Moderne Diabetestherapie in Zeiten der Krise

It’s a marathon, not a sprint: COVID-19 wird uns, wie sich mittlerweile deutlich abzeichnet, noch längere Zeit begleiten. Zwischen Mehrbelastung und einem völlig veränderten (klinischen) Alltag dürfen wir jedoch das zentrale Ziel nicht aus den Augen verlieren: die Gewährleistung einer bestmöglichen Betreuung der Patienten auf Basis aktueller wissenschaftlicher Evidenz. An dieser Stelle sei auch auf das Vorwort von Assoz. Prof. Dr. Harald Sourij, 1. Sekretär der ÖDG, hingewiesen (S. 6). Entsprechend diesem Leitmotiv beschäftigt sich die aktuelle Ausgabe von DIABETES FORUM mit der Wirkstoffklasse der GLP-1-Rezeptoragonisten; österreichische Experten analysieren neueste Daten, beleuchten einzelne Aspekte und setzen sie in einen praktisch relevanten Kontext.

In DIABETES FORUM 3/2001 bezeichnete Prof. Dr. Burkhard Göke, 2. Medizinisches Klinikum Großhadern, Ludwig-Maximilians- Universität München, das Glucagon-like peptide-1 (GLP-1) bereits als „ideale Droge mit Hindernissen“ und sprach damit die beschriebene gute antihyperglykämische Wirksamkeit (Nauck MA et al., Diabetologia 1993 Aug; 36[8]: 741–4) an, die einer ungünstigen Pharmakokinetik und der Notwendigkeit einer parenteralen Verabreichung gegenüberstand. Mittlerweile – etwa 40 Jahre nach seiner Erstcharakterisierung (Bell GI et al., Nature 1983; 304: 368–71) – sind synthetisch modifizierte Formen des humanen Peptids für die 1–2-mal tägliche, 1-mal wöchentliche subkutane sowie seit kurzem auch orale Applikation in der Therapie des Typ-2-Diabetes fest verankert und internationalen und österreichischen Leitlinien entsprechend in einigen Patientengruppen bereits in der Zweitlinie nach Metformin empfohlen (Davies MJ et al., Diabetes Care 2018; 41(12): 2669–701; Clodi M et al., Wien Klin Wochenschr 2019; 131(Suppl 1): S1–S246). Wirksamkeit, Sicherheit und Verträglichkeit, Langzeiteffekte der Wirkstoffklasse, aber auch Charakteristika einzelner Vertreter sind mit Evidenz im randomisiert-kontrollierten und Real-World-Setting sowie mit Daten aus kardiovaskulären Endpunktstudien belegt (Reviews: Aroda VR et al., Diabetes Obes Metab 2018; 20 (Suppl 1): 22–33; Kristensen SL et al., Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7(10): 776–85).

Mittlerweile treten Untersuchungen einzelner Wirkaspekte der GLP-1-Rezeptoragonisten, etwa potenziell renoprotektive Effekte, antiatherogene Mechanismen, mögliche Synergien von Kombinationstherapien oder neue Einsatzmöglichkeiten immer mehr in den Vordergrund. Diesen Facetten widmet sich auch der Focus der aktuellen Ausgabe von DIABETES FORUM.

Univ.-Prof. Dr. Christoph Säly, Feldkirch, beschäftigt sich mit antiatherogenen Effekten der Wirkstoffklasse und erläutert deren potenzielle Mechanismen anhand von Daten aus präklinischen und klinischen Untersuchungen. Der Aspekt „GLP-1-RA und Herzinsuffizienz“ – neutrale Ergebnisse aus kardiovaskulären Endpunktstudien, Hinweise auf negative Effekte aus kleineren Studien – wird im Beitrag von Prim. Univ.-Prof. Dr. Martin Clodi, Linz, aufgegriffen. 20–40 % der Patienten mit Diabetes mellitus leiden an diabetischer Nierenerkrankung; die renale Sicherheit der GLP-1-RA wurde in bisherigen Studien belegt, mögliche renoprotektive Effekte und deren Relevanz sind jedoch noch nicht vollständig geklärt, wie Prim. Univ.-Prof. Dr. Marcus Säemann, Wien, darlegt.

Zusätzlich zur Therapie von Typ-2-Diabetes, in der die Substanzklasse fest verankert ist, können GLP-1-RA mittlerweile auch in der medikamentösen Therapie der Adipositas eingesetzt werden und tragen dazu bei, die therapeutische Lücke zwischen Lebensstilmodifikation und bariatrischer Chirurgie zu schließen, wie Univ.-Prof. Dr. Hermann Toplak, Graz, in seinem Beitrag erklärt. Dr. Claudia Ress, PhD, Innsbruck, fokussiert sich auf positive Effekte der GLP-1-RA auf verschiedene Parameter der nichtalkoholischen Fettlebererkrankung: Steatose, Fibrose oder Steatohepatitis. Ob die Wirkstoffe künftig eine neue Intervention bei NAFLD darstellen können, werden künftige Studien zeigen.

Im Abschlussbeitrag beschäftigt sich OÄ Dr. Astrid Feder, Wien, mit dem hochaktuellen Thema der Kombinationstherapie von GLP-1-RA und SGLT-2-Inhibitoren. Obwohl Studien bereits synergistische Effekte hinsichtlich der antihyperglykämischen Wirksamkeit aufzeigten, wird die Kombination in Österreich derzeit nur im Einzelfall erstattet. Ob und wann sich diese Situation angesichts der steigenden Evidenz positiver Effekte künftig ändern wird, bleibt abzuwarten.

Viel Vergnügen beim Lesen, und bleiben Sie gesund!