Gastkommentar: Balanceakt

Patienten erwarten sich in einem Krankenhaus vor allem eine gute medizinische und pflegerische Versorgung – dennoch steht in der politischen Diskussion oft die „Hotelkomponente“ im Vordergrund. Die wirkliche Herausforderung und der Balanceakt zwischen Angebot und Nachfrage liegen aber ganz klar woanders. Wir wissen, dass aufgrund der demografischen Entwicklung, die auf uns zukommt, die Patientenversorgung aufgrund knapper werdender Ressourcen immer mehr unter Druck kommt. Viele Agenden rund um die Versorgung einer alternden Bevölkerung stellen besondere Herausforderungen an intramurale Einrichtungen, wie etwa das Entlassungsmanagement, das Setting in der Intensivstation, die Organisation der optimalen Nachsorge. Mit einer OP und der Entlassung nach Hause ist es ja nicht getan, gerade nicht bei alten, multimorbiden Patienten. Wir benötigen eine umfassende Aufklärung und Betreuung über den Eingriff, aber auch die Zeit danach, wie zum Beispiel die Rehabilitation, Mobilisation oder Ernährung. Der Genesungsprozess ist ja nicht mit einer OP erledigt, das ist erst der Anfang, gerade bei betagten Menschen. Und dass wir hier nicht von Tagen, sondern oft von Monaten sprechen, ist selbst den Betroffenen nicht bewusst. Gerade in der Anästhesie- und Intensivpflege sehen wir, dass die demografische Entwicklung die Anforderungen an die Pflege enorm vergrößert. Medizinische Eingriffe bleiben gleich, doch die Nachsorge dahinter nimmt Ausmaße an, wo Spitäler Agenden kompensieren müssen, die bei Weitem nicht mehr in ihr Ressort fallen. Wir überlegen derzeit zum Beispiel die Mitaufnahme von Angehörigen bei Demenzpatienten. Doch das erfordert Raum und Strukturen, um das in den Pflegealltag im Spital einzubauen. Akutbetten werden zwar reduziert und viele Aufgaben sollen extramural oder ambulant erledigt werden, aber diese Pläne berücksichtigen die Alterskaskade nicht!
Ich wünsche mir eine offene Diskussion über diese Themen, aber auch zum Beispiel über heikle Fragen wie die OP-Indikationen, die es neu zu überdenken gilt. Muss wirklich jeder alles bekommen? Muss jeder Eingriff bis ins hohe Alter durchgeführt werden? Gibt es Grenzen, die auch ethisch vertretbar sind? Das sind Fragen, wo vor allem die Politik, aber auch die Gesellschaft gefordert sind, eine offene und ehrliche Diskussion zu führen.
Ich wünsche mir auch, dass die Patienten einen niedrigschwelligeren Zugang zu den Aufklärungsangeboten und mehr Mündigkeit für die eigene Gesundheit oder Vorsorge im Krankheitsfall bekommen. Die medizinische Aufklärung wird durchgeführt und kann auch verrechnet werden, aber vonseiten der Pflege braucht es zunehmend mehr Zeit, um Patienten in der Nachsorge und bei der Entlassung zu betreuen. Ideal wäre auch eine kostengünstige oder kostenlose Beratung rund um Vorsorgevollmachten und Patientenverfügungen oder die Besachwalterung, die immer häufiger bei älteren Menschen zur Anwendung kommt, da die familiären Ressourcen für eine Betreuung nicht vorhanden sind.
Die großen Herausforderungen, vor denen wir in den nächsten Jahren nicht nur in der Anästhesie- und Intensivpflege stehen, sind die professionelle Abgrenzung und die Schnittstellen gegenüber anderen Gesundheitsberufen klar zu definieren. Wir werden uns bestimmt auf fachlicher Ebene einigen, doch viele Themen spielen sich auf Ebene der Wertschätzung ab. Das kann gesetzlich nicht verankert werden. Darüber hinaus hat der Pflegeberuf sehr viele Facetten und Ausbildungs- und Erfahrungsunterschiede dürfen nicht nivelliert werden. Wir werden künftig immer mehr Pflegeexperten für unterschiedliche Spezialgebiete benötigen, die jedoch eine gemeinsame Grundausbildung haben müssen. Eine Herausforderung für das Spitalsmanagement werden jedenfalls die Pflegeassistenzberufe werden.
Solange der extra- und intramurale Versorgungsauftrag nicht transparent ist und die Diskussion um die Verlagerung der Aufgaben zwischen Spitälern, Ambulanzen und dem niedergelassenen Bereich anhält, wird es schwierig sein, die richtige Zahl der Mitarbeiter in den Berufsgruppen mit der jeweils passenden Ausbildung zur Hand zu haben. Für die Pflege wäre es in diesem Zusammenhang auch wichtig, Möglichkeiten zu schaffen, die es uns erlauben, einfacher zwischen den extra- und intramuralen Berufsfeldern zu wechseln. Gerade erfahrende Mitarbeiter könnten im extramuralen Bereich viel von ihrem Know-how einbringen! Und vice versa.