Wundversorgung: Altlasten und Irrtümer

Wohl kaum ein Thema in Pflege und Medizin hat sich während der letzten zehn Jahre so dynamisch entwickelt wie die Erkenntnisse zu einer korrekten Wundversorgung. Und auch kaum ein Thema gibt in vielen Bereichen des Gesundheitssystems so viel Anlass für Nachholbedarf. DGKS Gerlinde Wiesinger und Oberarzt Dr. Silvia Reich-Weinberger vom Universitätsklinikum der Paracelsus Privatuniversität in Salzburg gehören zu Österreichs führenden Experten in Sachen Wundversorgung und diskutieren den aktuellen Stand.

Schmerzfreie Versorgung

Gleich vorweg – es gibt sie noch immer, die Altlasten und Irrtümer aus vergangenen Tagen. „Völlig out sind alle Hausmittel aus dem ,Schatzkästlein der Hildegard von Bingen‘ oder die Lokalanwendung von Antibiotika, ebenso wie der Missbrauch von Lebensmitteln wie Tees, Ölen und dergleichen oder Teerprodukten. Die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen“, sind sich Wiesinger und Reich-Weinberger einig. Die wesentlichen Säulen heißen heute phasengerechte Wundversorgung, feuchte Wundbehandlung sowie Therapie in Unterdrucksystemen. Und: Wundversorgung muss nicht wehtun! Vorbei sind die Zeiten, wo eilig Verbände gewechselt wurden, heute wird zuvor angefeuchtet und gegebenenfalls auch sediert, um einen möglichst schmerzfreien Verbandwechsel zu gewährleisten.

Neue Maßstäbe

Wieder in den Vordergrund gerückt sind Hygienerichtlinien: entsprechender Schutz für Personal und Patient, saubere Instrumententische und sorgfältige Entsorgung des Abwurfs. Selbstverständlich dürfen Einmalprodukte nur einmal verwendet werden. Das gilt insbesondere für nicht verbrauchtes, geöffnetes Material. Sterile Lösungen müssen 24 Stunden nach Erstentnahme entsorgt werden. „Die überladene „Verbandwechsel-Karawane“, die von Zimmer zu Zimmer zieht, sollte ebenfalls der Vergangenheit angehören. Wundkontrolle ist nichts, das im „Vorbeigehen“ zu erledigen ist. Ausreichendes Licht und die Wahrung der Intimsphäre müssen gewährleistet sein“, betont Wiesinger mit Nachdruck und ergänzt: „Was heute die Versorgung teuer macht, ist planloses Handeln ohne entsprechende Richtlinien. Diese sensiblen Kosten betreffen alle Bereiche: Personal, Material und Lagerhaltung.“

Interdisziplinäre Zusammenschau

Von der Industrie werden zunehmend Studien gefordert, die den Erfolg neuer Produkte belegen, inklusive einer Bewertung durch ausgewiesene Wundexperten. Ähnliches gilt für die Erarbeitung allgemein gültiger Therapierichtlinien. „Dabei darf aber die interdisziplinäre Zusammenschau nicht zu kurz kommen. Korrekte Wundversorgung ist weitgehend wirkungslos, ohne Beachtung der Grunderkrankungen, des Gefäßstatus, der Ernährungssituation, dermatologischer Aspekte oder einer Hygienebeurteilung,“ bestätigt die Medizinerin Reich-Weinberger. Die gewissenhafte Dokumentation von Läsionsart, Größe und Zustand der Wunde – unterstützt durch Fotos – sowie der gesetzten Maßnahmen in Form eines Wundtherapieplans gibt Auskunft darüber, welche Erfolge die Therapie zeitigt und wo gegebenenfalls Adaptierungen erforderlich sind.

Wissensstand anpassen All das klingt eigentlich recht plausibel und naheliegend. Die Crux ist freilich, dass außerhalb ausgewiesener Zentren derzeit noch nicht alle ihren Wissensstand angepasst haben, und auch kein bundesweiter Konsensus im Vorgehen, der Dokumentation und der Ausbildung besteht. Bis dahin werden Experten wie DGKS Gerlinde Wiesinger und Oberarzt Dr. Silvia Reich-Weinberger landauf, landab wohl noch einige Vorträge halten müssen, damit Mythen wie die „trockene Wundversorgung mit Luft, Licht und Sonne“ und vielleicht einem Käsepappel-Sitzbad endlich der Vergangenheit angehören.