Medikationsmanagement: Vorbilder Deutschland, Großbritannien und USA

Deutschland ist zwei Jahre voraus

In Deutschland wurde Medikationsmanagement im Juni 2012 in die Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) aufgenommen. Fast jede dritte Apotheke bietet heute dieses Service an. Die ApBetrO beschreibt das Medikationsmanagement als eine pharmazeutische Tätigkeit, „mit dem die gesamte Medikation des Patienten, einschließlich der Selbstmedikation, wiederholt analysiert wird, mit den Zielen, die Arzneimitteltherapiesicherheit und die Therapietreue zu verbessern, indem arzneimittelbezogene Probleme erkannt und gelöst werden“.

Folgender Stufenplan kommt zur Anwendung:

  1. Das „einfache Medikationsmanagement“ basiert auf den in der Apotheke vorliegenden Daten (z. B. Rezepte, Selbstmedikation, Kundendatei). Hiermit können vor allem Doppelverordnungen, Interaktionen und nicht plausible Dosierungen erkannt werden.
  2. Das „erweiterte Medikationsmanagement“ bezieht zusätzlich weitere Informationen vom oder über den Patienten (Patienteninterview) mit ein. Hiermit können auch unerwünschte Arzneimittelereignisse, Adherence-Probleme und Anwendungsfehler erkannt werden.
  3. Das „klinische Medikationsmanagement“ inkludiert zusätzlich ärztliche Daten (z. B. Diagnosen, Labordaten). Hiermit kann die Medikation auch auf Indikationen und Kontraindikationen überprüft und die Dosierung der Arzneimittel an die Nieren- und Leberfunktion angepasst werden.

Großbritannien im Praxistest

Einen größeren Schritt weiter ist man im Vereinigten Königreich. Seit 2005 hat die nationale Gesundheitsbehörde National Health Service (NHS) Medikationsmanagement in den pharmazeutischen Alltag etabliert. Apotheker müssen sog. Medicine Use Reviews (MUR) bei jenen Patienten durchführen, die eines der drei folgenden Kriterien erfüllen:

  • Einnahme eines definiertes Hochrisikoarzneimittels (NSAR, Antikoagulantien, Thrombozytenaggregationshemmer, Diuretika)
  • Kürzlich Entlassung aus dem Spital mit geänderter Medikation
  • Patienten mit bestimmten Arzneimitteln zur Therapie von Atemwegserkrankungen

Britische Apotheker sollen mit dem MUR eruieren, ob die Darreichungsform passend ist, Nebenwirkungen oder Interaktionen auftreten und die Therapie unzureichend ist. Voraussetzung für die Tätigkeit ist eine universitäre Akkreditierung. Nach dem bereits erwähnten „Brown-bag“-Modell bringen Patienten ihre Medikamente, die Beratung findet in einem separaten Raum statt und dauert meist 10–30 Minuten. Am Ende erhalten sowohl der Patient als auch sein behandelnder Arzt ein standardisiertes Dokumentationsprotokoll. Apotheker erhalten für diese Leistungen vom NHS eine Refundierung von rund 34 Euro pro MUR, wobei jede Apotheke bis zu 400 MUR durchführen und abrechnen darf.
Neuer ist die Möglichkeit des New Medicine Service (NMS), das ebenfalls refundiert wird. Dabei werden Besprechungen mit Patienten mit chronischen Erkrankungen durchgeführt, sobald ein neues Medikament hinzukommt. Ziel ist, die Adherence zu optimieren. Dazu weisen Apotheker im ersten Gespräch ihre Patienten in die Handhabung des Medikaments ein und überprüfen etwaige Wechsel- und Nebenwirkungen. Nach 2–3 Wochen wird bei einem zweiten Gespräch nachgeprüft, ob ein Optimierungsbedarf besteht.
All diesen Programmen gemein ist, dass noch Evaluierungsbedarf hinsichtlich der Effizienz und der Kostenersparnis besteht; Studien dazu sind im Gange.

Vorreiter USA

Eine wesentlich längere Tradition hat das Medikationsmanagement in den USA. Es hat sich der Begriff „Medication Therapy Management“ (MTM) etabliert, wobei hinsichtlich der Definition des Begriffs noch kein Konsensus gefunden wurde. Die Apotheker Krone hat den künftigen APhA-Präsidenten und Schladming-Keynote-Speaker Dr. pharm. Lawrence „LB“ Brown zum Stand der Dinge in den USA interviewt. Brown ist überdies Stellvertretender Dekan für „Student and Academic Affairs“ sowie Professor für Pharmakoökonomie and Gesundheitspolitik an der Chapman University’s New School of Pharmacy in Kalifornien, USA.

Apotheker Krone: Warum ist es wichtig, dass Apotheker ihre Patienten begleiten bzw. anleiten?

Prof. Brown: „Apotheker sind die Arzneimittelexperten. Sie haben mehr Wissen über Medikamente und ihre Wirkungen, Neben- und Wechselwirkungen, ihren indikationsgerechten Einsatz und die erforderliche Dosis als andere Berufsgruppen im Gesundheitsbereich. Patienten brauchen Zugang zu diesen Informationen, die es ihnen ermöglichen, bessere Entscheidungen hinsichtlich der Einnahme ihrer Medikation zu treffen und um ihren Gesundheitszustand zu verbessern.
Ich bin froh darüber, dass Sie in Ihrer Frage die Begriffe ‚begleiten‘ und ‚anleiten‘ verwendet haben, da es enorm wichtig ist, dass Apotheker – aber auch Ärzte – verstehen, dass letztendlich der Patient entscheidet, ob er ein Medikament verordnungsgemäß einnimmt.“

Welchen Stellenwert hat „health literacy“ für Apotheker, und wie kann Gesundheitskompetenz bei Patienten gesteigert werden?

„Gesundheitskompetenz ist deshalb von großer Bedeutung, weil Patienten nur von der apothekerlichen Beratung profitieren, wenn sie die Inhalte verstanden haben. Eine mangelnde Gesundheitskompetenz führt zu Einnahmefehlern oder unnötigen Nebenwirkungen. Ich erkläre meinen Studenten stets, dass es egal ist, wie smart und sachkundig sie sind, denn hat der Patient kein Wort verstanden, dann war das Beratungsgespräch nutzlos.
Apotheker können viel zur Steigerung der Gesundheitskompetenz ihrer Patienten beitragen. Die einfachste Übung ist, sicherzustellen, dass der Patient alle Informationen verstanden hat. Zusätzlich können Informationsbroschüren in laiengerechter Sprache mitgegeben werden.“

Welche sind die größten Herausforderungen in Bezug auf Patientensicherheit und Selbstmedikation in den USA?

„Die größte Herausforderung ist die große Zahl an vermeidbaren Problemen, die im Rahmen von Arzneimittelanwendungen auftreten. In einem Bericht der IMS Health aus dem Jahr 2013 wird geschätzt, dass der unsachgemäße und unnötige Gebrauch von Medikamenten Kosten von 200 Milliarden US-Dollar in den USA und 500 Milliarden US-Dollar weltweit verursacht. Der Grund dafür ist, dass Patienten Medikamente nehmen, die nicht notwendig sind bzw. in der jeweiligen Indikation nicht effektiv oder sicher sind. Zudem spielen Einnahme- und Dosierfehler eine große Rolle.“

Wie wird „Medication Therapy Management“ (MTM) in den USA definiert?

„Es gibt mehrere Definitionen von MTM in den USA. Ich lehre meine Studenten die ‚Pharmacy profession consensus definition‘, die im Jahr 2004 von 11 nationalen Organisationen publiziert wurde. Sie besagt, dass MTM ein ‚eindeutiges Service oder eine geregelte Gruppe von Leistungen ist, um die medikamentöse Therapie zu optimieren, mit dem Ziel, den patientenindividuellen Outcome zu verbessern‘. MTM beinhaltet sog. ‚Medication Therapy Reviews‘, pharmakotherapeutische Konsultationen, Antikoagulationsmanagement, Impfungen, Gesundheits- und Wellnessprogramme sowie viele andere klinische Dienstleistungen.“

Welche sind die Hauptaufgaben von Apothekern hinsichtlich MTM, und gibt es evidenzbasierte Guidelines?

„Im Jahr 2005 haben die American Pharmacists Association (APhA) und die National Association of Chain Drug Stores (NACDS) eine Publikation veröffentlicht, die sich für 5 grundlegende Hauptelemente eines MTM-Service aussprach:

  1. Medication Therapy Review (MTR): systematische Aufnahme von Patientendaten inkl. Diagnosen und Laborwerten, Analyse von Medikationsproblemen, Empfehlungen an den Patienten
  2. Personal Medication Record (PMR): Listung jedes Arznei- und Nahrungsergänzungsmittels, deren Dosierung und Anwendungsdauer. Jede Veränderung wird notiert.
  3. Medication-related Action Plan (MAP): individuelle Schulung des Patienten in Arzneimittelanwendung, Koordination der Therapie mit Ärzten, Pflegern etc., individuell angepasste Serviceleistungen
  4. Kommunikation mit bzw. Überweisung an Spezialisten
  5. Dokumentation und Follow-up: sämtliche Leistungen müssen dokumentiert werden, um auch honoriert werden zu können.“
Bitte beschreiben Sie die gegenwärtige Situation und etwaige Probleme in der Durchführung von MTM in der apothekerlichen Praxis. Wie geht bspw. in den USA die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Ärzten vonstatten?

„Mit der Verabschiedung des ‚Medicare Part D‘-Gesetzes im Jahr 2003 konnte MTM richtig durchstarten. Unabhängige Apotheken waren die ersten, die MTM angeboten haben, mittlerweile sind auch fast alle Apothekenketten nachgezogen. Zu Beginn war die größte Herausforderung für Apotheker, zeitliche Ressourcen für MTM zu schaffen. Mittlerweile dominiert eher das Problem, wirtschaftlich damit arbeiten zu können, sprich: genug geeignete Patienten pro Apotheke dafür zu interessieren.
Immerhin wird die Zahl der geeigneten Patienten im Laufe dieses Jahres steigen, da die Regierung die Auswahlkriterien erweitert hat. Dennoch bleibt das Stereotyp des Apothekers als ‚besserer Verkäufer‘ in den Köpfen der Bevölkerung, was es nicht einfacher macht, Patienten für MTM zu begeistern. Die gute Nachricht ist: Hatten Patienten einmal einen MTM-Termin, sind sie meist zufrieden und kommen auch wieder. Ich bin überzeugt davon, dass sich durch die folgende positive Mundpropaganda das Bild des Apothekers in Kalifornien bald ändern wird.
Auch der neue ‚Affordable Care Act‘ – besser bekannt als ‚Obamacare‘ – wird es leichter machen, MTM in den USA voranzubringen. Das Gesetz enthält einige Bestimmungen, die Apotheker als Teil eines Teams von Gesundheitsdienstleistern in ihrer MTM-Tätigkeit unterstützen.
Nun zu den Ärzten: Immer mehr lernen das MTM-Service der Apothekerschaft zu schätzen, viele sind sogar schon auf Apotheken mit MTM-Service angewiesen. Beispielsweise gibt es schon viele Gruppenpraxen, die Apotheker anstellen, um ihren Patienten innerhalb der Praxis MTM anbieten zu können. Ich bin zuversichtlich, dass die Zahl dieser Apotheker steigen wird, wenn Obamacare erst einmal richtig greift.“

Die Pharmakogenomik und die personalisierte Medizin sind zwei Zukunftsfelder im Zusammenhang mit MTM. Wie sieht hier der Status quo in den USA aus, und was sind die Ziele für die Zukunft?

„Es gibt viele Bemühungen, Apotheker mehr in diese beiden Zukunftsfelder einzubeziehen, wir stehen aber erst am Beginn. Im Jahr 2011 hat die APhA eine Arbeit veröffentlicht, welche die Integration von Pharmakogenomik und personalisierter Medizin in die apothekerliche Praxis untersuchte. Die Universitäten in North Carolina, Florida und Pittsburgh tragen dem Trend Rechnung, indem sie Zentren für Pharmakogenomik eingerichtet haben, mit dem Ziel, die Kompetenzerweiterung der Apotheker voranzutreiben.“

 

Was ist die APhA?

Die American Pharmacists Association (APhA) wurde 1852 gegründet und ist die erste und größte Vereinigung von Apothekern in den USA. Sie repräsentiert mehr als 62.000 praktizierende Apotheker, pharmazeutische Wissenschaftler und Technologen, sowie Pharmaziestudenten. Ziel der APhA ist es, Apotheker in ihrer Arbeit zu unterstützen, insbesondere wenn es um die Verbesserung des Medikamentengebrauchs durch ihre Patienten sowie deren erweiterte Betreuung geht.
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