Prostatakrebs: Wie hoch ist der Schaden einer Früherkennung?

Eine von Forschern der Tiroler Health and Life Sciences Universität UMIT, des Oncotyrol-Zentrums, der Medizinischen Universität Innsbruck und der Universität Toronto im „BMC Public Health“ publizierte Simulationsstudie wirft ein kritisches Licht auf Untersuchungen zur Früherkennung von Prostatakrebs und beleuchtet deren Nutzen und Risiken. „Wie die meisten medizinischen Verfahren können Früherkennungsuntersuchungen nicht nur Chancen, sondern auch Risiken mit sich bringen“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Uwe ­Siebert, Leiter des Departments für Public Health, Versorgungsforschung und Health Technology Assessment an der UMIT. Ein wesentliches Risiko der Prostatakarzinomfrüherkennung besteht in der Überdiagnose und Übertherapie. Derzeit existiert noch keine zuverlässige Methode, um ­klinisch unbedeutende von klinisch relevanten Tumoren zu unterscheiden. Infolgedessen kann es vorkommen, dass auch klinisch unbedeutende Tumoren behandelt werden, was die betroffenen Patienten unnötigen und nicht selten Langzeitkomplikationen wie Impotenz, Inkontinenz und Darmbeschwerden aussetzen kann.

Modellrechnung betrachtet Nutzen und Risiko

Das von den Forschern im Rahmen eines Oncotyrol-Forschungsprojekts für personalisierte Medizin entwickelte Simulationsmodell errechnet die positiven und negativen Auswirkungen der Früherkennungsuntersuchung auf die Lebenszeit und Lebensqualität der teilnehmenden Männer und analysiert, unter welchen Gegebenheiten der mögliche Schaden der Früherkennungsuntersuchung den möglichen Nutzen überwiegt. Projektkoordinator Ass.-Prof. Dr. Nikolai Mühlberger fasst die Studienerkenntnisse wie folgt zusammen: „Die Ergebnisse unserer Studie weisen darauf hin, dass die Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen das Risiko, an Prostatakarzinom zu versterben, verringert und die Lebenserwartung der an der Untersuchung teilnehmenden Männer verlängert. Bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Auswirkungen der Früherkennungsuntersuchung auf die Lebensqualität ergibt sich allerdings, dass vorwiegend Männer mit einem erhöhten familiären Prostatakarzinomrisiko von der Früherkennung profitieren, während bei Männern mit durchschnittlichem Risiko der Gesamtschaden durch die Früherkennung überwiegen kann. Darüber hinaus ergab unsere Modellrechnung, dass der Nutzen der Früherkennung bei Männern mit erhöhtem Risiko auch sehr stark von ihrer eigenen Bewertung der möglichen behandlungsbedingten Nebenwirkungen abhängt.“

Aufklärung von Patienten

Die urologischen Experten im Forschungsteam, Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Horninger, Leiter der Abteilung für Urologie an der Medizinischen Universität Innsbruck, und Univ.-Prof. Dr. Helmut Klocker vom wissenschaftlichen Labor der Universitätsklinik für Urologie sehen in der Studie einen wichtigen Beitrag zum bedachteren Einsatz der Prostatakarzinomfrüherkennung. „Die Studie verdeutlicht das Problem der Überdiagnose und zeigt die Abhängigkeit des Nutzens der Prostatakarzinomfrüherkennungsuntersuchung von persönlichen Risikofaktoren und Bewertungen. Sie leistet damit einen Beitrag zur Verbesserung der Patientenaufklärung und dem gezielteren Einsatz der Früherkennungsuntersuchung, die uns allen am Herzen liegt“, sind sich Horninger und Klocker einig.