Antihyperglykämische Therapie bei postpankreatitischem Diabetes mellitus

Viggers R et al. Glucose-Lowering Therapy in Patients With Postpancreatitis Diabetes Mellitus: A Nationwide Population-Based Cohort Study.Diabetes Care 2021; 44: 2045–2052

Hintergrund

Der postpankreatitische Diabetes mellitus (PPDM) ist eine häufige Komplikation von akuten oder chronischen Entzündungen der Bauchspeicheldrüse und stellt nach dem Typ-2-Diabetes eine der häufigsten Diabetesformen mit Beginn im Erwachsenenalter dar.1, 2 Aufgrund der weltweit steigenden Inzidenz der akuten und chronischen Pankreatitis ist auch von einer Zunahme der Häufigkeit des PPDM auszugehen.3–5 Dennoch wird der PPDM häufig nicht als eigenständige klinische Entität wahrgenommen und oft als Typ-2-Diabetes klassifiziert.2 Aus diesem Grund werden viele Patienten zunächst wie Personen mit Typ-2-Diabetes behandelt, haben aber oft ein erhöhtes Risiko für ungenügende Blutzucker­einstellung, Komplikationen und erhöhte Mortalität. Zudem kommen dadurch bei diesen Patienten möglicherweise schädliche Medikamente (Sulfonylharnstoffe, inkretinbasierte Therapien) zum Einsatz.

Fragestellung

Ziel der Studie war es, die Häufigkeit und die Demografie von Diabetes-Subtypen (Typ-1-Diabetes, Typ-2-Diabetes, PPDM) zu erheben und das Verschreibungsverhalten bezüglich antihyperglykämischer Medikamente in diesen Subgruppen zu charakterisieren.

Methode

Es handelt sich bei der Untersuchung um eine nationale dänische bevölkerungsbasierte Kohortenstudie. Einschlussberechtigt waren alle Personen ≥ 18 Jahre, bei denen ein neu auftretender Diabetes mellitus während der Studienperiode (1. 1. 2000 bis 31. 12. 2018) diagnostiziert worden war. Als PPDM wurde ein Diabetes definiert, wenn bei initial mit Typ-1- bzw. Typ-2-Diabetes diagnostizierten Personen in der Vorgeschichte mindestens 3 Monate, aber maximal 4 Jahre vor der Diagnose des Diabetes eine akute oder chronische Pankreatitis dokumentiert war. Die Informationen bezüglich Diabetesdiagnose, akuter oder chronischer Pankreatitis, Komorbiditäten, klinischer Charakteristika und Demografie wurden dem nationalen dänischen Patientenregister entnommen.

Die wichtigsten Ergebnisse

  • Der mediane Nachverfolgungszeitraum betrug 6,7 Jahre.
  • 398.456 Personen mit der Diagnose eines im Erwachsenenalter neu aufgetretenen Diabetes bildeten die finale Studienkohorte.
  • Von diesen Fällen wurden 96,2 % als Typ-2-Diabetes, 2,3 % als Typ-1-Diabetes und 1,5 % als PPDM klassifiziert.
  • Die Inzidenzraten betrugen für PPDM 7,9/100.000 Personen­jahre, für Typ-1-Diabetes 12,5/100.000 Personenjahre und für Typ-2-­Diabetes 516/100.000 Personenjahre.
  • Im Vergleich zu Typ-2-Diabetes fand sich bei PPDM eine männliche Prädominanz (50,1 % vs. 62,9 %; RR 1,24; 95%-KI: 1,22–1,33; p < 0,001).
  • Personen mit PPDM hatten gegenüber Patienten mit Typ-2-­Diabetes eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für starkes Rauchen (RR = 1,29; 95%-KI: 1,24–1,34; p < 0,001) und Alkoholabusus (RR 7,35; 95%-KI: 7,10–7,61; p < 0,001) sowie eine erhöhte Rate an Komorbiditäten (p < 0,001).
  • Adipositas trat bei PPDM seltener auf als bei Typ-2-Diabetes (RR 0,87; 95%-KI: 0,82–0,91; p < 0,001).
  • PPDM wurde bei 45 % als Typ-2-Diabetes und bei 14 % als ­Typ-1-Diabetes klassifiziert.
  • Die Tabelle zeigt das Verschreibungsmuster antihyperglykämischer Medikamente nach Diabetes-Subgruppen.

 

  • Die Abbildung zeigt die Kaplan-Meier-Kurven für die Zeit bis zur Erstinsulinisierung bei Typ-2-Diabetes und PPDM nach akuter bzw. chronischer Pankreatitis.

 


1 Das SL et al., Gut 2014; 63: 818–31
2 Woodmansey C et al., Diabetes Care 2017; 40: 1486–93
3 Petrov MS, Yadav D, Nat Rev Gastroenterol Hepatol 2019; 16: 175–84
4 Olesen SS et al., United Eur Gastroenterol J 2021; 9: 82–90
5 Knudsen JS et al., Pancreatol 2020; 20(7): 1332–9
6 Cho J et al., Diabetes Care 2019; 42: 1675–83
Schlussfolgerungen der Autoren:
  • Die Studie bestätigt, dass PPDM nach dem Typ-2-Diabetes eine der häufigsten Formen des sich im Erwachsenenalter manifes­tierenden Diabetes mellitus darstellt. Werden Fälle von pankreaskarzinomassoziiertem Diabetes hinzugezählt, ist die Inzidenzrate höher als jene von Typ-1-Diabetes.
  • Personen mit PPDM sind seltener adipös als Personen mit Typ-2-Diabetes, dagegen finden sich in der Gruppe mit PPDM häufiger schwere Raucher und Menschen mit Alkoholmissbrauch (beides Risikofaktoren für Pankreatitis).
  • Ein substanzieller Anteil (44,9 %) der Personen mit PPDM wurden als Typ-2-Diabetes klassifiziert.
  • Ein erheblicher Anteil der Personen mit PPDM wurde mit für diese Personen potenziell schädlichen Medikamenten behandelt: 25,2 % erhielten Sulfonylharnstoffe, 18 % erhielten inkretinbasierte Therapien.
  • Mehr als ein Drittel (35 %) der Personen mit PPDM erhielt keine Behandlung mit Biguaniden, welche jedoch bei diesen Patienten mit einem ­Überlebensvorteil assoziiert sind.6
  • Personen mit PPDM haben gegenüber Personen mit Typ-2-Diabetes einen erhöhten Bedarf an einer Insulintherapie, besonders nach chronischer ­Pankreatitis.
  • Die Studienergebnisse verdeutlichen sowohl den Bedarf an einer ­verbesserten Diagnostik von PPDM als auch die Notwendigkeit der ­Entwicklung evidenzbasierter Behandlungsleitlinien.

Originalpublikation