Obesity Paradox bei Personen mit Diabetes: Assoziation von BMI, Fitness und Mortalität

Whelton SP et al., Diabetes Care 2020; 43: 677–82

Hintergrund

Untersuchungen zur Frage, inwiefern der Body-Mass-Index (BMI) bei Patienten mit Diabetes mit einem ungünstigeren Verlauf bezüglich kardiovaskulärer Komplikationen und Mortalität assoziiert ist, haben bislang widersprüchliche Ergebnisse geliefert. Einige Studien haben gezeigt, dass übergewichtige oder adipöse Personen mit Diabetes ein geringeres Sterberisiko aufweisen als Diabetespatienten mit Normalgewicht – ein Phänomen, das als „Obesity Paradox“ bezeichnet wurde. Andere Untersuchungen ergaben dagegen kein geringeres oder sogar ein erhöhtes Mortalitätsrisiko bei übergewichtigen oder adipösen Personen. Übergewichtige und adipöse Personen mit einem hohen Grad an körperlicher Fitness wurden als „fat but fit“ bezeichnet, und es wurde spekuliert, dass Menschen mit hohem BMI, die aber metabolisch gesund sind, zumindest teilweise für das Obesity Paradox verantwortlich zeichnen. Die Frage, ob ein Obesity Paradox bei Diabetes existiert, ist gerade bei Typ-2-Diabetes (T2D) bedeutend, da der BMI einer der stärksten Risikofaktoren für die Entwicklung eines T2D darstellt, welcher unabhängig mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Gesamtmortalität assoziiert ist.

Fragestellung

Untersucht wurde die Auswirkung der körperlichen Fitness auf die Assoziation zwischen BMI und Mortalität bei Patienten mit Diabetes. Die Gesamtmortalität war als primärer Endpunkt definiert.

Methode

8.528 krebsfreie Patienten mit Diabetes und einem BMI ≥ 18,5 kg/m2 aus dem Henry-Ford-Exercise-Testing-(FIT-)Projekt wurden in die Studie aufgenommen. Die Patienten wurden anhand des im Rahmen eines am Laufband durchgeführten Belastungstests ermittelten metabolischen Äquivalentes (MET) in drei Fitnesskategorien eingeteilt: geringe Fitness: < 6 MET, mittlere Fitness: 6–9,9 MET und hohe Fitness: ≥ 10 MET. Das Mortalitätsrisiko (Hazard Ratio) wurde für die Kategorien „normalgewichtig“ (BMI 18,5–24,9), übergewichtig (BMI 25–29,9) und adipös (BMI ≥ 30) errechnet.

Wichtigste Ergebnisse

Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 57,9 ± 11 Jahren, der Anteil an Frauen betrug 49 %. Im mittleren Nachverfolgungszeitraum von 10,0 ± 4,1 Jahren traten 1.319 Todesfälle auf.
Insgesamt wiesen adipöse Patienten ein um 30 % geringeres Mortalitätsrisiko auf als normalgewichtige Studienteilnehmer (p < 0,001) (Tab. 1). Patienten in der höchsten Fitness-Gruppe (≥ 10 MET) hatten das geringste Risiko zu versterben (Abb.). In dieser Gruppe gab es nur geringfügige absolute Unterschiede in der Mortalitätsrate zwischen normalgewichtigen (8/1.000 Patientenjahre) und adipösen (5/1.000 Patientenjahre) Studienteilnehmern (Tab. 2).

 

 

Schlussfolgerungen der Autoren

  • Für die Gesamtkohorte zeigen die Ergebnisse eine inverse Beziehung zwischen BMI und Gesamtmortalität (Obesity Paradox).
  • Wird der Grad an körperlicher Fitness miteinbezogen, besteht diese negative Assoziation zwischen BMI und Mortalitätsrisiko nur bei Patienten mit geringer (< 6 MET) und mittlerer Fitness (6–9 MET). Bei Personen mit einem hohen Grad an Fitness (≥ 10 MET) besteht keine konsistent signifikante Beziehung zwischen BMI und Mortalität.
  • Anzumerken ist aber, dass – obwohl bei Patienten mit geringer Fitness ein höherer BMI mit einem signifikant geringeren Mortalitätsrisiko assoziiert ist – jede Erhöhung des Fitnessniveaus eine wesentlich stärkere Reduktion der Mortalität bedeutet und zwar unabhängig vom BMI.
  • Die Beziehung zwischen BMI und Mortalität bei Patienten mit Diabetes wird signifikant durch das Ausmaß an körperlicher Fitness beeinflusst.
  • Zukünftige Studien sollten prüfen, ob Interventionen, die auf ein höheres Ausmaß an Fitness abzielen, größere Vorteile für die Reduktion der Mortalität bringen als auf Gewichtsreduktion basierende Strategien.