Krankenhausplanung 2.0

Um eine angemessene medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen und allen Bürgern flächendeckend ­Zugang zu Gesundheitsleistungen zu ermöglichen, bedarf es gerade auch im stationären Bereich einer strategischen, Landesgrenzen überschreitenden Angebotsplanung.
„Aktuell werden jedoch in der Krankenhausplanung hauptsächlich bestehende Strukturen fortgeschrieben. Dadurch haben sich Fehlentwicklungen herausgebildet mit einem Nebeneinander von Unter-, Über- und Fehlversorgung. Dies begünstigt veraltete Strukturen, bei denen nicht nur die finanziellen Mittel im Gesundheitssystem ineffizient verteilt, sondern auch Patienten teilweise nicht bedarfsgerecht versorgt werden.“ Dieses Zitat bezieht sich nicht auf die aktuelle heimische Versorgungssituation, sondern entstammt einer Forschungsarbeit des Rheinisch-Westfälisches Instituts für Wirtschaftsforschung über innovative Planungsansätze für eine strategische Ressourcenplanung im öffentlich klinischen Bereich in Deutschland. Weiter ist zu lesen: „Vor dem Hintergrund solcher Fehlentwicklungen sowie im Angesicht demografischer Veränderungen und sich verknappender Ressourcen sowohl im personellen als auch finanziellen Bereich ist eine Reformierung und Modernisierung der Krankenhausplanung dringend notwendig.“ An diesen wenigen Zeilen lässt sich gut erkennen, dass die Relevanz dieser Studie nicht an den deutschen Außengrenzen endet und deren Lektüre heimischen Gesundheitspolitikern durchaus zu empfehlen ist.
Wie eine solche Modernisierung aussehen könnte, versucht die Studie „Krankenhausplanung 2.0“ zu beschreiben, um auf dieser Basis „praktikable Umsetzungsvorschläge“ anzubieten.

Bestandsaufnahme

Auch in Deutschland hat sich die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser gerade in den vergangenen Jahren rapide verschlechtert, erläutert einer der Studienautoren, Dr. Andreas Beivers, Studiendekan für Gesundheitsökonomie an der Hochschule Fresenius München. 2012 machte beinahe die Hälfte aller Krankenhausstandorte Verluste, was sich dramatisch auf die Investitionsfähigkeit auswirkte. „Zumindest teilweise dafür verantwortlich ist in vielen Regionen eine ungünstige Versorgungstruktur – zu viele kleine Einheiten, zu hohe Krankenhausdichte, zu wenig Spezialisierung – als eine Folge der historisch gewachsenen Krankenhauslandschaft und deren Fortschreibung durch die bestehende Krankenhausplanung“, sagt Beivers. Daher sei es wichtig, den Fokus „von einer standortbasierten auf eine erreichbarkeitsorientierte Versorgungsplanung“ zu richten.
Ein weiterer wesentlicher Punkt sei die Aufnahme des Kriteriums Qualität in die Versorgungsplanung, schreiben die Studienautoren, denn „die medizinische Qualität einer Klinik zeigt sich bei Patientenbefragungen als das entscheidende Kriterium für die Wahl eines Krankenhauses“. Eine bedarfsgerechte Krankenhausplanung sollte diesen subjektiven Bedarf der Patienten entsprechend berücksichtigen. Auf der Ebene des objektiven Bedarfs ist es hingegen wichtig, das Risiko von Fehlversorgung zu minimieren.

Empfehlungen

Die Studie formuliert im zweiten Teil sieben Empfehlungen, die eine moderne, bedarfsgerechte Krankenhausplanung zu berücksichtigen hat:
Bundesweite, verbindliche Vorgaben: Damit für alle Versicherten die gleiche Mindestqualität bei der Versorgung gewährleistet ist, müssen bundesweit einheitliche Mindeststandards verbindlich festgelegt werden.
Definition der Grund- und Regelversorgung: Eine Abgrenzung zwischen Grund- und Regelversorgung bzw. Schwerpunkt- und Maximalversorgung ist wichtig, um Erreichbarkeiten festlegen zu können.
Neuausrichtung der Notfallversorgung: Alle Krankenhäuser, die in das Notfallsystem integriert sind, müssen generelle, personelle und apparative Strukturanforderungen erfüllen, unter anderem eine Rund-um-die-Uhr-Vorhaltung von intensivmedizinischen Kapazitäten, eine zentrale interdisziplinäre Notaufnahme, einen Schockraum, einen Hubschrauberlandeplatz oder die Verfügbarkeit eines pädiatrischen und/oder neurologischen Konzils innerhalb von 60 Minuten. Zur Unterstützung der Notfallversorgung sollten auch die niedergelassenen allgemein- und fachärztlichen Praxen verstärkt eingebunden und telemedizinische Angebote ausgeweitet werden.
Einheitliche Standards zur Erreichbarkeit: Für Basisleistungen in Kliniken der Grund- und Regelversorgung sollte die Erreichbarkeitsvorgabe maximal 30 Pkw-Minuten betragen, bei Schwerpunkt- und Maximalversorgern 60 Pkw-Minuten. In der Notfallversorgung sollten als Zeitspanne bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes maximal 12 Minuten vorgegeben werden.
Verbindliche Qualitätsvorgaben zur Steigerung des Patientennutzens: Dabei stehen grundsätzlich die Indikationsqualität („Wird das Richtige getan?“) und die Ergebnisqualität („Wird das richtige Ergebnis erzielt?“) im Vordergrund. Ausreichende Transparenz sollte langfristig einen funktionierenden Qualitätswettbewerb ermöglichen. Da jedoch beide Qualitätsmaße derzeit meist nicht ausreichend gut gemessen und überprüft werden können, sollen stellvertretend auch die Strukturqualität („Sind die Rahmenbedingungen richtig?“) und die Prozessqualität („Wird die Leistung richtig erbracht?“) berücksichtigt und Mindeststandards in die Krankenhausplanung aufgenommen werden. Leistungsbereiche einzelner Krankenhäuser, die verbindlich vorgegebene Qualitätsstandards nicht erfüllen, sollten vom Versorgungsauftrag ausgeschlossen werden.
Einheitliche Datengrundlage: Um die Krankenhausplanung am zu erwartenden Bedarf ausrichten sowie die Versorgungsstrukturen systematisch überprüfen zu können, scheint den Studienautoren die Schaffung einer passenden Datengrundlage zwingend notwendig. Insbesondere sollten die DRG-Statistiken und die Diagnosedaten der Krankenhausstatistik regional nach einheitlichen Kriterien ausgewertet werden.
Systematisches Versorgungsmonitoring: Das Monitoring fokussiert die drei Dimensionen von Fehlversorgung – qualitative Fehlversorgung, Unter- bzw. Überversorgung –, deren Auftreten damit vermindert werden soll. So überprüft das Monitoring bei geplanter Leistungsausweitung eines Krankenhauses etwa, ob in der betreffenden Region bereits eine Überversorgung bezogen auf die entsprechende Leistung vorliegt. Dafür werden regionale Fallzahlen herangezogen und mit einem regionalisierten Richtwert verglichen, das heißt das Monitoring bezieht regionale Besonderheiten (wie zum Beispiel in der Bevölkerungsstruktur) mit ein.
„Eine oftmals lokal ungünstige Kranken­hausstruktur und eine mangelnde Investitionsbereitschaft zeigen, dass die derzeitige Krankenhausplanung durch eine Rückwärtsgewandtheit und hohe Passivität gekennzeichnet ist“, analysiert Studienautor Beivers abschließend. Sie werde so den anstehenden Problemen nicht mehr gerecht. „Eine Modernisierung der Krankenhausplanung ist daher notwendig und sollte so bald wie möglich angegangen werden, um weiteren Fehlentwicklungen entgegensteuern zu können.“

Praktische Umsetzung in Dänemark

Ein Land, das über eine solche Planungsphase bereits weit hinaus ist, ist Dänemark. Hier wird derzeit eine völlig neue Krankenhausstruktur aufgebaut. Dabei folgt man konsequent – und einigermaßen radikal – einem bundesweiten Strategieplan, der sich in vielen Punkten mit den Überlegungen der deutschen Studie überschneidet. Statt der existierenden 40 Kliniken entstehen in den nächsten Jahren 21 moderne Versorgungszentren. 16 davon werden neu gebaut. Unterstützend dazu werden sowohl Primärversorgung als auch Notfallsysteme massiv ausgebaut, ebenso die telemedizinischen Angebote. Das gesamte Reformpaket wird 5,5 Milliarden Euro kosten. Die ehrgeizigen Ziele, die damit verbunden sind, skizziert Nanna Skovgaard vom dänischen Gesundheitsministerium: „Die ambulante Versorgung soll um 50 Prozent steigen, die Anzahl der Krankenhausbetten um 20 Prozent reduziert und die durchschnittliche Belagsdauer von 4,5 auf drei Tage gesenkt werden.“