Fortschritte und Herausforderungen: Was bringt das neue Jahr in der Diabetologie?

Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe von DIABETES FORUM sind einige Highlights der 39. Jahrestagung der Osterreichischen Diabetes Gesellschaft im November 2011 in Salzburg. Auch heuer wieder haben renommierte Gastreferenten in ihren Plenary Lectures aktuelle Diskussionen in der Diabetologie aufgegriffen, die uns aller Voraussicht nach auch in den kommenden Jahren begleiten werden.

Tadej Battelino berichtete, welche enormen Fortschritte gegenwärtig in der „Closed loop“-Technologie gemacht werden und was uns diesbezüglich in naher Zukunft erwarten könnte. Eine deutliche Ausweitung des Einsatzes solcher Systeme bei einigen Patientengruppen ist wahrscheinlich und stellt uns vor die Frage, in welcher Form diese Therapie umgesetzt und finanziert werden kann.

Per-Henrik Groop, einer der weltweit profiliertesten Experten auf dem Gebiet der diabetischen Nephropathie, gab einen Überblick über die pathogenetischen Grundlagen der Nierenschädigung bei Typ-1-Diabetes. Obwohl die terminale Nierenerkrankung als Folge des Diabetes trotz steigender Patientenzahlen und längerer Erkrankungsdauer
(durch verbesserte Therapiemöglichkeiten) langsam zurück zugehen scheint (Schernthaner, Nephrol Dial Transplant 26:454, 2011), ist Diabetes immer noch die bedeutendste Ursache für chronische Nierenerkrankung und Dialysepflichtigkeit.
Während am Nutzen der Diabetestherapie bei Typ-1-Diabetes kaum Zweifel bestehen, legt eine rezente Metaanalyse von Boussageon et al. (BMJ 343:d4169, 2011) nahe, dass der Stellenwert der Blutzuckersenkung bei Typ-2-Diabetes auch in dieser Hinsicht etwas relativiert werden muss: Unter Einschluss von 13 Endpunktstudien (darunter UKPDS, ACCORD, ADVANCE, VADT, HOME und PROactive) war die Mikroalbuminurie (Neuauftreten oder Verschlechterung) unter intensivierter Diabetestherapie um 10 %, die schwere Nephropathie (Verdopplung des Serumkreatinins oder Nierenversagen) hingegen gar nicht reduziert. Auf der anderen Seite haben sich die Blutdrucktherapie und auch die Lipidtherapie in vielen Bereichen als sehr effektiv im Hinblick auf den Erhalt der Nierenfunktion bei Diabetikern erwiesen. Auch eröffnet das bessere Verständnis der Rolle von oxidativem Stress und Inflammation in der Pathogenese der diabetischen Nephropathie neue, vielversprechende Optionen (Pergola et al., N Engl J Med 365:327, 2011). DIABETES FORUM wird sich dieser Thematik im kommenden Jahr gleich mit zwei Ausgaben (Prävention und Progressionsverzögerung der Nephropathie, Diabetestherapie im renalen Kontext) widmen.

Oliver Schnell diskutierte in seinem Vortrag die prognostische Bedeutung der Hypoglykämie, die sich immer mehr als eine der problematischsten Aspekte der Diabetestherapie herauskristallisiert. Allerdings sind die Zusammenhänge komplex (Munshi et al., Arch Intern Med 171:362, 2011; Boucai et al., Am J Med 124:1028, 2011), sodass sich die Erkenntnisse aus physiologischen und experimentellen Untersuchungen im klinischen Kontext nicht ohne Weiteres nachvollziehen lassen (z. B. Finfer, Crit Care 15:1012, 2011). So ist gegenwärtig eher fraglich, ob prospektiv kontrollierte klinische Studien wie ACCORD (Seaquist et al., Diabetes Care 2011 Dec 16 [Epub ahead of print]) dazu eindeutige Antwort liefern können.

Die Kehrseiten der antidiabetischen Therapie sind auch in anderer Hinsicht gegenwärtig stark in Diskussion: Karzinomrisiken im Zusammenhang mit verschiedenen Antidiabetika wurden in DIABETES FORUM ausgiebig kommentiert. Große Metaanalysen klinischer Studien haben darüber hinaus Hinweise auf mögliche Risiken im Zusammenhang mit Angiotensinrezeptorblockern (Krebs; Chang et al., J Clin Oncol 29:3001, 2011), Statinen (Diabetesrisiko; Preiss et al., JAMA 305:2556, 2011) und Aspirin (Blutungen; McQuaid et al., Am J Med 119:624, 2006) erbracht. In allen diesen Fällen sind für die kommenden Wochen weitere Studiendaten angekündigt, die den Nutzen dieser bewährten Therapien wohl insgesamt nicht in Frage stellen werden, aber natürlich immer wieder neu in die
Kosten-Nutzen-Bewertung einbezogen werden müssen. Diabetes mellitus ist eine chronische Erkrankung, die sich im Fall des Typ-2-Diabetes über lange Zeiträume manifestiert und progredient verläuft. Schon aus diesem Grund sind in der Diabetologie häufig keine raschen Effekte des therapeutischen Eingreifens zu erwarten und die Langzeitfolgen nicht immer absehbar.

Prim. Univ.-Prof. Dr. Guntram Schernthaner