Verdacht auf Immundefizienzen bei Erwachsenen – welche Basis diagnostik ist sinnvoll?

Primäre Immundefekte (PID) stellen eine Gruppe seltener angeborener Erkrankungen des Immunsystems dar, deren Prävalenz zwischen 1 : 1.200 und 1 : 2.000 geschätzt wird. Allerdings variieren Daten dazu je nach Bevölkerung und Region deutlich. PID können unterschiedliche Komponenten des Immunsystems betreffen. PID werden von sekundär auftretenden Immundefizienzen unterschieden, die beispielsweise durch Medikamente wie Glukokortikoide oder Antiepileptika hervorgerufen werden können. Die meisten PID sind genetisch determinierte Erkrankungen und manifestieren sich vorwiegend im Neugeborenen- oder frühen Kindesalter. Daneben existieren aber auch PID, die erst im Jugendalter oder im Erwachsenalter auftreten. So betreffen bis zu 50 % der Erstdiagnosen PatientInnen über 25 Jahre. Insbesondere die häufige CVID-Erkrankungs­gruppe manifestiert sich im Median erst mit ca. 24 Lebensjahren.
Im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Immunologie (API) und der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) wurde im Jahr 2011 eine interdisziplinäre Leitlinie zur Diagnostik von primären Immundefekten erstellt. Diese Leitlinie wurde zuletzt im Jahr 2017 einer Überarbeitung unterzogen.

Klinische Verdachtsmomente und Symptome

Als klinisches Leitsymptom der primären Immundefekte fungiert meist eine erhöhte Infektanfälligkeit. Die Grenzziehung zwischen einer physiologischen und einer pathologischen Infektneigung ist in der Praxis jedoch mitunter schwierig.
Parameter zur Charakterisierung einer pathologischen Infektanfälligkeit wurden von einer deutschen Expertengruppe 2010 unter dem Akronym „ELVIS“ (Erreger, Lokalisation, Verlauf, ­Intensität, Summe) zusammengefasst.

 

 

Erreger: Zeichen für eine pathologische Infektanfälligkeit können Infektionen mit opportunistischen Erregern sein, die bei immunkompetenten üblicherweise nicht oder zumindest nicht in schwerwiegender Form vorkommen. Dazu zählen Pneumonie durch Pneumocystis jirovecii oder Cytomegalie-Virus (CMV), eine Candida-Sepsis, eine Darm- und/oder Gallenwegsinfektion durch Cryptosporidien oder Mikrosporidien, oder eine disseminierte Infektion durch nichttuberkulöse Mykobakterien.

Lokalisation: Daneben kann die Lokalisation einer Infektion Hinweise liefern. Polytope Infektionen lassen an eine systemische Abwehrschwäche denken bzw. Infekte an atypischen Lokalisationen wie z. B. ein Hirnabszess durch Aspergillus spp. oder ein Leberabszess durch Staphylococcus aureus.Verlauf: Ein protrahierter Verlauf von Infektionen oder ein unzureichendes Ansprechen auf eine antibiotische Therapie können Anzeichen einer Abwehrschwäche sein.

Intensität: Auch der Schweregrad einer Infektion kann Ausdruck einer Immunschwäche sein. Insbesondere das Auftreten von „Major-Infektionen“, also zum Beispiel Pneumonie, Meningitis, Sepsis, Osteomyelitis und invasive Abszesse, können den Verdacht in diese Richtung lenken.

Summe: Rezidivierende Infektionen sind typisch für primäre (und andere) Immundefekte und werden von den Betroffenen oft als besonders belastend empfunden. Die Angabe von Schwellenwerten, bei deren Überschreiten eine pathologische Infekthäufigkeit vorliegt, ist jedoch problematisch.

Mögliche Manifestationen der gestörten ­Immunregulation

Daneben können Zeichen der gestörten Immunregulation ­wesentliche, manchmal alleinige Symptome eines primären Immundefekts sein. Folgende Manifestationen können in diesem Zusammenhang auftreten und sind unter dem Akronym „GARFIELD“ (Granulome, Autoimmunität, rezidivierendes ­Fieber, ekzematöse Hauterkrankungen, Lymphoproliferation, chronische Darmentzündung) zusammengefasst.

 

 

Granulome: Darunter versteht man nichtnekrotisierende, kleinherdige, epitheloidzellige Granulome („sarcoid-like lesions“), die vor allem in der Lunge, in lymphatischen Geweben, im Darm und in der Haut auftreten.

Autoimmunität kann ebenfalls eine Manifestation bei primären Immundefekten darstellen. Am häufigsten findet man Autoimmunzytopenien und eine Autoimmunthyreoiditis. Autoimmunzytopenien finden sich in ca. 12–20 % der CVID-­PatientInnen. Weitere Manifestationen können durch Autoantikörper, aber auch durch T-Zellen vermittelt sein. Es kann zum Auftreten einer rheumatoide Arthritis, einer juvenilen idiopathischen Arthritis (JIA), Vaskulitis, Glomerulonephritis, Hepatitis, Zöliakie/Autoimmunenteropathie, Alopezie, Vitiligo, Diabetes mellitus Typ 1, Morbus Addison oder Hypopara­thyreoidismus kommen.

Ekzematöse Hauterkrankungen: Dazu zählen schwer zu therapierende Ekzeme bis hin zur Erythrodermie mit oder ohne Alopezie.

Lymphoproliferation: Im Zuge dessen kann es zu einer Splenomegalie, Hepatomegalie, zu einer Vergrößerung von Lymphknoten bzw. zur Ausbildung von tertiären lymphatischen Strukturen insbesondere in der Lunge und im Gastrointestinaltrakt kommen.

Darmentzündung: Eine chronische Darmentzündung wird zunehmend als eine Primärmanifestation von Immundefekten angesehen.

Basisdiagnostik

Sollte sich anhand dieser Kriterien der Verdacht auf eine Immundefizienz ergeben, gehören zu einer sinnvollen Basisdiagnostik in den Laboruntersuchungen:

  1. ein komplettes Blutbild inklusive Differenzialblutbild. Leukozytopenie, Lymphozytopenien, Neutropenien, Monozytopenien oder Thrombozytopenien können ­erste Hinweise in Richtung eines Immundefektes sein. Dabei sind vor allem die absoluten Zellzahlen und nicht deren relative Verteilung von Bedeutung. Auch eine Eosinophilie kann zusammen mit einer ­erhöhten Infektanfälligkeit oder Immundysregulation eine Manifestation im Rahmen eins Immundefektes sein.
  2. die Bestimmung von CRP und Blutsenkungs­geschwindigkeit
  3. eine Serumeiweißelektrophorese, ggf. eine ­Immunfixationselektrophorese
  4. die quantitative Bestimmung der Immunglobuline (IgG, IgA, IgM und IgE). Etwa die Hälfte der PatientInnen mit ­einem primären Immundefekt leidet an einer Antikörpermangelerkrankung. Aber auch erhöhte Immunglobulin­konzentrationen können auf einen ­Immundefekt ­hinweisen, insbesondere ein erhöhtes IgE, ein erhöhtes IgM, aber auch ein erhöhtes IgG sind bei einzelnen ­Erkrankungen möglich. Wichtig ist dabei insbesondere die altersspezifischen Normwerte zu beachten.
  5. Serum-Elektrolyte und Glukose
  6. Ferritin
  7. Harnbefund
  8. Autoantikörper (Rheumafaktor, Anti-CCP-Antikörper, ANA, ds-DNA Antikörper, AMA)
  9. Komplementfaktoren (C3, C4)
  10. spezifische Antikörper (z. B. Hepatitis, HIV)
  11. Impfantikörper (s. u.)

Erweiterte Diagnostik

Sollten sich in der Basisdiagnostik keine Abweichungen finden, aber aufgrund des klinischen Bildes weiterhin der Verdacht auf einen Immundefekt bestehen, kann eine weiterführende Diagnostik in einem spezialisierten Zentrum sinnvoll sein. Phänotypische Untersuchungen und funktionelle Assays können hier zusätzliche Informationen liefern.
Zu den abklärenden Untersuchungen bei Verdacht in Richtung einer humoralen Immunschwächestörung gehören die bereits erwähnte Bestimmung der IgG, IgM, IgA und IgE-Spiegel, die Bestimmung der Isohämagglutinin-Titer sowie die Bestimmung der Antikörperantwort auf Impfstoffantigene (z. B. Haemophilus-influenzae-Typ B, Tetanus, Diphtherie, konjugierte und nichtkonjugierte Pneumokokken, Meningokokken und Antigene). Mittels Durchflusszytometrie kann die Anzahl der B-Zellen quantifiziert werden und die Verteilung bestim
mter Subpopulationen sowie deren Aktivierungsstatus erfasst werden.
Bei Verdacht in Richtung einer zellulären Immunschwäche werden mittels Durchflusszytometrie die Anzahl an T-Zellen und die Verteilung von T-Zell-Subpopulationen bestimmt. Weiters kann anhand der Expression bestimmter Oberflächenantigene der Aktivierungsstatus festgestellt werden. Daneben kann mit funktionellen Tests die proliferative Reaktion von T-Zellen auf bestimmte Mitogene untersucht werden.
Bei Verdacht in Richtung phagozytärer Zelldefekte kann neben einer genauen phänotypischen Analyse mittels Durchflusszytometrie eine funktionelle oxidative Burst-Messung durchgeführt werden. Dabei wird die Fähigkeit zur Freisetzung von Sauerstoffradikalen durch neutrophile Granulozyten und Makrophagen während der Phagozytose bestimmt.

Genetische Diagnostik

Die meisten PID sind monogenetische Erkrankungen. PatientInnen mit derselben Mutation können aber aufgrund einer variablen Expression und Penetranz unterschiedliche Phänotypen zeigen. Daher besteht bei den meisten Gendefekten keine sichere Genotyp-Phänotyp-Korrelation. Zusätzlich kann ein bestimmter klinischer Phänotyp durch Mutationen in unterschiedlichen Genen hervorgerufen werden. Darüber hinaus sind wahrscheinlich viele bisher nicht definierte Immundefizienzen durch Mutationen in mehreren Genen bedingt.
Die komplette Sequenzierung des menschlichen Genoms im Rahmen des Humangenomprojektes dauerte 2001 dreizehn Jahre und kostete drei Milliarden US-Dollar. Die technischen Möglichkeiten in der Gensequenzierung haben sich in den letzten Jahren dramatisch weiterentwickelt. Parallel dazu sind die Kosten kontinuierlich gesunken.
Sowohl die Kosten als auch der Zeitaufwand konnten durch die Entwicklung von parallelen Multi-Genanalysen mittels „next generation sequencing“ (NGS) dramatisch reduziert werden. Derzeit kommen vor allem die Genpanel-Diagnostik mit der Analyse einer Gruppe von bekannten krankheitsassoziierten Genen zum Einsatz, die Sequenzierung nahezu aller Protein-kodierenden Gene („whole exome sequencing“, WES) oder des gesamten Genoms („whole genome sequencing“, WGS). Bei klaren klinischen und immunologischen Phänotypen ist derzeit die vor 40 Jahren entwickelte Sanger-Sequenzierung weiterhin das Verfahren der ersten Wahl. Das Problem aller genetischen Untersuchungen ist jedoch nach wie vor der Nachweis eines Kausalzusammenhangs zwischen den gefundenen genetischen Variationen und der vorliegenden klinischen Erkrankung. Die exakte Interpretation genetischer Daten kann daher nur in der Zusammenschau von klinischer Präsentation, immunologischen Befunden und sorgfältigem Abgleich mit publizierten Daten erfolgen.