Hüft- und Knieoperationen: Wie viele Infektionen vermeidbar wären

Die Zahl der Hüft- und Knieimplantationen steigt weltweit stetig an. Die aktuellen Fallzahlen in Österreich liegen bei jeweils rund 15.000 pro Jahr, wobei die Eingriffe an den Hüften stagnieren und Knie-OPs tendenziell steigen. „Diese Entwicklung zeigt, dass künstliche Gelenke heute zu Routineoperationen zählen und längst keine Besonderheit mehr sind. Die Altersgrenze bei den Operationen ist hier deutlich gesunken, die Indikation zur Operation wird viel früher gestellt und gelenkerhaltende Operationen wurden in den Hintergrund gedrängt. Gleichzeitig spiegelt der Wunsch der Patienten, bis ins hohe Alter aktiv und mobil zu bleiben, den Trend ebenfalls wider“, beschreibt Dr. Max Böhler, Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie und Experte für Endoprothetik, die Situation. Jede Operation ist grundsätzlich mit Risiken verbunden, eine der gefürchtetsten dabei ist die Implantatinfektion. Und diese Sorge ist nach Einschätzung von Böhler durchaus begründet: In Deutschland resultieren aus jährlich 390.000 Implantateingriffen rund 65.000 Wechseloperationen, 9.000 bis 11.000 davon sind durch Infektionen hervorgerufen. Hierzulande sprechen die Zahlen eine ähnliche Sprache. „Die Rezidivrate liegt bei durchschnittlich 18 %, das heißt, jeder fünfte Patient kommt wieder“, weiß der Mediziner und ergänzt: „Derartige Eingriffe ohne Infektionen sind eine Illusion und dennoch sprechen viele Kliniken von einer nullprozentigen Infektionsrate und machen diese Zahl damit zur eigenen Visitenkarte. Das ist aus meiner Sicht aber eine Falschinformation, denn wir können derzeit oft gar nicht mit Sicherheit feststellen, ob und welche Infektionen auf einen Eingriff zurückzuführen sind.“

Einfach vorsorgen

Um perioperative Infektionen zu vermeiden, gibt es mittlerweile eine Reihe von Maßnahmen, die den Gesundheitseinrichtungen vom Gesetzgeber auferlegt werden. Alle Basishygiene-Maßnahmen wie der Umgang mit Schutzbekleidung, Regelungen bezüglich der Isolierung infizierter Patienten sowie die richtige Händehygiene müssen jedenfalls beherrscht werden und ihre Umsetzung sollte nicht mehr infrage stehen. Hilfreiche Strategien sind auch die Etablierung von Hygieneteams und die Implementierung von Antibiotic bzw. Hygiene Stewardship Programmen. Eine österreichweit einheitliche Checkliste der „Must-haves“ im Krankenhaus wäre ideal, ist aber nicht Realität. „Neben diesen weitgehend sehr gut reglementierten Maßnahmen gibt es aber auch eine Reihe von Möglichkeiten, die in der Eigenverantwortung der Patienten liegen“, weiß Böhler und beschreibt: „Wir wissen vor einer OP zum Beispiel nicht, wann der Patient zuletzt seine Zähne sanieren hat lassen oder wann das letzte Mal geduscht wurde und mit welchen Keimen die Haut des Patienten tatsächlich besiedelt ist. Das sind aber wichtige Eckpunkte für eine sichere Infektionsprophylaxe.“ Böhler ist überzeugt davon, dass passende Desinfektionsmaßnahmen vor der OP kein unzumutbarer Aufwand sind und das Risiko einer potenziellen Infektion deutlich reduzieren. Ebenso sind die korrekte Einstellung des Blutzuckers, Verzicht auf das Rauchen einige Tage vor dem Eingriff und auch die Behandlung einer präoperativ bestehenden Anämie einfache und wirksame Maßnahmen.

Zahl der Eingriffe steigt

„Die meisten Keime haben wir im Mund, in der Nase und im Rachenraum. Wird hier Prophylaxe betrieben, können wir die Infektionsgefahr um das Drei- bis Vierfache reduzieren“, ist der Mediziner überzeugt. Im Evangelischen Krankenhaus in Wien werden seine Patienten über diese Möglichkeit aufgeklärt, das erfordert keinen Zusatzaufwand und braucht auch keine teuren flächendeckenden Screenings. „Wir erzeugen Bewusstsein und können schon mit gezielten Fragen Risikogruppen herausfiltern“, so Böhler. Dazu gehören etwa Patienten mit schlecht heilenden Wunden, Diabetes oder einem kürzlich vorangegangenen Aufenthalt auf einer Intensivstation.
Die Fortschritte in der Medizin haben auch bei den Infektionen zur Reduktion beigetragen: kürzere OP-Zeiten, verbesserte OP-Techniken, innovatives Prothesenmaterial oder blutsparende Maßnahmen sowie die perioperative Antibiotikagabe senken die Infektionsrate. „Wie weit die antibiotische Therapie ausgeweitet wird, hängt aber vom Behandler ab“, so Böhler. Doch die Kehrseite der Medaille ist, dass auch die Zahl der Eingriffe zunimmt und das Patientengut aufgrund der Demografie älter und kränker wird. „Letztendlich können Patienten davon ausgehen, dass die Hygienestandards im Spital aufgrund der geforderten gesetzlichen Maßnahmen schon sehr hoch sind, ihr eigenes Zutun aber durchaus noch Verbesserungen bringen kann“, ergänzt Böhler. Wichtig ist dem Operateur auch, dass der OP als Arbeitsplatz zu respektieren ist: „Darin sollen sich nicht mehr Personen als nötig aufhalten und die Tür soll geschlossen bleiben. Händedesinfektion sollte nicht mehr infrage stehen, ist aber leider immer wieder ein aktuelles Thema.“

 

Im Gespräch: Dr. Max Böhler
Wie erkennen Sie frühzeitig das Auftreten von Infektionen nach einer Hüft- oder Knieimplantation?
Neben dem klinischen Erscheinungsbild können wir bei Verdachtsfällen auch laborchemische Nachweise erbringen. Zudem gibt es PCR-Schnelltests, die rasch und sicher ein Ergebnis in der Infektionsdiagnostik bringen. Eine rasche Behandlung mit dem passenden Antibiotikum ist wichtig und sollte immer in Absprache mit einem auf Infektionen spezialisierten Internisten oder Infektiologen erfolgen. Bildgebende Verfahren erlauben zusätzlich eine Differenzialdiagnostik, feingewebliche und bakteriologische Untersuchungen ergänzen das Spektrum.
Worauf soll bei der Infektionsprophylaxe besonders Wert gelegt werden?
Eigenverantwortung des Patienten ist ein zentrales Thema. Ich denke, dass wir im Spital schon die Infektionsprävention sehr ausgereizt haben, die gesetzlichen Vorgaben sind bekannt, aber was wir manchmal noch zu wenig beachten, sind die Risikogruppen. Patienten, denen ich Hüft- oder Knieimplantate einsetze, haben zu 60 % Stents und zwei bis drei weitere Grunderkrankungen oder andere Endoprothesen im Körper. In solchen Fällen handelt es sich dann nicht mehr um Routineeingriffe, sondern hier werden Hochrisikooperationen durchgeführt und da steigt auch das Risiko einer Infektion deutlich an. Kein Arzt will seinem Patienten gerne mitteilen, dass eine Infektion nach dem Eingriff entstanden ist und Schuldzuweisungen, wenn einmal etwas passiert ist, bringen uns nicht weiter. Meines Erachtens müssen wir in der Phase vor der stationären Aufnahme aktiv werden, wenn es noch möglich ist, die Keimbesiedelung des Patienten zu reduzieren. Sind Patienten potenzielle Keimträger, so müssen sie auch diesbezüglich aufgeklärt werden.