„Wir stehen zu den österreichischen Apotheken“

Apotheker Krone: Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht die Apotheke und wie stehen Sie den Versandapotheken gegenüber?

Dr. Lötsch: Die Branche der Heilmittelhersteller und -vertreiber hat den Anspruch, den Kunden und Patienten Waren besonderer Art bei hohen Qualitätsansprüchen zu bieten. Dafür ist ein entsprechend hochqualifizierter Vertriebspartner erforderlich – und das sind aus meiner Sicht die 1.300 österreichischen Apotheken. Wir sollten diesen Vertriebskanal auch proaktiv nutzen und keinesfalls auf andere Kanäle ausweichen bzw. unkritisch auf die neuen Vertriebskanäle wie Drogeriemärkte oder Versandapotheken blicken. Zwar eröffnen diese neue kommerzielle Möglichkeiten, bergen aber auch einige Risiken für die Produkte und die Branche als Ganzes. Fakt ist, der Versandhandel mit OTC wird mit der Fernabsatzverordnung im kommenden Jahr gesetzlich legitimiert. Er ist nicht mehr zu verhindern bzw. wird es keine Einschränkungsmöglichkeiten geben, das sollte allen klar sein. Deshalb müssen sich Apotheker aktiv der Thematik stellen und den Versandhandel selbst betreiben, denn ausländische Versandhändler haben bereits heute relativ starke Marktkanäle gebildet und sind drauf und dran, sich am österreichischen Markt zu etablieren.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang vom Verbandskonzept „Apotheke bereit“?

Dieses Projekt mit der Kombination aus Internet und standortnaher öffentlicher Apotheke als Pick-up-Stelle ist durchaus ein interessanter Ansatz und auch im Interesse vieler Hersteller. Es kann aber nur funktionieren, wenn es gelingt, diese Marke in die Bevölkerung zu tragen. Vor allem chronische Patienten, bspw. mit Gelenksschmerzen, könnten von diesem Dienst profitieren – das zeigen auch die Erfahrungen aus Deutschland. Die IGEPHA begrüßt deshalb ausdrücklich die Bestrebung der Apothekerschaft, den neuen Vertriebsweg des Versandhandels in ihrer Ägide zu behalten. Die Apotheke ist als Gatekeeper immens wertvoll. Zum einen trägt sie mit ihrer Beratungsleistung zum indikationsgerechten Einsatz der OTC bei, zum anderen ist sie ein Garant für fälschungssichere Medikamente.

Wird mit dem Versandhandel ein oft befürchtetes Preisdumping stattfinden?

Bislang gab es keinen nennenswerten Wettbewerb, das wird sich ändern. Es wird sich eine Preissensibilität bei den Onlinekunden entwickeln. Die großen Nachteile der Versandapotheken sind aber die teils hohen Versandkosten, die ja hinzugerechnet werden müssen und die verzögerte Zustellung. Bei vielen Präparaten wird der Preis den Faktor Zeitverlust nicht aufwiegen können. Nur weil etwas 50 Cent günstiger ist, wird man nicht fünf Tage auf das Postpaket warten. Die Versandkosten würden sich auch nur rechnen, wenn man sehr große Mengen bestellt, doch auch hier sehe ich den Kunden nicht.

Wo erwarten Sie die größten Veränderungen und Herausforderungen im Allgemeinen?

Die größten nationalen Veränderungen erwarte ich von der Gesundheitsreform. Hier sind alle Stakeholder gefordert, ihre Beiträge zu leisten. Die IGEPHA fordert in diesem Zusammenhang, dass Self Care – und ich verwende bewusst nicht mehr den Begriff „Selbstmedikation“ – Bestandteil eines integrierten Gesundheitswesens wird. Der Patient ist bereits mündig. Er will über seine Gesundheit mitreden und über Behandlungsmethode, Vertriebskanal und Produkt mit­entscheiden. Apotheken müssen sich in Zukunft mehr darum bemühen, ihren Kunden die Vorteile einer Standortapotheke zu vermitteln. Selbiges gilt für Ärzte, denn auch deren Hoheitsrecht der Diagnosestellung wird durch entsprechende Angebote im Internet unterminiert. Alle Stakeholder, also Apotheken, Ärzte und Industrie müssen ein gut funktionierendes integriertes Gesundheitswesen bilden, das zwar definierte Aufgabenbereiche hat, jedoch Self Care des Patienten ohne Grabenkämpfe unterstützt. Dabei wird niemandem etwas weggenommen, vielmehr geht es darum, Doppelgleisigkeiten zu verhindern und Kapazitäten optimal zu verteilen.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Initiative der SVA, dem Grazer Frauengesundheitszentrum und der Patientenanwaltschaft, die Gesundheitskompetenz der Versicherten mit einer Broschüre zu fördern?

Die Initiative ist ein sehr interessanter Ansatz für die Versicherten der SVA und jedenfalls einen Versuch wert. Das Konzept wäre allerdings nur bedingt auf die Gebietskrankenkassen übertragbar, da deren Klientel wesentlich breiter ist. Wir können aber sicher einiges aus dem SVA-Modell lernen und für andere Sozialsysteme optimieren.

In der Praxis zeigt sich, dass die Bevölkerung nicht zwischen NEM, diätetischen Lebensmitteln oder Medizinprodukten unterscheiden kann. Muss hier nachgebessert werden?

Persönlich halte ich es für wünschenswert, wenn es ein klares Labeling geben würde. Zwar weist die Zulassungsnummer auf ein Arzneimittel, das CE-Zeichen auf ein Medizinprodukt und die geöffnete Dose auf ein Kosmetikum hin, aber Kunden sind diesbezüglich keine Experten. Das Wissen über die Produktkategorie allein hilft Kunden jedoch wenig, man müsste auch die mühsam erarbeiteten Begriffsdefinitionen möglichst einfach erklären.

Apropos Labeling, auf Rx-Packungen werden 3D-Codes zur Nachvollziehbarkeit der Herkunft verpflichtend. Wäre dies auch für OTC-Packungen sinnvoll?

Die IGEPHA hat einen Appell an alle Hersteller gerichtet, dass 3D-Codes nicht für Marketingzwecke missbraucht werden sollen. Über kurz oder lang werden aber wohl, schon allein aufgrund der rationell geführten Produktion, auch OTC-Packungen mit einem 3D-Code auf dem Markt auftauchen.

Österreich liegt hinsichtlich der Zahl der OTC-Substanzen und der Bereitschaft des Switch von Rx auf OTC deutlich unter dem europäischen Durchschnitt. Gibt es Bestrebungen dies zu ändern?

Es stimmt, dass Österreich weit abgeschlagen ist, was die Zahl rezeptfreier Wirkstoffe betrifft. Es wäre ein großer Erfolg, wenn wir einen harmonisierten Grundkatalog an Substanzen in Europa definieren könnten. Mit diesem wäre klar, dass eine bestimmte Substanz in ganz Europa rezeptfrei oder eben rezeptpflichtig ist. Ein Beispiel ist Hydrocortison, das teils OTC, teils rezeptpflichtig und in Österreich gar streng rezeptpflichtig ist. Problematisch sind auch geswitchte Präparate mit zu niedrigen Dosierungen, bspw. Ibuprofen, womit sie im OTC-Bereich wenig wirksam sind. Die AGES hat sich bereits einige Male um eine Harmonisierung bei einzelnen Substanzen bemüht, doch der Switch hin zum OTC ist an der österreichischen Rezeptpflichtkommission gescheitert – jedoch nicht immer aus naturwissenschaftlichen bzw. pharmakologischen Erwägungen. Hier müsste vom österreichischen Gesetzgeber eingegriffen werden. Übrigens ist die österreichische Rezeptpflichtkommission aus verschiedenen Gründen derzeit nicht operativ tätig. Das bedeutet, dass sich die nicht eingestuften Wirkstoffe bei der AGES mittlerweile aufstauen. Es ist auch nicht damit zu rechnen, dass die Arbeit in Bälde wieder aufgenommen wird, da der Gesundheitsminister die Mitglieder der Kommission ernennen muss. Das wird bis zur Wahl wahrscheinlich nicht passieren und das Problem wird bei einem allfälligen neuen Minister vermutlich nicht auf der Prioritätenliste stehen.

Dabei läge doch das Einsparpotential bei den Kosten durch vermeidbare Arztbesuche und den Verlust an Arbeitszeit bei rund 433 Mio. Euro, wenn die Switch-Rate um 5 % erhöht werden würde, so die IPF-Studie*, wenn keine OTX erstattet werden würden, sogar bei rund 740 Mio. Euro.

Im Gesundheitssystem etwas einzusparen ist ein Aspekt, jedoch muss bei jeder Substanz diskutiert und abgewogen werden, ob der Wechsel ins OTC-Segment dem Patienten nützt oder mehr schadet. In diesem Zusammenhang müssen wir auch über Anwendungsfehler und missbräuchliche Verwendung bzw. Weitergabe von allen Arzneimitteln, nicht nur von OTC sprechen. Denn in den Schubladen der Österreicher liegen Tonnen an verschriebenen und einmal verwendeten Arzneimitteln herum, die im Vergleich zu OTC-Arzneimitteln ein wesentlich größeres Gefahrenpotential darstellen. Es wird auch eine Aufgabe der IGEPHA sein, für Aufklärung im Umgang mit Arzneimitteln zu sorgen, die idealerweise bereits in der Schule beginnt. Zu diskutieren wäre auch, ob es nicht sinnvoll ist, dem gut eingestellten und eigenverantwortlich handelnden Patienten den Zugang zu seinen Arzneimitteln zu erleichtern, indem ein zeitlich begrenztes Rezept ausgestellt wird und man so Zeit und Kosten bei den Arztbesuchen einspart.

Der Apothekerverband klagt über Umsatzrückgänge in Apotheken. Grund dafür sind die rückläufigen Kassenspannen. Sind OTC und die Förderung von Self Care die Lösung?

Die Verluste durch rückläufige Kassenspannen sind nicht durch OTC-Arzneimittel kompensierbar. Es braucht ein Umdenken der Apotheken, denn mit dem Aufkommen der Generika, der immer kürzeren Behandlungsdauer durch wirksamere Medikamente und der künftig noch gezielteren Verschreibungspraxis werden nicht mehr wie früher automatisch 20 % des Umsatzes von den Sozialversicherungen eingespielt. Das bedeutet, dass Apotheken sich vermehrt um intensive Kundenbindung kümmern und in diesem Zusammenhang den Aspekt Self Care bestmöglich unterstützen müssen. Die Apotheke sollte dementsprechend eine Transformation von einem Ort der Krankheit zu einem Ort der Gesundheit vollziehen. Das geht so weit, dass auch bauliche Adaptierungen notwendig sein werden, um beratungsintensive und höchst private Themen in einem diskreten Umfeld besprechen zu können. Auch hinsichtlich der nach außen gerichteten Präsentation als Gesundheitszentrum können Apotheken viel dazulernen. Während bspw. Bekleidungsketten ihre Schaufenster auch nachts beleuchten und damit weit öffnen, verstecken einige Apotheken ihr Sortiment im Dunkeln und hinter eisernen Rollläden. Auch Stufen in eine Apotheke sind ein absolutes No-Go, weil sie für behinderte Kunden ein schwer überwindbares Hindernis darstellen.

Welche Unterstützungsangebote werden Sie Apotheken in Zukunft anbieten?

Wir möchten eine Kundengesprächsausbildung auf universitärer Ebene sowie Schulungen im Aspirantenbereich unterstützen. Kammer und Verband haben diesbezüglich schon Interesse signalisiert. Uns geht es dabei nicht darum, in die Ausbildung einzugreifen oder Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen, sondern vielmehr den immer wichtiger werdenden Kommunikationsaspekt zu fördern.

Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Amtsperiode gesetzt?

Nach innen werden wir die Strukturen optimieren, um unsere Serviceleistungen bestmöglich umsetzen zu können. Nach außen hin ist, wie erwähnt, die Unterstützung der Ausbildung ein Thema. Bei Gesetzesentwürfen, die unsere Kernkompetenz betreffen, werden wir uns bemühen, als legitime Ansprechpartner anerkannt zu werden, zumal wir ein Bestandteil des Gesundheitsmarktes sind. Um in gesundheitspolitischen Themen gehört zu werden, ist aber auch ein Schulterschluss aller österreichischen Interessengemeinschaften – also PHARMIG, IGEPHA und andere – erforderlich. Das könnte auch so weit gehen, dass zu einem bestimmten Thema ein Vertreter die gemeinschaftliche Position als Sprachrohr nach außen hin vertritt – nach dem Motto: „Wir marschieren zwar getrennt, aber argumentieren gemeinsam.“

 

Porträt Dr. Gerhard Lötsch

Geboren in Vöcklabruck, OÖ
Studium der Pharmazie in Wien
Mitglied der österreichischen Rezeptpflichtkommission
Im Vorstand der AESGP (Association of the European Selfmedication Industry)
Mitglied der Fachgruppe Pharmazie in der Wirtschaftskammer
Seit 1988 in der Pharmaindustrie
Seit 2005 Geschäftsführer der Novartis Consumer Health – Gebro GmbH
Seit 19 Jahren im IGEPHA Vorstand:

  • Leiter des Fachausschusses „Regulatory affairs“ der IGEPHA
  • 2004–2007: erste IGEPHA-Präsidentschaft
  • Seit September 2013: erneut IGEPHA-Präsident