Univ.-Prof. Dr. Marco Idzko: Ich komme vom Universitätsklinikum Freiburg, wo ich von 2002 bis 2017 an der Abteilung für Pneumologie tätig war – unterbrochen durch Postdoc-Aufenthalte in Rotterdam und Siena. Die letzten fünf Jahre fungierte ich in Freiburg als stellvertretender ärztlicher Direktor und leitender Oberarzt. Die Abteilung für Pneumologie in Freiburg deckt das gesamte Spektrum der Pneumologie ab, von Lungentransplantation über Schlaflabor, Beatmungsmedizin (Weaning), interventionelle Bronchoskopie bis hin zu hoch spezialisierten Ambulanzen für schweres Asthma, COPD, Alpha-1-Antitrypsin-Mangel, zystische Fibrose, Lungenfibrose und andere seltene Lungenerkrankungen.
Mein persönlicher Forschungsschwerpunkt lag und liegt auf den obstruktiven Lungenerkrankungen, wie Asthma bronchiale und COPD, wenngleich es im Laufe der Zeit zu einer Erweiterung des Forschungsspektrums auf andere Lungenerkrankungen kam, darunter die Lungenfibrose, das akute Atemnotsyndrom (ARDS, „acute respiratory distress syndrome“) oder das Bronchialkarzinom.
Dabei verfolgen wir einen translationalen Forschungsansatz: Wir beginnen mit unseren Beobachtungen beim Menschen, d. h. wir untersuchen zunächst Patientenmaterial wie Gewebeproben, Bronchienspülungen, Serum oder Entzündungszellen des Blutes bzw. aus der Bronchialspülung (wie z. B. Granulozyten, Makrophagen, DC, Atemwegsepithelzellen). Entdecken wir hier Mediatoren oder Rezeptoren, die bei einer der Lungenerkrankungen in erhöhter Konzentration (BAL bzw. Expression) vorliegen, führen wir zunächst In-vitro- Versuche mit humanen Zellen durch. Zeigt sich hierbei, dass z. B. die Aktivierung des untersuchten Rezeptors zu einer vermehrten Freisetzung von proinflammatorischen Mediatoren (Zytokinen) führt und somit eine pathophysiologische Bedeutung für diese Erkrankung haben könnte, gehen wir damit in ein translationales Tiermodell. Hier können wir die Rolle der verschiedenen Botenstoffe und Signalwege in der Pathogenese der einzelnen Erkrankungen in vivo studieren. Ziel ist es, die im Tiermodell generierten Erkenntnisse zur Entwicklung neuer Pharmakotherapien für diese Krankheiten zu nutzen. Dafür müssen die Ergebnisse aus der Grundlagenforschung natürlich in klinischen Studien am Menschen bestätigt werden. Das gelingt dann meist nur noch mit Unterstützung der Pharmaindustrie, da solche Studien mehrere Millionen Euro kosten können. Unsere translationale Forschung in Freiburg resultierte in zwei Patentanmeldungen.
Neben der translationalen Grundlagenforschung haben wir am Universitätsklinikum in Freiburg auch an vielen multizentrischen klinischen Studien in unterschiedlichen Indikationsbereichen, wie z. B. COPD, schweres Asthma bronchiale oder Lungenfibrose, teilgenommen. Dadurch hatten unsere Patienten frühzeitig Zugang zu neuen, vielversprechenden Therapieinnovationen.
Die Pulmologie ist in Wien mit dem Otto-Wagner-Spital, dem Wilhelminenspital und dem KH Hietzing insgesamt gut aufgestellt. Am Wiener AKH gibt es – nicht zuletzt dadurch, dass die Stelle des Abteilungsleiters länger nicht nachbesetzt wurde – einiges an Aufholpotenzial. Wir haben hier schon einige Ideen, die wir umsetzen möchten. So sollen beispielsweise die Ambulanzen umstrukturiert, das Schlaflabor ausgebaut und eine Weaning-Station eingerichtet werden. Weiters möchten wir gemeinsam mit den Thoraxchirurgen ein pneumologisch-thoraxchirurgisches Lungenzentrum etablieren, in dem neben den Ambulanzen auch eine gemeinsame interventionelle Bronchoskopie-Unit untergebracht werden sollte. Das wären so unsere Visionen und es wird sich zeigen, was sich davon hier in Wien konkret umsetzen lässt.
Dieser Aspekt ist mir sehr wichtig. In Freiburg gab es ein sehr strukturiertes Programm für die studentische Ausbildung mit regelmäßigen Seminaren, Hands-on-Kursen etc. Als Lehroberarzt unserer Abteilung war ich für die „pneumologischen Inhalte“ verantwortlich. Leider habe ich bisher noch nicht die Zeit gefunden, mich intensiver mit dem hiesigen Ausbildungscurriculum zu beschäftigen. Dies steht jedoch auf meiner To-do-Liste ganz weit oben.
Wichtig ist mir eine möglichst praxisbezogene Ausbildung, z. B.: Wieso mache ich einen Lungenfunktionstest? Wie geht das praktisch (aktiv selber machen)? Was sagen uns Blutgase? Wann und wie mache ich eine Bronchoskopie? Was bedeutet nicht-invasive Beatmung? Wie „fühlt“ es sich an (selbst einmal eine „Maske“ aufsetzen)? Die Studierenden sollen einfach mehr praktischen Bezug zur Pneumologie bekommen, bevorzugt in Kleingruppen, mit der Möglichkeit der Interaktion zwischen Lehrenden und Lernenden. Frontalvorträge gehören der Vergangenheit an.
Eines der ersten Dinge, die ich hier in Wien erfolgreich umsetzen konnte, ist ein Curriculum für die Assistenzärzte. Einmal pro Woche wird – basierend auf dem aktuellen „Weißbuch Lunge“ – ein pneumologisches Krankheitsbild im Detail vorgestellt und diskutiert. Es dauert knapp ein Jahr, bis alle relevanten Erkrankungen abgehandelt wurden, danach geht es wieder von vorne los.
Hinsichtlich der Ausbildung ist es mir weiters ein großes Anliegen, dass regelmäßige Visiten mit den KPJ-Studenten stattfinden. Das möchte ich als Abteilungsleiter weiter ausbauen.
Die COPD ist heute bereits die dritthäufigste Todesursache weltweit. Durch zunehmende Luftverschmutzung, Rauchen oder auch mangelhaften Nichtraucherschutz wird die Zahl der Erkrankten weiter ansteigen. Dasselbe gilt für allergische Erkrankungen, wie z. B. Asthma bronchiale, wo wir ebenfalls aufgrund der veränderten Lebensumstände und gegebenenfalls auch Umweltverschmutzung eine zunehmende Prävalenz und Inzidenz beobachten. Aber auch bei selteneren Lungenerkrankungen wie interstitiellen Lungenerkrankungen (Lungenfibrosen) sehen wir eine Zunahme, wahrscheinlich bedingt durch die bessere Diagnostik, aber auch eine Zunahme von inhalativen Noxen. Fest steht, dass in den nächsten Jahrzehnten deutlich mehr pneumologische Patienten auf uns zukommen werden.
Ja, das kann man so sehen. Und hier kommt die Nachwuchssituation ins Spiel, die im gesamten deutschsprachigen Raum etwas beunruhigend ist, um es vorsichtig auszudrücken. Zum einen entscheiden sich zu wenige Studenten für das Fach Pneumologie, zum anderen mangelt es sicherlich auch an Ausbildungsstellen. Angesichts der aktuellen Nachwuchssituation dürfen wir uns jedenfalls nicht zurücklehnen, sondern müssen versuchen, die Ärzte in Ausbildung für unser Fach zu begeistern. Eine Ausbildung zum Facharzt in der Inneren Medizin, insbesondere auch in der Pneumologie, ist sicher sehr arbeitsintensiv, aber gleichzeitig auch lohnend. Damit meine ich, dass die Pneumologie ein Fach mit Zukunft ist, das viele Facetten hat – von Pharmakotherapie über interventionelle Bronchoskopien bis hin zur Beatmungsmedizin.
Momentan ist die pulmologische Grundversorgung sowohl in Deutschland als auch in Österreich sicher gut gegeben. Wie es in den nächsten Jahren sein wird, wenn viele Kollegen in Ruhestand gehen, werden wir sehen. Ich bin prinzipiell zuversichtlich, dass wir die angesprochene Nachwuchsproblematik in den Griff bekommen können.
Im Sinne der bestmöglichen Versorgung für unsere Patienten ist eine fächerübergreifende Zusammenarbeit unabdingbar.
Als universitäres Krankenhaus lebt man von der engen Kooperation mit den niedergelassenen Kollegen – das ist ein Faktum. Die Ärzte in der Niederlassung stellen die medizinische Grundversorgung sicher. Sind sie mit Patienten mit schweren Lungenerkrankungen konfrontiert, die einer weiterführenden Diagnostik oder komplexen Therapie bedürfen, stehen die Spezialisten an den Unikliniken selbstverständlich als Ansprechpartner zur Verfügung. Das ist der Service, den wir leisten können und wollen.
Interdisziplinarität ist natürlich Voraussetzung für eine gute Versorgung. Sehen wir uns nur einmal einen COPD-Patienten an – der hat nicht nur eine Lungenerkrankung, vielmehr ist die COPD eine Multiorganerkrankung. Wenn man an den klassischen „blue bloater“ denkt, so hat dieser abgesehen von der Lungenproblematik häufig auch einen Diabetes mellitus, ein metabolisches Syndrom, einen arteriellen Hypertonus und eine KHK. Solche Patienten müssen wir natürlich interdisziplinär behandeln.
Aber nicht nur bei COPD-Patienten, sondern auch bei solchen mit anderen Lungenerkrankungen müssen wir über den Tellerrand hinausschauen. Vielen Erkrankungen gemeinsam ist z. B. das Symptom der Atemnot, das häufig mit Angststörungen und Depressionen assoziiert ist. Das wird leider oft übersehen und nicht behandelt.
Die Berücksichtigung eventueller Komorbiditäten ist nicht zuletzt für die Wahl der optimalen Therapie wichtig: Wie wirkt sich das Medikament für die Lunge auf Begleiterkrankungen aus bzw. inwieweit interagiert es mit anderen Medikamenten, die ein Patient einnehmen muss?
Als positive Entwicklung in der Pneumologie sehe ich die zunehmende Bewegung in Richtung Präzisionsmedizin, sei es beim Asthma, bei der COPD, der zystischen Fibrose oder der Lungenfibrose. Durch das zunehmend bessere Verständnis der immunologischen und pathophysiologischen Grundlagen bestimmter Erkrankungen sind wir in der Lage, unseren Patienten individualisierte Therapien anbieten zu können. Wo wir früher keine anderen Möglichkeiten hatten, als systemische Kortikosteroide mit entsprechenden Nebenwirkungen zu verabreichen, stehen uns heute spezifische Therapien, wie z. B. Antikörpertherapien, zur Verfügung.
Ähnlich die interventionelle Bronchoskopie: Früher wurden viele Patienten mit einer unklaren Raumforderung oder strukturellen Veränderung in der Lunge thoraxchirurgisch untersucht. Heute gibt es minimal-invasive Lösungen, wie die Kryobiopsie oder den endobronchialen Ultraschall. Auch beim Lungenemphysem – der Überblähung der Lunge – hat sich viel getan: Durch den Einsatz von Ventilen oder Coils kann das Lungenvolumen reduziert werden, ohne dass der Patient einen operativen Eingriff mit entsprechendem Risiko über sich ergehen lassen muss.
Insgesamt blicke ich sehr positiv in die Zukunft. Wir haben in den letzten zehn Jahren riesige Fortschritte gemacht, was die medikamentöse Therapie, die interventionelle Bronchoskopie sowie die Beatmungsmedizin betrifft, sodass wir nun wirklich tiefer in die Präzisionsmedizin bzw. individualisierte Medizin hineingehen können.
Wir wissen, dass Rauchen schädlich ist. Es ist eine der häufigsten Ursachen für Lungen-, aber auch kardiovaskuläre Erkrankungen. Und wir wissen, dass durch konsequente Umsetzung des Nichtraucherschutzes (1) die Nichtraucher nicht dem Passivrauch ausgesetzt sind, (2) auch Raucher weniger rauchen, weil sie weniger Gelegenheit dazu haben, und (3) deutlich weniger Jugendliche mit dem Rauchen anfangen.
Für mich als Mediziner ist es daher nicht nachvollziehbar, was in Österreich gerade passiert, nämlich die Rücknahme bereits beschlossener Maßnahmen zum Nichtraucherschutz. Und das gegen den Willen eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung.