„Stress verändert das Darmmikrobiom“

Die wechselseitige Kommunikation zwischen Magen-Darm-Trakt und Gehirn beschäftigt die Wissenschaft schon lange. Sie wurde nämlich bereits unabhängig vom Mikrobiom erforscht. Dr. Peter Holzer vom Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie der Medizinischen Universität Graz erklärt: „Die Wahrnehmung, ob der Magen voll ist oder nicht, die Empfindung von Schmerzen im Bauchraum oder auch der Drang, eine Toilette aufzusuchen – das alles ließ schon früh darauf schließen, dass es eine Verbindung zwischen Bauch und Gehirn gibt.“ Die genannten Wahrnehmungen werden von sensiblen Nerven im Magen-Darm-Trakt gesteuert. „Was man allerdings lange nicht wusste und erst durch bildgebende Verfahren im Gehirn herausgefunden hat: Es gibt einen ständigen Fluss von Informationen ins Gehirn, der uns nicht notwendigerweise bewusst wird“, sagt der Universitätsprofessor für Experimentelle Neurogastroenterologie.

Dieser Informationsfluss würde nicht alleine durch Nerven bewerkstelligt, sondern unter anderem durch Darmhormone. Immerhin produziere der Darm mehr als 20 verschiedene Hormone, die nicht nur Hunger und Sättigung beeinflussen, sondern auch emotional-affektive Prozesse und damit die Gemütslage. Auch das Immunsystem des Darms soll nicht unerwähnt bleiben. Schlägt dieses aufgrund von Pathogenen und Antigenen Alarm, werden Zytokine produziert. Sie können über die Zirkulation auch ins Gehirn gelangen. Holzer zu den Konsequenzen daraus: „Manche Symptome wie Erschöpfung, Schläfrigkeit oder ein großes Ruhebedürfnis haben durchaus mit diesen Zytokinen zu tun.“

Die Art der Zusammensetzung des Darmmikrobioms wirkt sich auf das Gehirn aus. Dazu werden drei Informationskanäle genutzt: Nerven, Hormone, Zytokine. Die gesamte Fülle und Vielfalt der Darmbakterien wurde erst offensichtlich, als es gelang, sie zu sequenzieren. Die Zusammensetzung des Mikrobioms kann heute zwar bestimmt werden, doch es stellt sich die Frage, was man unter „normal“ versteht. „Bei den großen Gruppen Bacteroidetes und Firmicutes haben in Österreich lebende Menschen eine ähnliche Zusammensetzung“, sagt Holzer. „Betrachtet man aber Familien, Gattungen und Spezies, kann es große individuelle Unterschiede geben. Ein anderer Kulturkreis, eine andere Ernährung – und schon kann die Zusammensetzung ganz anders aussehen.“ Wie hängt das Darmmikrobiom nun mit dem Gehirn und dem psychischen Wohlbefinden zusammen? „Die erste Idee eines Zusammenhangs hat man bekommen, als sich bei verschiedenen neuropsychiatrischen Erkrankungen ein verändertes Mikrobiom gezeigt hat. Offen bleibt noch, was die Ursache und was die Wirkung ist.“ Stress führt laut Holzer nachweislich zu einer Veränderung im Darmmikrobiom, wie man im Tierversuch mehrfach bestätigen konnte. Wie genau diese Veränderung aussieht, ist unterschiedlich. „Es kann die Vielfalt der Stämme sinken, das muss aber nicht sein“, sagt Holzer. „Es kann sogar sein, dass die Zahl der Stämme zunimmt, aber die Zusammensetzung einfach nicht mehr stimmt.“
In einer tierexperimentellen Studie erhielten Mäuse acht Wochen lang eine stark fetthaltige Kost. Holzer berichtet über die Ergebnisse: „Neben der Gewichtszunahme kam es dabei auch zu Veränderungen im Mikrobiom. Die Balance zwischen Bacteroidetes und Firmicutes hatte sich verändert. Ebenfalls interessant war, dass die Tiere ein Verhalten zeigten, das jenem einer depressiven Maus ähnelte.“

State of the Art sind Untersuchungen mit keimfreien Mäusen, die man mit dem Mikrobiom einer normalen Maus besiedelt. Dabei gibt es laut Holzer sehr markante Effekte und Unterschiede zwischen keimfreien und neu besiedelten Tieren. „Die keimfreien Mäuse sind anders. Das Neurotransmitter- und Neuropeptidsystem unterscheidet sich von jenem ihrer Artgenossen, sie weichen im Verhalten ab und haben kognitive Einschränkungen. Auch die Blut-Hirn-Schranke ist durchlässiger. Damit haben wir Hinweise, dass das Mikrobiom für die Entwicklung der Gehirnfunktionen eine große Bedeutung hat.“ Holzer bremst aber eine allzu starke Interpretation: „Nicht alles, was diesen Mäusen fehlt, hat mit dem Fehlen eines Mikrobioms zu tun.“ Der Experte berichtet über weitere Studien mit keimfreien Mäusen. Eine chinesische und eine irische Forschergruppe haben demnach das Mikrobiom von depressiven Menschen auf keimfreie Mäuse übertragen. Das Ergebnis: Die Mäuse hatten Anzeichen einer Depression.