Patienten sehnen sich nach Verständnis

Nicht anders verhält es sich mit der Patient Journey. „Zu denken wie ein Patient, fällt aber gerade den etablierten Gesundheitseinrichtungen schwer, denn ihnen liegt ein Denkmodell zugrunde, das sich auf Autoritäten stützt“, erklärt Dr. Helene Karmasin, Leiterin des Instituts Karmasin Behavioural Insights. Hier kombiniert sie Ansätze aus Semiotik, klassischer Marktforschung, Motivforschung und Verhaltensökonomie, um genau dieser Frage auf den Grund zu gehen: Wie denken Menschen? „Ärzte, Apotheken oder die Industrie haben schon viel dazugelernt, doch Spitäler oder Krankenkassen sind noch weit davon entfernt, sich in ihre Patienten hineinzudenken. Außerdem geht es nicht nur darum, etwas aus Sicht des Patienten zu erleben, sondern dann auch verständlich zu kommunizieren.“ Der Patient im Mittelpunkt bleibt damit noch eine leere Phrase, obwohl es nach Ansicht der Expertin so einfach wäre: „Weg mit dem bürokratischen Code“, heißt ihre Devise. Anstelle von „Wir wissen, was das Richtige ist, weil Studien das belegen“ muss es heißen „Wir haben bewährte Produkte, die helfen und unterstützen“. Patienten wollen keine bürokratische Wissenschaftssprache, sondern ein einfaches Vokabular, das ihr Bedürfnis nach Linderung von Leid und Schmerz ernst nimmt und die Sehnsucht nach Hilfe und Verständnis ausdrückt. „Einen Weg, den zum Beispiel die Alternativmedizin sehr erfolgreich beschreitet“, sagt Karmasin.

Schluss mit dem ­Krankenkassenimage

Der Wunsch nach (Be-) Achtung ist nach Ansicht der Expertin der Kern jeder Patient Journey. Dazu kommen Werte, die in der Gesellschaft aktuell als wichtig erachtet werden – allen voran die Autonomie, die dazu führt, dass sich Patienten ungern etwas vorschreiben lassen und Autoritäten immer weniger anerkennen. „Krankenkassen sind nicht umsonst in der Krise. Sie können noch so Nützliches anbieten, wenn sie top-down und autoritär agieren, werden sich Patienten nie umsorgt fühlen und die Leistungen als gut und wichtig anerkennen“, so Karmasin. Wir alle kennen das Gefühl, wenn eine Untersuchung „bewilligt“ werden muss oder eine Brille das Image einer „Krankenkassenbrille“ trägt.

Neben der Autonomie ist der singuläre Individualismus aktuell gesellschaftlich prägend. Die personalisierte Medizin zielt darauf ab oder auch Slogans wie „for patients like me!“. Ergänzt werden diese beiden Strömungen durch das Bedürfnis, alle Leistungen „sofort“ haben zu wollen. „Ein Trend, der durch das Internet noch beflügelt wird.“ Wahlarztrechnungen via App einreichen zu können, entsprechen diesem Bedürfnis; abzuwarten, bis etwas bewilligt wird, jedoch nicht. Gleiches gilt für die Wirkung von Therapien – die Compliance sinkt, wenn nicht rasch der gewünschte Erfolg spürbar ist.

Ein wesentlicher Aspekt ist nach Ansicht Karmasins die Vermittlung hochkomplexer Information. „Die Patienten kommen aus der Kultur des Marktes, wo vieles in einfachen Bildern, Slogans und Versprechen verpackt ist. Das soll jetzt auf Leistungen wie Rehabilitationsanträge oder Anästhesieeinwilligungsformulare übertragen werden – keine einfache Übung! Verschärft wird die Situation dadurch, dass Gesundheit ein hochrelevanter Wert in unserer Gesellschaft ist. „Ideale, perfekte Körper kommen nicht aus der Medizin, sondern aus der Werbung. Riesige Industriezweige arbeiten daran, dass der Mensch optimiert und verbessert wird, dass wir chronisch gesund werden. Jede kleine Störung soll sofort behoben werden.“

Evidenz löst keine Emotionen aus

Auch wenn das Gesundheitswesen nicht dem freien Kräftespiel des Marktes überlassen werden darf, so könnte es sich doch Anleihen in der Kommunikation holen. Die Patient Journey ist ein guter Weg dorthin. „Sie fordert auf zu überlegen, wie ein Patient die einzelnen Berührungspunkte mit dem System erlebt, welche Motive, Ängste und Sehnsüchte er dabei hat und wie er gerne behandelt werden will. Produkte müssen so angeboten werden, dass sie der Patient versteht, akzeptiert und in seine Entscheidung einbindet. Die Verhaltensökonomie geht davon aus, dass Entscheidungen nicht nur rational getroffen werden, ein Umstand, den die Institutionen im Gesundheitswesen völlig negieren. Evidenzbasierte Information ist wichtig, aber dem Betroffenen in seinem Leid längst nicht so wichtig wie das Gefühl gut aufgehoben zu sein.“

„Der Mensch ist es nicht gewohnt, scharf nachzudenken“, lautet ein Spruch des Nobelpreisträgers Daniel Kahneman. Was nichts anderes heißt, als dass sich der Mensch oft von seinem Unterbewusstsein und seiner Intuition leiten lässt. Ohne dieses „System 1“, das schnell, unbewusst und oft emotionsgesteuert Entscheidungen herbeiführt, könnten wir gar nicht überleben. Doch es begeht eben auch Fehler, die nur zu vermeiden sind, wenn wir das „System 2“ einschalten, das für bewusste, langwierige und oft anstrengende Überlegungen steht. „Hier hilft die raffinierte Handhabung von Semiotik, also der bewusste Einsatz von Zeichen. Wir wissen zum Beispiel, dass Ärzten, die weiße Kittel tragen, bessere Behandlungserfolge zugesprochen werden oder dass kleinen pastellfarbenen Pillen weniger Wirkung zugesprochen wird als großen bunten“, übersetzt Karmasin die Anwendung in das Gesundheitswesen und setzt mit einem Tipp nach: „Überlegen sie, welche Namen, Farben oder Begriffe Sie verwenden, wecken Sie mit Assoziationen positive Gefühle. Wie viele Homecare-Produkte können vom Patienten erst angewendet werden, wenn er mühsam das ‚System 2‘ eingeschaltet hat!“

Innovationen haben es schwer

Menschen sind von Natur aus misstrauisch, daher haben es Innovationen im Gesundheitswesen auch nicht leicht. Auch hier gilt: „Verzichten Sie auf den Code der Innovation“ – neueste Forschungen, die Wirksamkeiten belegen, locken den Patienten nicht hinter dem Ofen hervor. „Greifen Sie in den Topf der Epoche machenden Wunder, lösen Sie einen Wow-Effekt aus und machen Sie Menschen zu Zeitzeugen von Unfassbarem. Aber vergessen Sie den Nutzen nicht!“

 

 

Die Mitglieder der AUSTROMED haben umfassende Erfahrung im Umgang mit Anwendern und ihren Bedürfnissen. Der Nutzen innovativer Produkte steht dabei automatisch im Mittelpunkt. So werden Behandlungskosten reduziert, Krankenhausaufenthalte verkürzt und damit die Kosten für das Gesundheitssystem reduziert. Wo hochqualitative Medizinprodukte eingesetzt werden, sinken die Folgekosten für weitere Anschaffungen.