Stress: Unterstützung aus dem Pflanzenreich

Die relativ unscharfe Bezeichnung „Stress“ lässt sich am ehesten als Störung des Gleichgewichtes zwischen den Anforderungen aus der Umwelt und den Reaktionsmöglichkeiten des Individuums interpretieren. Insbesondere chronischer Stress als kontinuierlicher Erregungszustand kann sich nicht nur in Beeinträchtigungen des Wohlbefindens, sondern auch in psychosomatischen und psychischen Erkrankungen, Schlafstörungen oder ­Erkrankungen gastrointestinaler oder ­kardiovaskulärer Natur niederschlagen. Neben Maßnahmen mit stressausweichender bzw. -abbauender Absicht können pflanzliche Wirkstoffe helfen, die Resilienz zu stärken, ängstliche oder nervöse Befindlichkeiten zu lindern und den wohlverdienten Schlaf wiederzufinden.

Das adaptogene Konzept

Bei Erschöpfungszuständen eingesetzte pflanzliche Mittel sollten generell nicht aufputschend wirken. Im Unterschied zu Stimulanzien kann man sagen, dass adaptogene Pflanzenauszüge zu einer erhöhten Leistungsfähigkeit führen, ohne dass eine Phase verminderter Leistungsfähigkeit folgt. Zudem sind das Abhängigkeitspotenzial und die Toxizität gering. Adaptogene sollen eine normalisierende Wirkung auf den Organismus haben und ihm helfen, sich besser an geänderte Umweltbedingungen, sei es physikalischer, chemischer, biologischer oder psychologischer Natur, anpassen zu können. Derartigen Pflanzenauszügen werden pleiotrope therapeutische Effekte zugeschrieben. So wurden je nach Pflanze neuroprotektive, antioxidative, immunmodulatorische sowie die Proteinsynthese stimulierende Wirkungen usw. nachgewiesen.Ursprünglich geht das adaptogene Konzept auf Wissenschafter aus der ehemaligen Sowjetunion zurück, aber auch die EMA/HMPC (European Medicines Agency/Committee on Herbal Medicinal ­Products) hat sich damit auseinandergesetzt, konnte sich aber nicht zu einer eigenen Kategorie entschließen. So werden Ginseng, Rosenwurz und Taigawurzel als traditionelle pflanzliche Arzneimittel („traditional use“) eingestuft. Die Anwendungsgebiete reichen von Müdigkeit und Schwäche bis hin zur Linderung von Stresssymptomen sowie zur Behandlung von Erschöpfungszuständen.

Schlafstörungen und innere Unruhe

Bevor im Zusammenhang mit Schlafstörungen und innerer Unruhe zu Tranquilizern wie etwa Benzodiazepinen u. Ä. geraten wird, ist ein Versuch mit Phytotherapie sinnvoll. Zu beachten ist, dass alle pflanzlichen Arzneimittel ihre volle Wirkung erst nach ein bis zwei Wochen entfalten. Die Vorteile: Es gibt keine Abhängigkeit und keine Hangover-Effekte. Zudem sind pflanzliche Arzneimittel in den überwiegenden Fällen wechselwirkungs- und nebenwirkungsarm. Die nachstehend erwähnten Arzneipflanzen wirken auch tagsüber ausgleichend, ohne müde zu machen.

Die European Medicines Agency (EMA) listet aufgrund von „well-established use“ und/oder „traditional use“ folgende pflanzliche Arzneimittel zur Behandlung von Schlafstörungen und zur Linderung leichter nervöser Anspannungen: Zubereitungen aus Baldrianwurzel, Hopfenzapfen, Passionsblumenkraut, Melissenblättern und – vor allem wenn eine gewisse ängstliche Grundstimmung vorhanden ist – aus Lavendelblüten bzw. -öl. Lavendel kann zusätzlich noch bei funktionellen Oberbauchbeschwerden (nervöser Reizmagen, Meteorismus etc.) lindernd wirken, Ähnliches gilt für die Melisse. Häufig findet man auch Kombinationspräparate am Markt, was in diesem Fall durchaus sinnvoll ist, da hier gegebenenfalls additive Effekte zum Tragen kommen.

Leichte Depressionen

Als milde pflanzliche Antidepressiva gelten diverse Zubereitungen aus Johanniskraut. Diese können auch bei Angst- und Unruhezuständen eingesetzt werden. Eine Vielzahl an klinischen Studien wurde seit Mitte der 1980er-Jahre sowohl im Vergleich zu Placebo als auch zu synthetischen Antidepressiva durchgeführt, und so zählen Johanniskrautextrakte bzgl. Wirksamkeit und Unbedenklichkeit heute zu den am gründlichsten geprüften Arzneimitteln. Es gibt Zubereitungen nach „well-established use“ und nach „traditional use“. Ohne detailliert auf die Inhaltsstoffe einzugehen, sei abschließend auf das Wechselwirkungspotenzial (Wirkungsabschwächung via CYP3A4 und P-gp) mit anderen Arzneimitteln wie Cumarinen, Ciclos­porin und Tacrolimus, Kontrazeptiva, ­etlichen HIV-Therapeutika und verschiedenen synthetischen Antidepressiva hingewiesen.