Virologie aktuell: Verlaufszahlen, Immunität und Sinn von Massentests

Apotheker Krone: Wir sind mit großer Geschwindigkeit in eine zweite Infektionswelle gekommen? Wie ist es aus Ihrer Sicht dazu gekommen?

Priv.-Doz. Dr. Monika Redlberger-Fritz: Bei einem exponentiellen Wachstum dauert es anfangs, bis die Zahlen steigen. Es braucht mehrere Verdoppelungszyklen, bis dies im vollen Ausmaß sichtbar wird. Während wir im Frühjahr von einem niedrigen Niveau ausgegangen sind, hatten wir dieses im Sommer nicht. Es gab eine Grundzirkulation des Virus, weshalb es sich – begünstigt durch Reisetätigkeiten – in Europa weiter verbreitet hat. Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass das Virus eben da ist und dass wir es nur durch die entsprechenden Hygienemaßnahmen eindämmen können. Das wird auch nach dem Lockdown noch so sein.

Welche aktuellen Zahlen bezüglich der Art des COVID-19-Verlaufs können Sie uns nennen?

80 Prozent der Infektionen verlaufen mild oder asymptomatisch. Bei 15 Prozent der Fälle kommt es zu Hospitalisierungen, 5 Prozent verlaufen sehr schwer. Die Rate an Fällen, die auf die Intensivstation müssen, liegt bei 1 Prozent. Interessant ist auch ein Vergleich der aktuellen österreichischen Daten mit Zahlen aus China aus dem Februar. Es zeigt sich nahezu kein Unterschied!

In einem Interview, das Sie uns im Frühling gegeben haben*, sprachen Sie davon, dass man schon 24 bis 48 Stunden vor dem Symptombeginn Viren ausscheidet. Gibt es hierzu neue Aufschlüsse und Daten?

Wir wissen, dass man rund 48 Stunden vor dem Beginn von Symptomen infektiös ist und dass dies vor allem unmittelbar vor dem Ausbruch der Fall ist. Die Tatsache, dass geraume Zeit vor dem Auftreten eines Symptoms eine hohe Infektiosität besteht, macht es auch so schwer, das Virus zu kontrollieren.

Wie steht es um die Immunität ehemals Erkrankter? Zuletzt war zu lesen, dass für eine gewisse Zeit eine gute Immunität besteht. Ist das schon gesichertes Wissen?

Personen mit schwere COVID-19-Verläufe weisen deutlich höhere Antikörperspiegel auf. Man kann davon ausgehen, dass diese Menschen längere Zeit immun sind. Leichte Verläufe haben weniger hohe Antikörperspiegel. Erste Daten von Fallbeispielen zeigen: Die Wahrscheinlichkeit für eine Reinfektion war bisher sehr niedrig. Es gibt zwar einige Ausnahmen, hier weiß man aber noch nicht, wieso es zu einer erneuten Infektion gekommen ist.

Die ganze Welt forscht seit Monaten an einem neuartigen Virus. Gibt es Aspekte, die Sie in den vergangenen Monaten überrascht haben, wenn man sich erste Einschätzungen aus dem Frühling vor Augen führt?

Was mich wirklich überrascht hat, war das hohe Tempo der Impfstoffentwicklung. Ebenfalls erfreulich sind die guten Nebenwirkungsprofile, wie wir sie nun bei den mRNA-basierten Impfstoffen sehen.

Ist aus Ihrer Sicht mit dem baldigen Beginn der Impfungen ein Ende der Pandemie absehbar?

Das hängt von der Durchimpfungsrate ab. Wir benötigen eine Rate von 50–60 Prozent. Im Frühjahr war die Stimmung dafür noch sehr positiv, mittlerweile hat man aber den Eindruck, dass sich immer weniger Menschen impfen lassen wollen.

So wie es derzeit aussieht, wird es sogar mehrere Impfstoffe geben. Wie wird der Entscheidungsprozess ablaufen, wer welchen Impfstoff verabreicht bekommt?

Dazu werden in Kürze Leitlinien erarbeitet werden. Mehrere Faktoren sind diesbezüglich ausschlaggebend. Das ist zum einen die Verfügbarkeit des Impfstoffes in Österreich. Zum anderen muss man sich Ergebnisse aus den Phase-III-Studien anschauen: Was sagen die Daten zur sterilisierenden Immunität einer Vakzine, und welche Nebenwirkungsraten hat es in welchen Altersgruppen gegeben? Darauf basierend wird entschieden, welche Gruppen welchen Impfstoff erhalten.

Was halten Sie persönlich von den geplanten Massentests in Österreich? Was erwarten Sie sich davon?

Mittels Massenschnelltests können wir Menschen identifizieren, die eine hohe Viruslast mit sich tragen, auch asymptomatische Fälle. Das hilft dabei, Infektionsketten zu unterbrechen und die Zirkulation des Virus in einem großen Kollektiv nach unten zu drücken. Damit ließen sich auch verschiedene Einschränkungsmaßnahmen wieder lockern. Allerdings, und das sollte auf jeden Fall an alle Teilnehmer kommuniziert werden, ist ein negativer Test kein Freibrief, denn bereits zwei, drei oder vier Tage später kann die Situation komplett anders sein.


* Das Interview ist in Ausgabe 5 der Apotheker Krone, Seiten 6–8, erschienen.