Sinnvoll(e)Daten generieren

Ärzte, Pflegefachkräfte und Dokumentationsassistenten müssen dafür Sorge tragen, dass medizinische Daten gesichert werden. Zusätzlich werden im Rahmen von Markt- und Meinungsforschung oder Forschungseinrichtungen im Gesundheitswesen Daten generiert, beispielsweise um Informationen über den niedergelassenen Sektor oder die Patientensicht zu bekommen. Zum anderen bedarf es aussagekräftiger Daten über das stationäre Gesundheitswesen.

Fragen und Antworten abstimmen

Speziell bei der Erhebung von Patientendaten wird im Spannungsfeld „Marketing versus Qualitätsmanagement“ agiert. Und: Das eine schließt das andere nicht aus – im Gegenteil. Prof. Dr. Winfried Zinn, Gründer und Gesellschafter der im hessischen Bermuthshain beheimateten Forschungsgruppe Metrik, die sich als unabhängiger Dienstleister auf Befragungen im Gesundheitswesen spezialisiert hat, geht sogar einen Schritt weiter und sagt: „Marketing ohne hohen Qualitätsstandard kann sogar schädlich für die Einrichtung sein.“
Dasselbe gilt für Patientenbefragungen, denn nur Qualität kann sinnvolle Informationen liefern. Allerdings können bei der Entwicklung eines Fragebogens einige Fehler begangen werden, die dann das ganze Messinstrument unbrauchbar machen. Um nur ein paar simple Regeln zu nennen: Pro Frage und Antwort darf nur ein Thema behandelt werden. Außerdem müssen die Fragen eindeutig und stets positiv gestellt werden. Aber auch die Wahl der Antwortmöglichkeiten ist wichtig. Gerade der letzte Punkt spielt im deutschsprachigen Raum eine große Rolle, wie Zinn erläutert: „In Österreich, Deutschland und der Schweiz herrscht im Gesundheitswesen ein extrem hohes Qualitätsniveau vor. Und dies bedeutet wiederum, dass Befragungen und Messungen darauf ausgerichtet werden müssen.“ Ein Beispiel: Gibt es auf die Frage „Wie zufrieden sind Sie mit der Leistung in unserem Krankenhaus?“ lediglich die drei Antwortmöglichkeiten „gut“, „akzeptabel“ und „schlecht“, so werden laut Zinn wohl über 95 Prozent mit „gut“ antworten, denn: „Die meisten sind der Meinung, dass die erfahrende Gesundheitsleistung gut oder sogar besser als gut ist. Hier braucht es also Aussagen, die genauer differenzieren. ‚Sehr gut‘ würde noch nicht reichen. Denn wer Differenzierung an der Spitze möchte, muss noch weitergehen und beispielsweise Antwortmöglichkeiten wie ‚erstklassig‘ oder auch ‚das Beste, das ich je erlebt habe’ einführen.“
Eine methodisch hochwertige Befragung reicht nicht aus. Es bedarf auch Vergleichskategorien, um die Ergebnisse einordnen zu können. Um auf das Beispiel der differenzierenden Antwortmöglichkeiten zurückzukommen: Mit der Aussage, eine Einrichtung sei sehr gut, kann im Grunde niemand etwas anfangen. Erst im Vergleich mit anderen Häusern gewinnen die Ergebnisse an Bedeutung. Winfried Zinn plädiert daher dafür, dieselbe Art der Befragung in verschiedenen Spitälern durchzuführen, beispielsweise in allen innerhalb eines Trägers organisierten Häusern.
Außerdem ist eine anwenderorientierte Ergebnisdarstellung ein absolutes Muss: Grafiken, Diagramme und andere bildhafte Darstellungen machen wesentlich mehr Sinn als etwa eine reine Tabelle mit etlichen Zahlen. Letzteres könne den Ungeübten schnell überfordern.

Fragen mit Mehrwert

Darüber hinaus müssen die Fragen jene Themengebiete erfassen, die für den Patienten relevant sind. Am wichtigsten ist den Patienten die ärztliche Versorgung, daher sollte ein Fragebogen mindestens drei bis fünf Fragen zu diesem Thema beinhalten. Laut Zinn sind den Patienten außerdem die Themen Sicherheit, pflegerische Versorgung, Sauberkeit und Hygiene sowie ein funktionierendes Schmerzmanagement wichtig. „Wird der Fokus allerdings auf Themengebiete wie Zimmer, Essen, Serviceorientierung gelegt – also Themengebiete, die für den Patienten eher am Rand angesiedelt sind –, fragt sich der Patient, was das überhaupt soll“, warnt der Experte.
Genauso sollte die Verteilmethode sorgfältig gewählt werden: Nicht nur sind die Ergebnisse bei hausinternen Befragungen und Befragungen ehemaliger Patienten nahezu deckungsgleich, der Response bei stationären Patienten ist sogar größer. Damit nicht genug, kann die Befragung ehemaliger Patienten einen medialen Sturm der Entrüstung nach sich ziehen und somit dem Image des Hauses nachhaltig schaden, wie Zinn durch ein Beispiel verdeutlicht: „Ein Krankenhaus verschickte einen Fragebogen an einen ehemaligen Patienten, der jedoch bereits mehrere Monate zuvor verstorben war – noch dazu im Krankenhaus selbst. Für die Lokalpresse war dies natürlich ein gefundenes Fressen: Unter anderem wurde der Vorfall als ‚geschmacklose Posse‘, ein ‚Zeichen von fachlicher Inkompetenz‘ sowie ‚Pietätlosigkeit und Ignoranz‘ bezeichnet.“

Neue Befragungsmethoden: Adaptives Testen

„Das Internet wird das Gesundheitswesen grundsätzlich revolutionieren“, konstatiert Zinn und nennt gleich ein Beispiel: Bei Onlinebefragungen ist eine einfache adaptive Anpassung mittlerweile State of the Art. Einen Schritt weiter geht das sogenannte multidimensionale adaptive Testen, also eine adaptive Frageführung auf Basis von bereits erfassten Antworten. So können etwa aufgrund der Antworten spezifische Fragen gestellt werden und überflüssige vermieden werden.
Ebenso ist die Länge der Befragung von Bedeutung, denn nicht nur, wenn diese zu lang ist, besteht die Gefahr, dass der Patient aussteigt, sondern auch, wenn sie zu kurz ist. Letzteres lässt nämlich oftmals an der Glaubwürdigkeit und Validität der Befragung zweifeln. Übrigens betont Zinn, dass im Internet ausschließlich adaptive Befragungen Sinn ergeben, weil sonst die Gefahr der Manipulation viel zu groß sei: „Durch adaptives Testen kann ein manipulatives Eingreifen ausgeschlossen werden. Das Problem ist aber, dass diese Art der Befragung sehr aufwendig ist, weil eine immense Statistik dahintersteckt.“ Die Forschungsgruppe Metrik hat mittlerweile weit über 700.000 Patientenmeinungen erfasst und kann aufgrund dieser Datensammlung feststellen, ob ein Antwortverhalten realistisch ist oder nicht. Das heißt: „Tauchen Antworten auf, die laut unserem Statistikprogramm bzw. im Vergleich mit bestimmten Parametern so nicht möglich sind, muss davon ausgegangen werden, dass die Antworten manipuliert wurden“, erklärt Zinn.

„Patienten-Wikipedia“

Neben Online-Communities bzw. einer Art „Patienten-Facebook“ oder einer validen und zufriedenheitsindizierten Suchmaschine nach Leistungserbringern nennt Winfried Zinn im Hinblick auf eine sinnvolle Daten- und Informationsgenerierung die Möglichkeit einer nutzergenerierten Therapieenzyklopädie, sozusagen eine Wikipedia für Krankheiten und Behandlungsformen: „Gerade chronische Patienten werden zu extremen Spezialisten ihrer Erkrankung und können viele Informationen über die Wirksamkeit von Therapien bieten – gleichwertig ob bei schulmedizinischen oder bei komplemen­tärmedizinischen Behandlungsmethoden. Das Problem ist: Mit dem Tod geht dieses Wissen verloren. Werden die gemachten Erfahrungen aber erfasst und mit dem Wissen mehrerer Patienten kombiniert und im Anschluss die gesammelten Informationen klug aufbereitet, hat dies eine weitreichende Aussagekraft. Die ‚Weisheit der Masse‘ wird dadurch aktiviert und für alle verfügbar gemacht.“