Interleukin-6-Rezeptor-Inhibition

Die Funktionen von IL-6

Interleukin (IL)-6 kann in sehr hohen Konzentrationen im synovialen Entzündungsgewebe nachgewiesen werden1 und spielt eine zentrale Rolle in der Kaskade der proinflammatorischen Zytokinen. IL-6 wird von verschiedenen Zellen produziert, darunter T-Zellen, B-Zellen, Monozyten/Makrophagen, Fibroblasten, Keratinozyten, Endothelzellen, mesangiale Zellen, und von verschiedenen Tumorzellen2. Im Gegenzug beeinflusst IL-6 – auch unter physiologischen Bedingungen – eine große Anzahl von verschiedenen Zellen und ist in unterschiedliche physiologische Regelkreise involviert. IL-6 fördert, zusammen mit IL-3, die Differenzierung von hämatopoietischen Stammzellen und stimuliert die Differenzierung von T-Zellen, B-Zellen und Megakaryozyten. Es fördert die Proliferation von T-Zellen, Keratinozyten und Fibroblasten und ist an der Aktivierung von Osteoklasten, Hepatozyten, Chondrozyten und Endothelzellen beteiligt.
Aufgrund dieser breiten Wirkung lassen sich in der RA systemische und gelenksspezifische Effekte von IL-6 ableiten, die sich teilweise überlagern3.

Gelenksspezifische Effekte: Im betroffenen Gelenk stimuliert IL-6 die synoviale Entzündungsreaktion durch seine Wirkung auf neutrophile Granulozyten, Monozyten/Makrophagen und T-Zellen und fördert die Bildung eines Pannusgewebes durch die Stimulierung von Fibroblasten. Weiters bewirkt IL-6 die Produktion des Vascular Endothelial Growth Faktors (VEGF), wodurch es zu einer Endothelzellaktivierung und gesteigerten Angiogenese kommt. IL-6 induziert eine vermehrte Ausschüttung von Matrix-Metalloproteinasen und aktiviert Osteoklasten und Osteoklasten-Vorläuferzellen. Daraus resultiert letztendlich die Zerstörung von Knorpelgewebe und Knochensubstanz im betroffenen Gelenk.

Zu den systemischen Effekten von IL-6 zählen die Stimulierung von B-Zellen und die damit verbundene Produktion von Autoantikörpern, darunter auch die Produktion des Rheumafaktors. IL-6 ist maßgeblich an der Entstehung der Akutphasen- Reaktion durch seine aktivierende Wirkung auf Hepatozyten beteiligt. Dadurch kommt es zur vermehrten Produktion von C-reaktivem Protein, von Alpha1-Antitrypsin und von Serum Amyloid A bei gleichzeitig verminderter Produktion von Albumin. IL-6 stimuliert in der Leber weiters die Produktion von Hepcidin, ein Hormon, das in der Regulation des Eisenstoffwechsels eine Rolle spielt, indem es die intestinale Eisenresorption und Eisenverarbeitung durch Makrophagen bremst. Eine vermehrte IL-6-Produktion ist daher mit einer Verminderung der Serumferritin-Werte assoziiert, weshalb eine Rolle von IL-6 in der Entwicklung einer Anämie bei chronischen Erkrankungen angenommen wird4.

IL-6-Signaling

Die Signalübertragung von IL-6 kann über zwei verschiedene Arten erfolgen: einerseits in konventioneller Weise über den membrangebundenen IL-6-Rezeptor (IL-6R), andererseits in Form eines Trans-Signalings über einen löslichen IL-6R5. In beiden Fällen ist eine Bindung an das signaltransduzierende transmembrane Protein gp130 erforderlich. Im konventionellen Signalübertragungsweg bindet IL-6 an den IL-6R an der Zelloberfläche. Der IL-6/IL-6R-Komplex assoziiert anschließend mit gp130, es kommt zur Dimerisierung und Signalübertragung.
Neben der membrangebundenen Form existiert der IL-6R auch in löslicher Form, die durch proteolytische Abspaltung oder durch Translation einer alternativ gesplicten mRNA ensteht. IL-6 bindet an den solublen IL-6R, wonach der soluble IL-6/IL-6R-Komplex mit gp130 an der Zellmembran assoziiert.
In der konventionellen Signalübertragung sowie im Trans-Signaling erfolgt die Phosphorylierung einer Janus-aktivierten Kinase (JAK) im Zellinneren, wodurch der JAK-STAT-Signalweg (JAK signal transducers and activators of transcription Signalweg) und der MAP-Kinase-Weg (mitogen-activated protein kinase) aktiviert werden6.
Der transmembrane IL-6R wird nur von Hepatozyten und Monozyten/Makrophagen und einigen Lymphozyten exprimiert, wodurch das konventionelle IL-6-Signaling auf nur wenige Zellarten beschränkt ist. Im Gegensatz dazu ist gp130 ubiquitär exprimiert, und der soluble IL-6R findet sich in den meisten Körperflüssigkeiten, unter anderem im Serum und in der Synovialflüssigkeit. Trans-Signaling ermöglich daher einen IL-6-mediierten Effekt auch in Geweben, die keinen membrangebundenen Rezeptor aufweisen, wie z.B. dem Synovialgewebe3.

Gegenwärtige und zukünftige Therapieoptionen in der RA

Tocilizumab – Antikörper gegen den IL-6R

Derzeit steht mit Tocilizumab ein humanisierter monoklonaler Antikörper gegen den IL-6R zur Verfügung, der in der Lage ist, sowohl das konventionelle als auch das Trans-Signaling von IL-6 zu blockieren5. Tocilizumab ist für die Therapie der mittelschweren bis schweren aktiven rheumatoiden Arthritis nach Versagen oder Unverträglichkeit von mindestens einem DMARD (disease-modifying anti-rheumatic drug) oder einem TNF-alpha-Antagonisten zugelassen.

Klinische Wirksamkeit: In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass Tocilizumab sowohl Gelenkschwellungen und Gelenkschmerzen als auch die radiologische Progression bei RA-Patienten erfolgreich hemmt. Insgesamt wurde die Wirkung von Tocilizumab in 5 randomisierten, doppeltblinden, multizentrischen Studien untersucht (AMBITION7, LITHE8, OPTION9, TOWARD10, RADIATE11). In allen Studien war eine 20%ige Verbesserung der Krankheitsaktivität anhand der ACR-Kriterien (ACR-20-Respons) als primärer Endpunkt definiert. In allen Studien erreichten unter Tocilizumab mit einer Dosierung von 8 mg/kg Körpergewicht nach 6 Monaten signifikant mehr Patienten einen ACR-20-, 50- und 70-Respons im Vergleich zur Kontrollgruppe. Als ein möglicher Vorteil stellte sich zudem in der AMBITION-Studie heraus, dass eine Monotherapie mit Tocilizumab bei Patienten, die Methotrexat-naiv waren oder eine Methotrexat-Therapie nicht aufgrund eines mangelndem Ansprechens abgebrochen hatten, gegenüber Methotrexat eine überlegene Effektivität bei vergleichbarer Verträglichkeit zeigte.

Nebenwirkungen: Hinsichtlich der Nebenwirkungen von Tocilizumab besteht, wie auch für andere immunmodulierende Substanzen, ein erhöhtes Infektionsrisiko, wobei diese vor allem als Infektionen der oberen Atemwege, als Zellulitis oder als Herpesinfektionen auftreten. Schwere Infektionen fanden sich mit einer Häufigkeit von 4,4 pro 100 Patientenjahre. Vereinzelt kam es zu einer Divertikulitis. Weiters ist ein Anstieg der Lebertransaminasen, insbesondere in der Kombination mit Methotrexat, möglich, und auch Cholesterin- und Triglyceridspiegel können unter Tocilizumab ansteigen. Seltener kommt es zu einer rasch auftretenden, jedoch transienten Neutropenie und einer Thrombopenie. An der Haut wurde das Auftreten von Exanthem, Pruritus und Urtikaria beobachtete. Eine erhöhte Malignomrate wurde bisher nicht berichtet. Anzumerken ist jedoch, dass auch die klinischen Phase-III-Studien zur Erfassung von seltenen Ereignissen prinzipiell mit einer zu geringen Power ausgestattet waren und die Datenlage zu Tocilizumab für bestimmte Situationen daher teilweise noch zu gering ist. Darüber hinaus waren Patienten mit dem Verdacht auf eine latente Tuberkulose oder einer bestehenden Hepatitis B oder C von der Studienteilnahme ausgeschlossen. Auch Patienten mit einer Malignom-Anamnese wurden in die bisherigen Studien nicht inkludiert.

Andere rheumatologische Erkrankungen: Hinsichtlich des Einsatzes von Tocilizumab für die Behandlung anderer rheumatologischer Erkrankungen werden derzeit kontrollierte klinische Studien mit den Indikationen ankylosierende Spondylitis, Morbus Castelman, Morbus Still, juvenile idiopathische Arthritis und Polychondritis durchgeführt (Quelle: http://clinicaltrials.gov/). Versuche, IL-6 direkt mit einem Antikörper zu blockieren, haben sich anfänglich als nicht erfolgreich erwiesen, nachdem eine Bildung von IL-6/Anti-IL-6-Immunkomplexen beobachtet wurde, die zu einer unerwünschten Verlängerung der Halbwertszeit von IL-6 führten3. Auch hier wurden jedoch mittlerweile neue chimärische oder humanisierte Antikörper gegen IL-6 entwickelt, die in klinischen Studien entweder bereits erfolgreich getestet wurden oder derzeit noch in Erprobung sind, und deren Ergebnisse in nächster Zukunft vorliegen werden12.

Potenzielles Target: gp130

Nicht zuletzt stellt auch der Bindungspartner von IL-6, gp130, ein potenziell interessantes therapeutisches Target dar, nachdem neben IL-6 auch eine Vielzahl von anderen Mediatoren wie z.B. der Leukemia inhibitory factor, Oncostatin M, Ciliary neutrotrophic factor, Cardiotrophin-1 oder IL-27 über gp130 als Partner zur Signalübertragung arbeiten. Unterschiedliche Konstrukte befinden sich derzeit noch in der präklinischen Entwicklung. Ein Eingreifen in die über gp130 mediierte Signalübertragung könnte damit, neben der RA, auch eine therapeutischen Bedeutung in einer Reihe ganz anderer Erkrankungen gewinnen, darunter der M. Crohn, das multiple Myelom, Psoriasis, Diabetes, der systemische Lupus erythematodes oder auch maligne Erkrank ungen wie das Prostatakarzinom6.

 

1 Madhok R, Crilly A, Watson J, Capell HA, Serum interleukin 6 levels in rheumatoid arthritis: correlations with clinical and laboratory indices of disease activity. Ann Rheum Dis 1993; 52(3):232-234.
2 Kishimoto T, The biology of interleukin-6. Blood 1989; 74(1):1-10.
3 Cronstein BN, Interleukin-6 – a key mediator of systemic and local symptoms in rheumatoid arthritis. Bull NYU Hosp Jt Dis 2007, 65 Suppl 1:S11-15.
4 Van Snick J, Interleukin-6: an overview. Annu Rev Immunol 1990, 8:253-278.
5 Kishimoto T, Interleukin-6: discovery of a pleiotropic cytokine. Arthritis Res Ther 2006; 8 Suppl 2:S2.
6 Heinrich PC, Behrmann I, Muller-Newen G, Schaper F, Graeve L, Interleukin-6- type cytokine signalling through the gp130/Jak/STAT pathway. Biochem J 1998; 334 ( Pt 2):297-314.
7 Jones G, Sebba A, Gu J, Lowenstein MB, Calvo A, Gomez-Reino JJ, Siri DA, Tomsic M, Alecock E, Woodworth T et al., Comparison of tocilizumab monotherapy versus methotrexate monotherapy in patients with moderate to severe rheumatoid arthritis: the AMBITION study. Ann Rheum Dis 2010; 69(1):88-96.
8 Kremer JM, Blanco R, Brzosko M, Burgos-Vargas R, Halland AM, Vernon E, Ambs P, Fleischmann R, Tocilizumab inhibits structural joint damage in rheumatoid arthritis patients with inadequate responses to methotrexate: results from the double-blind treatment phase of a randomized placebo-controlled trial of tocilizumab safety and prevention of structural joint damage at one year. Arthritis Rheum 2011; 63(3):609-621.
9 Smolen JS, Beaulieu A, Rubbert-Roth A, Ramos-Remus C, Rovensky J, Alecock E, Woodworth T, Alten R, Effect of interleukin-6 receptor inhibition with tocilizumab in patients with rheumatoid arthritis (OPTION study): a double-blind, placebo- controlled, randomised trial. Lancet 2008; 371(9617):987-997.
10 Genovese MC, McKay JD, Nasonov EL, Mysler EF, da Silva NA, Alecock E, Woodworth T, Gomez-Reino JJ, Interleukin-6 receptor inhibition with tocilizumab reduces disease activity in rheumatoid arthritis with inadequate response to disease-modifying antirheumatic drugs: the tocilizumab in combination with traditional disease-modifying antirheumatic drug therapy study. Arthritis Rheum 2008; 58(10):2968-2980.
11 Emery P, Keystone E, Tony HP, Cantagrel A, van Vollenhoven R, Sanchez A, Alecock E, Lee J, Kremer J, IL-6 receptor inhibition with tocilizumab improves treatment outcomes in patients with rheumatoid arthritis refractory to anti-tumour necrosis factor biologicals: results from a 24-week multicentre randomised placebo- controlled trial. Ann Rheum Dis 2008; 67(11):1516-1523.
12 Deal watch: BMS acquires rights for IL-6 inhibitor. Nat Rev Drug Discov 2010; 9(1):10.