Ein neues Zielbild für Österreichs Gesundheitssystem

400 Entscheidungsträger:innen und Vordenker:innen aus dem Gesundheitssektor versammelten sich letzte Woche von Donnerstag bis Samstag beim Austrian Health Forum (AHF) in Schladming. Dabei wurde unter dem Motto ‚Gesundheit – Wer macht den Job?‘ intensiv an Lösungen für künftige Herausforderungen gearbeitet. Zum Abschluss des Kongresses präsentierte AHF-Gründer Christoph Hörhan in Anwesenheit von Gesundheitsministerin Korinna Schumann das gemeinsam am AHF erarbeitete Zielbild für Österreichs Gesundheitssystem. “Angesichts der aktuellen finanziellen Lage und des zunehmend spürbaren Fachkräftemangels wird immer deutlicher, dass dringend innovative Konzepte und zukunftsfähige Strukturen erforderlich sind. Die Ideen sind längst formuliert – jetzt ist es an der Zeit, den Mut aufzubringen, sie in die Tat umzusetzen. Es geht nicht nur darum, bestehende Systeme neu zu denken, sondern auch mit Entschlossenheit und Tempo zu handeln, um nachhaltige Veränderungen zu bewirken”, fasste Hörhan die Kernpunkte des Zielbildes zusammen.

Gesundheitsministerin Korinna Schumann: “Wir erleben Zeiten des Wandels, und das schafft Unsicherheit. Trotz aller Herausforderungen müssen wir das Vertrauen in unser Gesundheitssystem wiederherstellen und stärken. Und ich möchte an dieser Stelle betonen, dass wir ein ausgezeichnetes Gesundheitssystem haben. Die Frage der Gesundheit ist auch eine soziale Frage und damit wichtig für eine stabile Demokratie.”

Peter McDonald, Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse ÖGK und Vorsitzender des Dachverbands der Sozialversicherungen, skizzierte im Rahmen einer Podiumsdiskussion aktuelle Herausforderungen: „Wir kennen die Zukunft bereits: Mehr geburtenstarke Jahrgänge über 65 werden einen weit höheren medizinischen Bedarf mit sich bringen und wir werden durch den medizinischen Fortschritt mehr leisten können. Wenn wir Wartezeiten reduzieren wollen, muss das Gesundheitswesen produktiver werden. Unser Ziel muss es bleiben, Spitzenmedizin auf e-Card für die Zukunft abzusichern. Dazu braucht es einen noch effizienteren Einsatz der vorhandenen Mittel, die parallel dazu künftig auch noch weiter ansteigen werden. Neue Technologien können dabei die Antwort auf die kommenden Herausforderungen sein. Dafür benötigt es jedoch die entsprechende Akzeptanz in der Bevölkerung und eine neue Form der Verantwortungskultur beim Gebrauch der Mittel aber auch bei dem, was wir einbringen. Nicht zuletzt werden wir alle mehr arbeiten müssen und nicht weniger.“

Andreas Huss, altern. Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse ÖGK, betonte die Bedeutung eines solidarischen Gesundheitssystems: „In den vergangenen fünf Jahren ist sehr viel Geld der Krankenversicherung von den Patientinnen und Patienten weg, hin zu weniger versorgungswirksamen Empfängern, geflossen. Wir sollten uns wieder auf ein solidarisches Gesundheitssystem besinnen, und das heißt: Die Reichen zahlen für die Ärmeren, die Jüngeren zahlen für die Älteren, die Gesunden zahlen für die Kranken. Wir sind in einer schwierigen finanziellen Situation, aber mit den beschlossenen Maßnahmen im Regierungsprogramm wurden die Voraussetzungen geschaffen, um unser Gesundheitssystem solidarisch und sinnvoll weiter zu entwickeln.“

Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen Ärztekammer und der Kammer für Ärztinnen und Ärzte in Wien, ergänzte: „Wenn die Zeiten wirtschaftlich schlecht sind, dann steigt der Bedarf an medizinischen Dienstleistungen. Gesundheit ist eine Notwendigkeit, in die gerade jetzt investiert werden muss.“

Ulrike Mursch-Edlmayr, Präsidentin der Österreichischen Apothekerkammer, nahm in ihrem Statement ebenfalls Bezug auf die angespannte budgetäre Situation: „Statt über Gebühren zu diskutieren, müssen wir den Menschen eine qualitativ gute, einfache und erreichbare Alternative anbieten. Und genau hier bieten sich die mehr als 1.470 Apotheken in ganz Österreich an. Wohnortnah, niederschwellig, immer da – und zwar am Land und in der Stadt. Die Apotheken sind die einzige Gesundheitsinstitutionen, die so flächendeckend verteilt sind und die es ermöglichen, ohne Termin von einer akademischen Gesundheitsfachkraft persönlich beraten zu werden. Die Apotheken sind prädestiniert, bei der Patientensteuerung eine führende Rolle im Gesundheitssystem zu übernehmen.“

Volker Knestel, Geschäftsführer des NÖ Gesundheits- und Sozialfonds, betonte ebenfalls, dass es Einsparungspotenziale im Gesundheitssystem gibt, die man nutzen könne, ohne die Qualität der Versorgung zu beeinträchtigen: „Wir machen nach wie vor Doppel- und Mehrfachuntersuchungen. Auch das verbraucht Ressourcen und führt dazu, dass dem Gesundheitspersonal Zeit fehlt, die man besser einsetzen könnte. Die aktuellen Strukturen im vollstationären Bereich sind überholt. Ich hoffe, dass wir diese Strukturen schrittweise umwandeln und dadurch die ambulante Versorgung der Bevölkerung verbessern können.“

Johannes Pleiner-Duxneuner, Geschäftsführer der österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES), skizzierte neue Probleme: „Die Herausforderungen im Gesundheitssystem werden nicht kleiner, auch wegen der Umweltbedingungen: Wir müssen mit dem Klimawandel zurechtkommen, der schon jetzt bis zu 500 Hitzetote pro Jahr fordert. Erkrankungen wie die Vogelgrippe könnten auf den Menschen übergreifen. Wir verzeichnen steigende Fallzahlen bei exotischen Krankheiten. Die großen Probleme können wir nur zusammen bewältigen, etwa durch eine bessere Nutzung vorhandener Gesundheitsdaten für die Patientensteuerung.“

Angesichts der drängenden Probleme und der Sparzwänge betonten zahlreiche Referent:innen beim AHF-Schladming 2025 die Potenziale neuer Technologien. Michael Zettel, Country Managing Director Accenture Österreich erklärte: „Technologie und Robotik können unser Produktivitätsproblem im Gesundheitssektor bereits lösen. Andere Länder wie England, Frankreich oder Spanien sind in diesem Bereich schon weiter. Davon zu lernen ist eine Chance für Österreich, die wir mit mutiger Umsetzung ergreifen können.“

Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich GmbH, schlug in dieselbe Kerbe: „Ich halte es für klug und dringend erforderlich, die menschliche Arbeit mit Technologieeinsatz zu unterstützen und damit produktiver zu machen. Darüber hinaus kann dieser Technologieeinsatz auch dazu beitragen, dass sich Tätigkeiten in den Gesundheitsberufen neu – und integrativer – organisieren lassen.“

Leif Moll, Präsident des Forums der forschenden Pharmaindustrie FOPI: „Der Weg in eine gesündere und bessere Zukunft führt über Innovation. Um diese Innovation nachhaltig zu sichern, benötigen wir jetzt mutige Reformen. Zudem müssen wir die Menschen stärker einbinden, um die Wirksamkeit unseres Gesundheitssystems zu erhöhen und mehr gesunde Lebensjahre in Österreich zu ermöglichen.“

Sebastian Mörth, Public Health-Experte, erklärte, dass Technik und Menschlichkeit keinen Widerspruch darstellen müssen, wenn man Technologie sinnvoll integriere: „Medizintechnik, KI und Telemedizin sind keine ‚Add-ons‘, sie sind zentrale Antworten auf systemische Probleme wie Personalmangel, Versorgungslücken und Ineffizienzen. Wir müssen uns überlegen, wie wir die Technologie in die Strukturen einbetten, so dass der Mensch wieder im Mittelpunkt steht und mehr Zeit für Patientinnen und Patienten bleibt, heute und morgen.“
Beim AHF-Schladming 2025, das unter dem Motto „Gesundheit – Wer macht den Job?“ stand, wurde auch intensiv über den drohenden oder teils schon bestehenden Personalmangel im Gesundheitssystem diskutiert.

Thomas Szekeres, Ehrenpräsident der Wiener Ärztekammer, sieht in veränderten Ansprüchen ans Arbeitsleben eine der Ursachen für den Personalmangel: „Als ich Arzt wurde, waren 100 Arbeitsstunden pro Woche keine Seltenheit. Es ist natürlich gut, dass das heute kein Standard mehr ist. Aber dadurch entstehen Probleme, auf die wir Antworten finden müssen. Wir haben heute doppelt so viele Ärzte wie damals, und trotzdem gibt es einen Ärztemangel.“

Meinhild Hausreither, Leiterin der Sektion VI Humanmedizinrecht und Gesundheitstelematik im Gesundheitsministerium, betonte die Bedeutung interdisziplinärer Zusammenarbeit: „Eine zentrale Frage ist: Wie können wir das Zusammenwirken der verschiedenen Gesundheitsberufe gestalten, wie sieht beispielsweise eine optimale Kooperation von Ärzteschaft und Pflegekräften aus. Wir müssen auch neue Wege beschreiten, um sicherzustellen, dass eine gute Versorgungsqualität auch in Zukunft gesichert ist.“

Arno Melitopulos, Leiter des Bereichs Gesundheitssystem und Qualität der Österreichischen Gesundheitskasse ÖGK, forderte, dass die Gesundheitsberufe selbst stärker in den Fokus der Debatte um den Fachkräftemangel rücken müssten: „Wir haben es ein wenig verlernt, mit den Menschen in den Gesundheitsberufen gute Gespräche zu führen. Wir sollten uns stärker auf den Austausch mit jenen konzentrieren, die die Arbeit machen.“

Elisabeth Potzmann, Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbands (ÖGKV) und Präsidentin der Plattform Gesundheitsberufe, beschrieb drängende Probleme in der Pflege: „In Österreich denken wir Gesundheit und Pflege getrennt, damit bauen wir unnötige Schnittstellen auf. In den Alten- und Pflegeheimen haben 80% der Menschen Schmerzen. Das ist etwas, das wir ganz aktiv angehen müssen, so kann es nicht bleiben.“

Angelika Widhalm, Präsidentin des Bundesverbands Selbsthilfe Österreich, kritisierte: „Als Patient hat man manchmal das Gefühl, als würde man im Gesundheitssystem stören, und genau das sollten wir ändern. Patientenorganisationen leisten unglaublich viel freiwillige Erfahrungs-Experten-Arbeit, durch die sie wichtige Informationen verständlich an die Patientinnen und Patienten weitertragen, diese seit vielen Jahrzehnten schon durch viele Lebenslagen betreuen und durch das System patientenzentriert geleiten. Sie kennen die Stärken und Schwächen des Systems aus Erfahrung und Praxis. Sie sind die anerkannten Interessensvertretungen und ein unabdingbarer fixer Bestandteil des Gesundheitssystems. Es braucht ein Patientenbeteiligungsgesetz, das unter anderem eine Mitwirkung in allen Entwicklungs- und Entscheidungsprozessen gemäß EU-Vorgaben gesetzlich fixiert und auch endlich die gesicherte unabhängige staatliche Basis- und Projektfinanzierung für Selbsthilfe- und Patientenorganisationen beinhalten muss.“

Trotz aller aktuellen Herausforderungen gab es am AHF-Schladming auch zahlreiche Stimmen, die einen positiven Ausblick skizzierten, etwa im Rahmen einer Keynote, die Zukunftsforscher Tristan Horx hielt: „Jede Generation verhält sich um 7,4 Jahre jünger als die vorherige. Wir haben dem Leben also nicht nur mehr Jahre gegeben, es gibt auch mehr Leben in diesen Jahren. Ich merke das zum Beispiel bei meiner Mutter, die mit 60+ Jahren in Indonesien Surfkurse macht. Zukunftskompetenz entsteht, wenn wir die Weisheit mit dem Rebellischen verbinden.“

Alexander Biach, Generaldirektor der Sozialversicherung der Selbständigen SVS, betonte, dass man aktuell durchaus zufrieden mit der medizinischen Versorgung in Österreich sein könne: „Wir haben ein Gesundheitssystem, um das uns viele beneiden, wir dürfen die Diskussion nicht nur auf die Frusterlebnisse reduzieren. Die Ausgaben, die künftig nötig sind, werden wir solidarisch finanzieren. Dieses Land kann sich das leisten, und es wird sich das leisten.“
Im Rahmen des AHF-Schladming 2025 hatten die Teilnehmer:innen die Gelegenheit, ein System der roboterassistierten Chirurgie selbst auszuprobieren – konkret das System „da Vinci Single Port“. Am letzten Kongresstag nutzte auch Gesundheitsministerin Korinna Schumann diese Chance: Nach ihren Schlussworten beim AHF-Schladming 2025 nahm die Ministerin an der chirurgischen Konsole Platz und verschaffte sich persönlich einen Eindruck von der Technologie.

Über das Austrian Health Forum
Das Austrian Health Forum (AHF) bietet eine Plattform für den Austausch von Ideen und die Entwicklung konkreter Maßnahmen, um die Gesundheitsversorgung in Österreich nachhaltig zu sichern.
Das Austrian Health Forum fand im Mai 2025 bereits zum achten Mal statt, mit abwechselnden Veranstaltungsorten in Schladming im Frühling und Gastein im Herbst. Das AHF hat sich somit als führendes Netzwerktreffen im heimischen Gesundheitswesen etabliert.

Presseaussendung des AHF, 27.05.2025