Hygiene: Deutlich mehr als Händewaschen

Die ÖGHMP ist mit dem Gründungsjahr 1925 eine „alte“ Gesellschaft und entwickelte sich von einer Mikrobiologenenklave zu einer Plattform, die inzwischen ein erheblich breiteres Zielpublikum anspricht. Sie fördert und ermöglicht gezielt den wissenschaftlichen Austausch zwischen Medizinern, Veterinärmedizinern, Hygienikern, Mikrobiologen, biomedizinischen Analytikern, Experten mikrobiologisch-diagnostischer Laboratorien, Angehörigen von Gesundheitsberufen sowie Spezialisten aus der biotechnologischen und pharmazeutischen Industrie. Schon alleine die Definition des Hygienebegriffes zeigt, wie das gemeint ist, wenn hier neben Krankheitserregern und toxischen Stoffen auch Handystrahlung, Feinstaubverschmutzung oder Lärmbelastung in das Mensch-Gesundheits-Verständnis miteinbezogen werden und letztlich alle Maßnahmen und Prozesse einbindet, die der Verhinderung von Infektion oder Intoxikation dienen. Die Vorsitzende der ÖGHMP, Univ.-Prof. DI Dr. Regina Sommer vom Institut für Hygiene und angewandte Immunologie am Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der Medizinischen Universität Wien gibt einen Ausblick auf das Kongressprogramm und die Entwicklung ihrer Disziplin.

Sie verfolgen einen sehr breit angelegten Hygienebegriff, der über die langläufigen Auffassungen weit hinausgeht. Warum?

Ja, denn sonst geht der Blick auf wesentliche Zusammenhänge verloren. Wir haben heute auf vielen Teilgebieten Spezialisten, deren Wissen enorm ins Detail geht, benötigen aber Plattformen, wo es zu einem Austausch dieses Spezialwissens kommt, damit die Kenntnis der Zusammenhänge ermöglicht wird. Dabei muss insbesondere der Präventionsaspekt beachtet werden.

Entsprechend weit sind sicher die Themen gestreut, die auch am Kongress behandelt werden. Was erwartet den Besucher?

Wir versuchen nicht zuletzt, möglichst aktuell in unserer Themenwahl zu sein. Oder auch sehr kontrovers bewertete Themen aufzugreifen, um sie einer Diskussion zuzuführen. Ganz aktuell etwa ist die Frage der Risikobewertung. Wir haben vom Harding-Center für Risikoforschung Herrn Prof. Wolfgang Gaissmaier eingeladen, an dessen Institut sich die Forscher mit dem Abwägen von Risiken zum Beispiel auch bei Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen beschäftigen. Im Bereich der Risikoeinschätzung und -beurteilung gibt es laufend neue Erkenntnisse, die etwa Screeningmethoden wie Mammografie oder PSA-Erfassung unter neuem Licht erscheinen lassen. Das ist ein Thema, das letztlich für so gut wie alle Studien gilt, denn die entscheidende Frage ist doch immer, von welcher tatsächlichen Relevanz ein Studienergebnis ist: Ob man daraus etwa Verhaltensänderungen für die medizinische Praxis ableiten kann oder ob nur ein akademischer Wert besteht. Oft werden Aussagen getroffen wie etwa „Risikoreduzierung um 30 %“, aber was bedeutet das in Wahrheit, was waren die Datenquellen, wie hoch ist die statistische Relevanz und vieles mehr.

Ihr persönliches und auch berufliches Anliegen ist aber das Wasser oder besser seine Sauberkeit. Wie wird das Thema einfließen?

Auch dazu haben wir einen speziellen Sprecher, Prof. Jack Schijven vom National Institute of Public Health and the Environment in Bilthoven aus den Niederlanden, der einen neuen Zugang zur Risikobeurteilung im Zusammenhang mit der Wasserqualität und der menschlichen Gesundheit berichten wird. Ein Thema, das vielfach speziell in den sogenannten entwickelten Ländern unterschätzt wird. Hierbei sind im Hinblick auf die Gesundheit alle Verwendungen von Wasser zu betrachten. Ob als Trinkwasser, zur Körperpflege, für medizinische Anwendungen wie Dialysewasser, für technische Zwecke oder zum Baden und Schwimmen in Beckenbädern oder natürlichen Gewässern – es gibt aus hygienischer Sicht eine Menge an notwendigen Maßnahmen, um gesundheitliche Schäden abzuwenden. 2010 etwa ist eine Urlauberin in Salzburg aufgrund einer bakteriellen Infektion einer Warmsprudelwanne gestorben. Das stagnierende Wasser in den Schläuchen des Wannensystems hatte einen Biofilm gebildet, in dem sich Bakterien perfekt vermehren konnten. Durch die Inbetriebnahme der Wannensprudelfunktion können die Bakterien in das Wannenwasser gelangen. In dem speziellen Fall war das das Wasserbakterium Pseudomonas aeruginosa, das die Infektion auslöste.

Was sind die weiteren Highlights?

Besonders aktuell das Thema Masern, weil die Zahl der Fälle während der letzten Wochen wieder stark angestiegen ist. Hier sind insbesondere ungeimpfte Kinder in Gefahr. Prof. Heidemarie Holzmann wird dazu einen Hauptvortrag halten. Weiters gibt es derzeit kontroverse Meinungen und Studien darüber, wen man wann gegen Influenza impfen soll. Das betrifft nicht zuletzt auch das sensible Thema der Influenza-Impfung bei Kindern. Prof. ­Michael Kunze wird mit Experten dieses Thema beleuchten.
Ein weiteres Spezialthema aus dem Bereich der Kinderkrankheiten wird Pertussis sein. Prof. Ursula Wiedermann-Schmidt wird hier mit Kollegen in einer speziellen Session vor allem die Effizienz der Prävention beziehungsweise deren Verbesserungsmöglichkeiten beleuchten.

Zur Toxoplasmose gibt es auch Neuigkeiten?

Nachdem die Untersuchung aus dem Mutter-Kind-Pass entfernt wurde, gibt es nun wieder neue Erkenntnisse, die nahelegen, in bestimmten Fällen doch wieder zu testen, da es auch einen Übertragungsweg über Nahrungsmittel im Sinne einer Lebensmittelinfektion gibt. Prof. Martin Wagner von der Veterinärmedizinischen Universität Wien wird diese Session leiten. Zum Thema Toxoplasmose wurde ein neuer Leitfaden entwickelt, der vorgestellt wird. Man muss diskutieren, welche Konsequenzen das für den Bereich der Lebensmittelhygiene hat.
Das Thema Resistenzen wird insbesondere im Hinblick auf resistente Pilze bearbeitet. Dazu haben wir Prof. Jacques Meis von der Radboud University Medical Centre in Nijmegen (NL) eingeladen.
Sehr spannend wird auch ein Bericht aus der Schweiz von Dr. Pie Müller werden. Dort wurde am Institut für Tropenmedizin und Public Health ein sogenanntes Moskitokontrollsystem entwickelt, da durch den Tourismus auch in unseren Breiten zunehmend Fälle von Viruserkrankungen wie Dengue- oder West-Nil-Fieber auftreten. Es können bei diesen Infektionen Komplikationen in Form von einer Beteiligung des zentralen Nervensystems auftreten. Die Bedeutung des Klimawandels als Ursache für das Vordringen von „fremden“ Stechmückenarten in den Norden wird zwar diskutiert, als gesichert gilt jedoch, dass auch unsere „einheimischen“ Stechmückenarten zur Verbreitung des West-Nil-Virus beitragen.
Unser Institutsleiter, Prof. Hannes Stockinger, wird den Zusammenhang zwischen Hygiene und den Auswirkungen auf das Immunsystem beleuchten. Damit ist die sogenannte „Hygiene-Hypothese“ gemeint, die postuliert, dass Kinder, die in natürlich schmutziger Umgebung spielen, später weniger Allergien zeigen. Auch das ist ein kontrovers diskutiertes Thema.
Der ÖGHMP liegt die Förderung junger Wissenschaftler besonders am Herzen. Daher vergeben wir Tagungsstipendien, bieten eine stark reduzierte Kongressgebühr für Studenten an und schreiben drei wissenschaftliche Preise aus, die wir dank unserer großzügigen Stifter ermöglichen können.

 

Mehr Kompetenz im Umgang mit Risiken

Am 23. April 2009 wurde das Harding Zentrum für Risikokompetenz (Harding Center for Risk Literacy) am Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung eröffnet. Im Fokus der Forschung steht die Vision des mündigen Bürgers, der mit den Risiken einer modernen technologischen Welt informiert umzugehen versteht.
Wie treffe ich Entscheidungen in der modernen, technologischen Welt? Soll ich mich impfen lassen? Ist es sicherer, mit dem Auto oder mit dem Flugzeug zu reisen? Nutzen mir Maßnahmen zur Krebsfrüherkennung oder schaden sie mir vielleicht?
Die Ergebnisse eigener Studien sollen dabei helfen, Risiken kompetent und richtig zu beurteilen. Weiterhin wird es Fort- und Weiterbildungen für Ärzte und auch für Journalisten geben.
Besonders interessant und auch in aller Kürze lesenswert ist die „Unstatistik“ des Monats, in der Aussagen aus Wissenschaft und Forschung relativiert und mit spitzer Feder kommentiert werden. Die „Unstatistik“ des Monats Januar ist die Meldung, eine mediterrane Diät verringere das Risiko, an Diabetes Typ 2 zu erkranken, um 30 Prozent.

www.harding-center.de