigkeit. „Dabei geht es darum, wie viel Prozent der eingenommenen Bakterien die schwierigen Bedingungen im Verdauungstrakt bewältigen: Der pH-Wert im Magen, die Gallensäuren und anaerobe Bedingungen machen es schwer, dass es die Keime bis in den Dünn- und Dickdarm schaffen und dann noch metabolisch aktiv sind oder einige Zeit wachsen.“ Dabei kommt es auch auf eine ausreichend hohe Bakterienzahl an, damit dieses schwierige Unterfangen bewerkstelligt werden kann. „Man setzt ein bis 50 Milliarden Keime pro Dosis ein, die bis Ablauf des Haltbarkeitsdatums größtenteils noch lebensfähig sein sollten“, sagt Haslberger.

Stammeigenschaften genau betrachtet

Bei den Wirkungen ist es laut dem Experten entscheidend, dass man die Eigenschaften des jeweiligen Stammes und nicht jene der Art oder der Gattung betrachtet. „Eine Gattung umfasst viele Stämme. Dabei können einige vielleicht probiotisch sein, andere aber völlig unwirksam.“ Daher sei es so wichtig, die genaue Stammbezeichnung anzugeben, was aber manche Hersteller nicht tun. Das wiederum erschwert es dann dem Konsumenten, die Eigenschaften nachzuprüfen. „Außerdem kaufen Händler und Zwischenhändler oft Stämme von unterschiedlichen Lieferanten ein und mischen diese dann und verkaufen sie weiter. Das macht es dann ebenfalls schwer, die Eigenschaften der in probiotischen Produkten enthaltenen Stämme genau nachzuvollziehen.“ Ist diese Nachvollziehbarkeit allerdings gegeben und der Stamm genau angegeben, dann hat das jeweilige Probiotikum ein eindeutiges Qualitätsmerkmal.

Die spezifischen Eigenschaften der Stämme gilt es laut Haslberger gut zu untersuchen. „Aus der Forschung der letzten Jahre haben wir gelernt, dass es nicht Stämme gibt, die generell wirksam sind, sondern einzelne Stämme haben für gewisse Funktionen eine besondere Wirksamkeit. So mag es einen Stamm geben, der für die Abwehr von Pathogenen besonders gut wirkt und damit etwa zur Vorbeugung von Durchfällen geeignet ist. Ein anderer Stamm wiederum mag bestimmte Eigenschaften des Immunsystems fördern, ein weiterer möglicherweise Intoleranzreaktionen entgegenwirken. Diese Wirksamkeiten so genau und spezifisch zu untersuchen, finde ich auch wirklich wichtig, da es in diesem Bereich nach wie vor schwierige Behauptungen gibt. Ein Beispiel dazu: wenn etwa im metabolischen Bereich gesagt wird, dass das Missverhältnis Firmicutes zu Bacteroidetes wichtig ist und dann zumeist Stämme der ungewollten Gruppe gegeben werden.“

Der Nachweis der Wirkung ist ebenfalls ein wichtiges Qualitätskriterium. Er sollte sowohl in vitro als auch in klinischen Studien am Menschen erfolgen. Wie sieht Haslberger den momentanen Stand der Forschung zur Herstellung probiotischer Stämme? „Zurzeit haben wir größtenteils probiotische Stämme aus dem Bereichen Laktobazillen und Bifidobakterien. Diese werden deshalb verwendet, weil sie sicherlich nicht pathogen sind. Außerdem können sie in aeroben Bedingungen wachsen, was für die Produktion der Stämme natürlich wichtig ist.“ Etwas bedauert er jedoch: Bakterien, die etwa auch kurzkettige Fettsäuren produzieren, sind meist strikt anaerob und daher auch schwer herzustellen. Außerdem ist es schwierig, sie auch so zu verpacken, dass sie lebend die richtigen Darmabschnitte erreichen. Dennoch wird die Produktion solcher Probiotika in den kommenden fünf Jahren eine wichtige weitere Entwicklung darstellen und zu gut wirksamen Probiotika führen.“ Ein wichtiges Anliegen wäre es, butyrogene Bakterien zu produzieren. Als großes Feld für die Entwicklungen von zukünftigen Probiotika sieht Haslberger das Gebiet des Zentralnervensystems, Stichwort Darm-Hirn-Achse. „Darin sehe ich eine der ganz wichtigen künftigen Entwicklungen.“ Auch Hinweisen auf spannende Interaktionen zwischen Probiotika und Präbiotika werde man künftig verstärkt nachgehen.

Abseits von probiotischen Nahrungsergänzungsmitteln, diätetischen Lebensmitteln und Arzneimitteln gibt es probiotische Bakterienstämme auch in Lebensmitteln, wie zum Beispiel in Joghurt. Nun stellt sich die Frage, aus welchem Grund man nicht einfach zu Joghurts greift, um die Darmgesundheit zu unterstützen oder einer Dysbiose entgegenzuwirken. Haslberger meint dazu, entscheidend sei die konzentrierte Form, weil sie eine größere Zahl von Bakterien aufweise, und dadurch für eine bessere Stabilität bis in den Dickdarm sorge. Vom Joghurtessen rät er trotzdem nicht ab: „Wir finden auch immer wieder gute Stämme in Naturjoghurts.“ Eine Frage, die sich viele Konsumenten und Patienten stellen, ist freilich noch offen: Reguliert sich der Darm bei einem ausgewogenen, ballaststoffreichen Lebensstil nicht auch von selbst? Haslberger dazu: „Wenn jemand keine erblichen Probleme hat in diesem Bereich, auch keine Krankheiten hat und ein sehr stressfreies Leben führt mit viel Bewegung und sehr guter Ernährung wird er wahrscheinlich kaum Probiotika und auch kaum andere Nahrungsergänzungsmittel brauchen.“ Wichtiger Zusatz: „Aber leider ist unsere Welt nicht so.“

 

Literatur:

* Stadlbauer-Köllner, Gastroenterologie up2date 2017