Bilateraler Weg unentbehrlich

Das Ergebnis war eine klare Zustimmung. Ausschlaggebend für die Befürwortung sind der direkte EU-Marktzugang und die Personenfreizügigkeit. Adrian Hunn, Direktor Swiss Medtech, gibt Einblick in die Herausforderungen und Strategien für den Schweizer Medtech-Standort.

Welche Herausforderungen hat die Medizinprodukte-Industrie aus wirtschaftspolitischer und gesundheitspolitischer Sicht gegenüber allen anderen Industrien?
Die Medizintechnik-Industrie ist sehr stark reguliert, stärker als die meisten anderen Industriezweige. Medizinprodukte werden am und im Menschen angewendet. Es macht deshalb Sinn, sie buchstäblich auf Herz und Nieren zu prüfen. Wenn die Regulierung jedoch überschießt – wie die europäische Medizinprodukteregulierung (MDR) –, dann schadet sie der Industrie sowie den Patientinnen und Patienten.

Wie beurteilen Sie derzeit die Standortattraktivität Europas für die Medizinprodukte-Industrie im internationalen Vergleich?
Europa ist innovativ, verliert aber wegen der MDR an Boden. Sie ist bürokratisch, kostspielig und innovationshemmend. Investitionen gehen oft in die USA oder Asien, wo Zulassungen schneller laufen.

Wie attraktiv ist die Schweiz als Standort?
Die Schweiz besitzt ein einzigartiges Ökosystem mit Weltkonzernen sowie Klein- und Mittelbetrieben, renommierten Hochschulen und innovativen Spin-offs, um das wir weltweit beneidet werden. Die Schweiz ist ein Medtech-Land. Die Zahlen sprechen für sich: Es gibt 1.400 Medtech-Unternehmen in der Schweiz – so viele wie 2000er-Berggipfel in unserem Land. Fast 72.000 Menschen arbeiten in der Branche, jeder hundertste Arbeitsplatz in der Schweiz ist ein Medtech-Arbeitsplatz. Und hinter Pharma und Uhren trägt Medtech am drittmeisten zum Handelsbilanzüberschuss der Schweiz bei. Das ist stark.
Doch dieser Erfolg ist nicht garantiert. Um ihre Spitzenposition zu sichern, muss die Schweiz ihre Stärken ausbauen, Schwächen beheben und von der internationalen Konkurrenz lernen. Als Wirtschaftsverband einer exportstarken Branche werden wir uns auf politischer Ebene mit Priorität für möglichst hindernisfreie Zugänge zu wichtigen ausländischen Märkten einsetzen. Dazu gehört die Europäische Union – sie ist unsere wichtigste Handelspartnerin.

Die Schweizer Medtech hat doch Zugang zum EU-Binnenmarkt. Wo liegt das Problem?
Der Medtech-Handel zwischen der EU und der Schweiz funktioniert nach wie vor, allerdings ist er seit dem Abbruch der bilateralen Verhandlungen im Mai 2021 für beide Seiten bürokratischer und damit teurer geworden. Das ist ein klarer Rückschritt.

Wie ist der Stand der Verhandlungen?
Seit Ende 2024 liegen die zwischen der Schweiz und der EU verhandelten Abkommen des Pakets zur Stabilisierung und Weiterentwicklung der Beziehungen zwischen der Schweiz und EU vor. In der Schweiz nimmt das nun seinen direktdemokratischen Lauf. In einem ersten Schritt dürfen alle interessierten Kreise bis Oktober 2025 Stellung zum Paket nehmen, dann geht es zur Beratung in das Parlament und voraussichtlich 2028 wird es eine Volksabstimmung darüber geben.

Welche Stellung bezieht Swiss Medtech konkret?
Diese Frage haben wir kürzlich unseren Mitgliedern gestellt. Es war dem Vorstand wichtig, die Position nicht zu bestimmen, sondern die Unternehmen zu befragen. Das Ergebnis: klare Zustimmung. Acht von zehn Unternehmen stehen hinter dem bisherigen bilateralen Weg. Gut zwei Drittel befürworten das neue Paket Schweiz–EU und würden heute Ja stimmen. Über 70 Prozent der Medtech-Unternehmen stufen das Paket Schweiz–EU als wichtig ein für ihr eigenes Geschäft. Noch deutlicher zeigt sich die Einschätzung mit Blick auf den gesamten Medtech-Standort Schweiz – hier bewerten über 80 Prozent das Paket als wichtig für die Wettbewerbsfähigkeit. Diese deutliche Zustimmung unterstreicht, dass stabile vertragliche Beziehungen zur EU für die Medtech-Branche einen zentralen Stellenwert haben. Die EU ist der wichtigste Handelspartner der Schweizer Medizintechnik-Industrie. Jeder dritte der 72.000 Arbeitsplätze in der Branche hängt direkt von Aufträgen aus der EU ab.

Welcher Arbeitsauftrag steht für Sie hinter dem Ergebnis?
Ich verstehe dieses eindeutige Votum unserer Mitglieder nicht nur als Legitimation, sondern als klaren Auftrag, die Bilateralen III im Interesse der Medtech-Branche engagiert zu unterstützen. Wir werden dies auf allen Ebenen tun – politisch, medial und in Form von Kampagnenarbeit.

Wo sehen Sie Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Standortpolitik der drei Länder im DACH-Raum? Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?
Uns verbinden große gemeinsame Herausforderungen: In allen drei Ländern kämpft die Medizintechnik-Industrie mit Überregulierung, steigendem Preisdruck und einem zunehmenden Fachkräftemangel. Gleichzeitig zeigen sich deutliche Unterschiede. Die Schweiz ist kein Mitglied der Europäischen Union. Das verschafft ihr auf der einen Seite mehr Handlungsspielraum – so kann sie neben Medizinprodukten mit einem europäischen Zertifikat auch solche mit einer Zulassung der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) für die Versorgung der eigenen Bevölkerung zulassen. Auf der anderen Seite ist sie aber auch stärker exponiert: Während in der EU auf Produkte 15 Prozent US-Zölle erhoben werden, belaufen sich diese für die Schweiz mittlerweile auf 39 Prozent. Das bedeutet einen klaren Wettbewerbsnachteil.

Wie wirken sich die MDR und IVDR konkret auf die Schweiz aus, insbesondere auf KMU, Start-ups und Nischenanbieter?
Ihre Auswirkungen sind für die Schweiz gleich wie für den Rest Europas. Die MDR hat sich als wahres Bürokratiemonster erwiesen. Viele Unternehmen reduzieren ihr Sortiment um durchschnittlich 15 Prozent, weil sich die aufwendige Rezertifizierung wirtschaftlich nicht lohnt. Damit verschwinden auch bewährte und klinisch einwandfreie Nischenprodukte vom Markt. Hinzu kommt, dass neue Produkte immer häufiger zuerst in den USA eingeführt werden – nach Europa und in die Schweiz gelangen sie dann bestenfalls mit jahrelanger Verzögerung. Der oft zitierte Satz „MDR is killing innovation“ ist leider eine Realität. Das ursprüngliche Ziel der MDR, die Patientensicherheit zu erhöhen, hat sich ins Gegenteil verkehrt: Sicherheit hängt eben nicht nur von der Produktqualität ab, sondern auch von deren Verfügbarkeit und vom Zugang zu Innovationen.

Welche Auswirkungen haben nationale Gesundheitspolitiken auf Investitionen in Forschung und Entwicklung?
Swiss Medtech setzt sich dafür ein, dass Medizinprodukte, die von der US-amerikanischen Food and Drug Administration zugelassen wurden, auch in der Schweiz anerkannt werden. Damit wird die Patientenversorgung gesichert und der rasche Zugang zu Innovationen gewährleistet. Wir kämpfen zudem für die Vergütung digitaler Anwendungen. Gleichzeitig wehren wir uns gegen zusätzliche Regulierungen und Abgaben, die der Branche aufgebürdet werden sollen. Zunehmend wird die Finanzierung staatlicher Aufgaben auf die Privatwirtschaft verlagert – eine Entwicklung, die Swiss Medtech entschieden ablehnt. So ist beispielsweise die Marktüberwachung von Medizinprodukten eine staatliche Kernaufgabe, deren Finanzierung nicht der Industrie übertragen werden darf.

Gibt es Best-Practice-Beispiele aus anderen Ländern, von denen man lernen könnte?
Ja, zum Beispiel von Skandinavien, was die Nutzung von Daten angeht, oder von Irland, was die Förderung klinischer Studien betrifft.

Welche Rolle können und müssen Branchenverbände spielen, um den Standort Schweiz und den Standort Europa strategisch weiterzuentwickeln?
Sie spielen eine wichtige Rolle als Sprachrohr der Medtech-Branche. Swiss Medtech verfolgt zwei zentrale Aufgaben: Erstens setzen wir uns dafür ein, dass die Rahmenbedingungen so gestaltet sind, dass unsere Unternehmen unter möglichst optimalen Voraussetzungen Spitzenleistungen erbringen können. Zweitens unterstützen wir unsere Mitglieder dort, wo sie vor besonderen Herausforderungen stehen. So bieten wir beispielsweise aktuell Weiterbildungen zu Handlungsmöglichkeiten im Zusammenhang mit den US-Zöllen. Über die Schweiz hinaus arbeiten wir eng mit Partnerverbänden im DACH-Raum zusammen und engagieren uns aktiv bei MedTech Europe.