Versandhandel: Druck auf Standesvertretung wächst

Der Druck auf stationäre Apotheken steigt: Online-Apotheken boomen, die niederländische Versandapotheke Shop Apotheke meldet coronabedingt erstmals Gewinne, und der Onlinegigant Amazon startet eine eigene Versandapotheke. Nachdem Apothekervertreter weiter auf eine Impfmöglichkeit in Apotheken drängen, kam nun auch eine Retourkutsche der Ärzteschaft. Und die hat es in sich: MR Dr. Dietmar Bayer, Vizepräsident der steirischen Ärztekammer und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Telemedizin, fordert eine Liberalisierung des „verknöcherten österreichischen Apothekenmarkts“, wie er es formuliert. Während die Telemedizin boome, herrsche im österreichischen Medikamentenhandel, „der fast vollständig von kleinen Apotheken beherrscht wird, mehr oder minder Steinzeit“. Bayer fordert „eine umfassende, qualitätsgesicherte Liberalisierung des Zugangs zu Medikamenten für die Österreicherinnen und Österreicher“. Und zwar zu rezeptpflichtigen Medikamenten. Bayer: „Es gibt Telemedizin und Telebanking, selbst sensible Amtsgeschäfte können online erledigt werden. Es gibt keinen Grund, auch für Medikamente das Web nicht zu nutzen – nur die Apotheken verhindern das mit fadenscheinigen Argumenten.

Berater hilft „Shop Apotheke”

Die Reaktion der Standesvertretung bleibt allerdings aus. Denn zeitgleich herrscht innerhalb viel größere Aufregung aus einem anderen Grund: Eine führende Gesundheitsagentur, welche die Österreichische Apothekerkammer, den Österreichischen Apothekerverband und den Oberösterreichischen Apothekerverband als wichtige Kunden führt, wirbt für den Versandriesen Shop Apotheke, der den Markt in Österreich aufbrechen will. In einem Schreiben an Gesundheitssprecher im Parlament bittet der Geschäftsführer der Consultingsparte der Gruppe im Namen der Shop Apotheke um einen Gesprächstermin. Der Inhalt: „Die Liberalisierung des Versandes von rezeptpflichtigen Medikamenten“ und der damit „einhergehende Bestellvorgang über hochqualitative und zertifizierte Onlineapotheken“ solle eine Konsequenz auf die Corona-Krise sein. Das Schreiben liegt der Apotheker Krone vor. Mitgeschickt wird ein Strategiepapier.

Zustellung rezeptpflichtiger Produkte

Und dessen Inhalt dürfte den heimischen Apothekern so gar nicht gefallen. „Shop Apotheke bietet jedermann die digitale Chance, zu den wichtigsten Heilmitteln beraten und zuverlässig mit ihnen versorgt zu werden“, heißt es da gleich zu Beginn. Und weiter: „Mit über 100.000 hochqualitativen Heilmitteln und weiteren gesundheitsbezogenen Produkten, ausschließlich aus Österreich und Deutschland“, sei Shop Apotheke „ein sicheren Hafen in der ‚kontaktlosen‘ Versorgung“. Shop Apotheke berate „kontaktlos“ mit rund hundert pharmazeutischen Mitarbeitern an sechs Tagen der Woche und garantiere eine Lieferung des Orginalpräparates innerhalb von 1 bis 2 Werktagen. Jetzt – so der Wunsch des Unternehmens – sollte „die Zustellung rezeptpflichtiger Medikamente, zumindest temporär und besonders in Zeiten der ­Gefährdung durch COVID-19, auch in Österreich ermöglicht werden“.

 

„SHOP APOTHEKE setzt sich hierfür (Liberalisierung des Versandes von rezeptpflichtigen Medikamenten, Anmerkung der Redaktion) maßgeblich ein und möchte, durch ihre Expertise und Erfahrung, besser verstehen, wie das Vorhaben im Gleichklang mit weiteren Stakeholdern schnellstmöglich umgesetzt werden kann, welche Schnittstellen zu kontaktieren sind und welche weiteren Inputs und Ideen Sie uns mitgeben können.“

Schriftliche Anfrage einer Consultingagentur an die Gesundheitssprecher der Parlamentsparteien

 

 

Apothekerverband „schockiert“

Im Apothekerverband haben wir am 1. 12. von diesem Umstand Kenntnis erlangt. Wir waren und sind nach wie vor schockiert und überrascht von dieser Vorgehensweise“, teilt Verbandspräsident Mag. pharm. Jürgen Rehak auf Anfrage mit. „Selbstverständlich haben wir umgehend überprüft, wo es geschäftliche Beziehungen zur Gruppe und ihren Unternehmungen gibt.“ Eine solche habe in einer Zusammenarbeit mit einem Verein im Rahmen eines Gesundheitsforums und bei der Entstehung eines Weißbuchs zur Zukunft des Gesundheitswesens bestanden. „Diese Zusammenarbeit haben wir umgehend vollumfänglich gestoppt. Andere geschäftliche Beziehungen zur Gruppe und ihren Teilunternehmungen gibt es nicht“, versichert Rehak: Der Oberösterreichische Apothekerverband habe – obwohl er auf deren Website genannt wird – keine Geschäftsbeziehung zur Gruppe. Oberösterreichs Verbandspräsident Präsident Mag. pharm. Thomas Veitschegger selbst war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Die Apothekerkammer, die ebenfalls auf der Website geführt wird und deren Präsidentin Mag. pharm. Dr. Ulrike Mursch-Edlmayr nicht nur regelmäßig bei Veranstaltungen der Agentur auftrat, sondern auch einen eigenen Lobbyingsalon mit dieser betrieben hat, bestätigte ebenfalls eine Zusammenarbeit – allerdings nur über die Oö-Landesgeschäftsstelle. Die Agentur selbst hat den Apothekerverband aus der Kundenauflistung auf seiner Website gelöscht. Nach wie vor als Kunde geführt wird dort die Österreichische Apothekerkammer (Stand Redaktionsschluss).

Verband will selbst Zustellung

Für Debatten innerhalb der Standesvertretung sorgt aber auch ein Papier des Apothekerverbandes, in dem dieser ebenfalls eine Zustellung von rezeptpflichtigen Arzneimitteln vorschlägt. Und die Argumentation für das Konzept ähnelt jenem von Shop Apotheke. „Pflegebedürftige wollen/sollen vermehrt zu Hause gepflegt und versorgt werden. Akut Erkrankte sollen zeitnah mit Medikamenten beliefert werden“, heißt es im Text des Apothekerverbandes. Die österreichischen Apotheken wollen daher die Arzneimittelversorgung „auch außerhalb von Corona-Zeiten umfassend sicherstellen“. Brisant: Zustellung bedeutet für den Verband, die „Lieferung von Arzneimitteln durch Apothekenpersonal oder eine von der Apotheke beauftragt und dazu qualifizierte Person aus der Apotheke direkt an den Kunden (das kann auch ein externer Dienstleister sein)“. Generell soll es eine Zustellungsgrenze von 20 Kilometer geben, so der Apothekerverband, „ausgenommen ist die Zustellung in Gegenden, wo zwischen Apotheke und der geplanten Zustelladresse keine versorgungswirksame Apotheke ihren Sitz hat“.

Ähnliche Argumente

Im Papier von Shop Apotheke wird die Marktöffnung ebenfalls mit der Corona-Krise argumentiert. „Sichere und zuverlässige Versorgung mit Arzneimitteln ist für jedermann wichtig. Besonders darauf angewiesen sind Personen, die Einschränkungen aufgrund ihrer Mobilität und/oder ihres Gesundheitszustandes vorweisen“, heißt es darin. Und auch das Thema der Versorgungslücken wird aufgegriffen. Im Text liest sich das so: „Shop Apotheke ist eine Ergänzung zu den Betriebszeiten der physischen Apotheke, da die Bestellung rund um die Uhr abgewickelt werden kann und der direkte Versand an die Heimadresse ermöglicht wird. Dadurch werden Lücken insbesondere in der ländlichen Versorgungsstruktur sowie für eingeschränkt mobile Personen geschlossen.“

Umfrage zeigt Unmut

Im Apotheker Krone-Interview hatte zuletzt der renommierte Handelsexperte und E-Commerce-Spezialist der Wirtschaftsuniversität Wien, Anton Salesny, die Apotheker davor gewarnt, über eine Zustellung von Medikamenten nachzudenken. „Es ist zu bedenken, inwiefern so eine Entscheidung unter Umständen anderen Unternehmen – die nicht vor Ort sind – ebenfalls die Möglichkeit bietet, diese Serviceleistung anzubieten und die stationären Apotheken damit unter Druck geraten.“ Salesny forderte allerdings rasche Antworten der Apotheken auf den Druck der Versandapotheken ein. Das wünschen sich offenbar auch die Apotheken: Eine aktuelle Umfrage der Apotheker Krone gemeinsam mit dem Onlineportal Relatus pharm zeigte, dass 79 % der Leser denken, dass sich die Standesvertretung mit ihren Plänen zum Versandhandel verzettelt hat. Nur 21 % sehen die Standesvertretung auf einem guten Kurs.