„Ohne den neuen Vertrag drohte eine Katastrophe“

Wie beurteilen Sie den Vertragsabschluss mit der Wiener Gebietskrankenkasse aus der Sicht des Allgemeinmediziners?

Dr. Rudolf Hainz: Es ist das erste Mal geglückt, dass wir als Allgemeinmediziner mehr bekommen als die Fachärzte. Wir haben uns immer wieder Auseinandersetzungen geliefert – freundschaftlich–, aber nun hat es auch gefruchtet. Es kann ja nicht sein, dass der Durchschnittsfallwert bei einem Facharzt in Wien bei 73 Euro und bei einem Allgemeinmediziner bei 48 Euro liegt. Ein Patient kommt zu uns 3,2–3,5-mal pro Quartal; zu einem Facharzt kommt ein Patient durchschnittlich 1,5-mal pro Jahr. Da sieht jeder, dass es hier eine Lücke gibt, von den Hausbesuchen will ich gar nicht reden.

Wie wird sich das auf den immer öfter diskutierten Ärztemangel auswirken? In Wien etwa wird die Bevölkerung immer älter und gleichzeitig ziehen immer mehr Menschen in die Stadt …

Es war, wie gesagt, dringend nötig. Wir haben einen Nachholbedarf von rund 400 Allgemeinmedizinern in ganz Österreich in den Spitälern und niedergelassenen Ordinationen. In Wien liegt diese Zahl bei 108. Ich arbeite noch ein paar Jahre mit 67. Die über 50-Jährigen sind aber zahlenmäßig dominant, sodass wir in einigen Jahren in ein Loch fallen, wenn wir nichts tun. Im Jahr 2017 haben 17 Studierende im Wiener Krankenanstaltenverbund die Ausbildung zur Allgemeinmedizin begonnen. Wir produzieren also jedes Jahr eine Lücke, die in einigen Jahren ein echtes Problem bringen wird. In Wien ist die Zahl der Allgemeinmediziner in den vergangenen 15 Jahren von 830 auf 730 gesunken, bei einem Plus von 300.000 Einwohnern in diesem Zeitraum. Junge Ärzte sehen, dass das un­attraktiv ist, und lassen sich gar nicht ausbilden. Das ist eine Katastrophe!

Hilft hier der neue Wiener Gesamt­vertrag?

Die Honorarlücke war immer einer der Kritikpunkte, warum wir einmal etwas tun müssen. Es stimmt, dass wir keinen Nachwuchs haben, doch die Jungen sagen sich beim Studium: „Ich bin doch nicht blöd und verdiene die Hälfte eines Facharztes.“ Deshalb müssen wir die Allgemeinmedizin so attraktiv machen, dass die jungen Leute das werden wollen. Jetzt wurde der Hausarzt wirklich aufgewertet. Die Tariferhöhungen bringen für Allgemeinmediziner sogar eine Anhebung von 10 % pro Jahr bis 2020. Weiters wurden das Jobsharing-Modell sowie die Regelungen für Ver­tretungen liberalisiert.

Wie sieht das genau aus?

Wir haben das neue Jobsharing-B-Modell endlich legalisiert, durch das Parallelarbeiten möglich wird. Das bedeutet, dass beide Ärzte in einer Praxis auch gleichzeitig arbeiten können. Als Allgemeinmediziner mit Kassenvertrag nehme ich mir also einen Partner, der mich auch vertreten kann, muss dazu aber keine Gruppenpraxis gründen. Der Jobsharing-Partner kann auch eine Wahlarztordination an einem anderen Standort betreiben. Die Vertretung wurde so ermöglicht, dass meine Ordination auch Scheine zulegen kann – das ist nötig, weil wir gemeinsam ja mehr Patienten betreuen können. Der Honorarsummenmesspunkt liegt damit wesentlich höher als beim bisherigen Jobsharing-Modell. Die Degressionsstufen werden zudem später und in geringerer Höhe einsetzen. Vertretungen – auch regelmäßig und tageweise – sind per 1. Juli 2019 bis zu einem Ausmaß von 100 Tagen je Kalenderjahr ohne Angabe von Gründen zulässig. Es gibt aber noch weitere, in der Öffentlichkeit kaum beachtete Punkte, die sich sehr positiv auswirken.

Welche sind das?

In Zukunft ist auch jede dritte Konsultation im Quartal durch die Einführung einer neuen Position 8c abrechenbar. Und es gibt eine weitere neue Position 8i. Dadurch sind in Zukunft auch alle Ordinationen ab der neunten Konsultation im Quartal ohne Begrenzung der Anzahl der Ordinationen abrechenbar. Nachdem seit den vergangenen Honorarverhandlungen schon die vierte bis achte Ordination abrechenbar war, kommen nun also die dritte und alle Ordinationen ab der neunten hinzu. Lediglich der zweite Besuch im Quartal bleibt weiterhin mit der Fallpauschale abgegolten. Das schlägt deutlich zu Buche – wir wissen ja, dass viele Patienten öfters kommen. Das erhöht die Honorare um fast 12 Millionen Euro. Da hat man als Arzt dann das Gefühl, dass man auch etwas bezahlt bekommt, wenn ein Patient öfters kommt. Das ist aber nicht nur honorartechnisch eine Erhöhung, sondern auch eine entsprechende Wertschätzung. Es ist also auch eine Position für die Seele. Das reicht natürlich noch nicht, aber es soll dem Hausarzt das Leben leichter machen. Ich hoffe, es reicht, um den Beruf insgesamt attraktiver zu machen.

Gibt es noch weitere Punkte, die Ihnen wichtig sind?

Ja, da ist sicherlich der Bonus für längere Öffnungszeiten zu nennen. Mit Wirkung ab 1. Juli 2019 wird ein sogenannter Sachleistungsversorgungs- und Öffnungszeitenbonus für überdurchschnittlich versorgungswirksame Ordinationen eingeführt. Die Gemeinde Wien möchte Anreize für größere Ordinationen schaffen. Ab 1.500 Scheinen geben sie etwas dazu, damit Ärzte länger aufsperren. Weil man dann aber auch mehr Personal braucht, sollte eben die Motivation erhöht werden, größer zu werden.

Wie sieht das genau aus?

Anspruch auf die Bonuszahlung haben Vertragsärzte für Allgemeinmedizin, die im Zeitraum 1. Jänner bis 31. Dezember 2018 durchschnittlich mindestens 1.200 Fälle pro Quartal abgerechnet und sich freiwillig vertraglich zu einer Mindestöffnungszeit von 25 Wochenstunden verpflichtet haben. Vertragsärzte für Allgemeinmedizin, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Regelung noch keine vier Quartale Vertragsdauer vorweisen können, sich jedoch vertraglich zu einer Mindestöffnungszeit von 25 Wochenstunden verpflichtet haben, haben ebenfalls vorläufig Anspruch auf eine Bonuszahlung. Der Anspruch auf die Bonuszahlung erlischt bei einer Reduktion der vertraglich vereinbarten Mindestöffnungszeit auf unter 25 Wochenstunden mit dem nächstfolgenden Quartal und bei einer Unterschreitung der für den Zeitraum 1. Jänner bis 31. Dezember erforderlichen durchschnittlichen Mindestfallzahl von 1.200 Fällen pro Quartal ab dem nächstfolgenden Kalenderjahr. Ordinationen mit einer durchschnittlichen Fallzahl von 1.200 bis 1.499 pro Quartal erhalten zusätzlich einen Betrag von 5 Euro pro Fall. Ordinationen mit einer durchschnittlichen Fallzahl ab 1.500 pro Quartal erhalten zusätzlich einen Betrag von 5,75 Euro pro Fall. Gruppenpraxen mit einer durchschnittlichen Fallzahl ab 2.500 pro Quartal erhalten zusätzlich einen Betrag von 6,50 Euro pro Fall.

 

Regelungen zu Öffnungszeiten und Vertretungsmöglichkeiten

Jobsharing

Weiterentwicklung des Ursprungsmodells (Modell A)

  • Die Vertretung des Jobsharing-Partners wird ausdrücklich ermöglicht.
  • Es wird auch festgehalten, dass der Jobsharing-Partner eine Wahl­arztordination an einem anderen Standort betreiben kann.
  • Entfall der Notwendigkeit der gemeinsamen Zeichnungsberechtigung am Konto

 

Entwicklung eines neuen Modells für Allgemeinmedizin und ­Kinderheilkunde (Modell B)

  • Parallelarbeiten damit erstmals gesamtvertraglich möglich
  • quartalsmäßiger Wechsel des Jobsharing-Partners möglich
  • Traineequartal beziehungsweise Übergabepraxis somit nicht mehr notwendig
  • unbürokratische und schnelle Verwaltung der Vertragsabschlüsse
  • Honorarsummenmesspunkt 50 % über Fachgruppendurchschnitt beziehungsweise beimindividuellen Ordinationsumsatz, falls dieser höher ist
  • Einsetzen der Degression ab einer Überschreitung des Honorarsummenmesspunkts um 25 % (Abschlag 35 %) beziehungsweise um 35 % (Abschlag 65 %)
  • Ausnahmeregelung für > 65 Jahre und 3 Jahre vor der Pension (15 Wochenstunden)

 

Neuregelung und Liberalisierung der Vertretungsregelungen

  • Vertretung bis zu 100 Tage pro Jahr ohne Genehmigung möglich (bei 4 Ordinationstagen pro Woche bis zu 80 Tage)
  • Streichung der 6-Wochen- beziehungsweise 6-Monats-Fristen
  • Poolmeldung der Namen der Vertreter
  • Vertretungsmeldung geht nur an die Kammer, Kasse hat Einsicht in Gesamtliste ohne Zuordnungsmöglichkeit

 

Sachleistungsversorgungswirksamkeits- und Öffnungszeitenbonus (SVÖ-Bonus)

Voraussetzung

  • überdurchschnittliche Versorgungswirksamkeit nach Zahl
  • der abgerechneten Fälle (Praktiker ab 1.200 Scheinen/Quartal, Kinderärzte ab 700 Scheinen/Quartal)
  • Ordinationszeit von mindestens 25 Wochenstunden
  • Fallzahl von 1.200 bis 1.499 5,00 Euro pro Fall (AM)
  • Fallzahl von 1.500 bis 2.499 5,75 Euro pro Fall (AM)
  • Fallzahl ab 2.500 6,50 Euro pro Fall (gilt nur für AM-Gruppenpraxen)