Die Bibliothek der Gesellschaft der Ärzte in Wien − Medizinhistorische Schatzkammer und aktuelles Literaturangebot

Die 1837 gegründete Gesellschaft der Ärzte in Wien ist die älteste und traditionsreichste medizinische Gesellschaft Österreichs. Ihre Hauptaufgabe sah die Gesellschaft von Beginn an in der Fortbildung und der Präsentation neuester medizinischer Forschungsergebnisse. Ein zentrales Ziel der Vereinsgründung war auch der Aufbau einer wissenschaftlichen Fachbibliothek für medizinische Literatur.
Die Bestände der Bibliothek an Monographien und Zeitschriften wuchsen in den ersten Jahrzehnten des Bestehens der Gesellschaft rasch an. 1845 lagen bereits 35 laufende Fachzeitschriften für die Mitglieder auf. Durch Tausch und Schenkung konnten früh auch zahlreiche internationale Fachzeitschriften in den Bestand integriert werden und speziell für die Zeit vor 1918 deckt dieser auch die medizinische Entwicklung in den Ländern der ehemaligen Habsburgermonarchie umfassend ab.
Vor Eröffnung der Zentralbibliothek für Medizin in Wien (heute: Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien) im Jahr 1994 war die Bibliothek des „Billrothhauses“ die größte medizinische Fachbibliothek in Österreich.

 

 

Medizinhistorische Schatzkammer: Neben Ankauf und Tausch, waren es immer wieder auch Spenden und Nachlässe, die den Buchbestand der Bibliothek vergrößerten. Letztere kamen von Mitgliedern und führenden Ärzten Wiens, in späterer Zeit auch aus den Instituten des Wiener AKH, etc. Einige der wertvollsten Bestände gehen auf frühe Schenkungen bedeutender Persönlichkeiten und Institutionen (Hofbibliothek, Fürst Metternich, Theodor Billroth etc.) zurück.
Der Sammelschwerpunkt der in der Bibliothek vorhandenen Literatur lag naturgemäß beim Zeitraum nach der Gründung der Gesellschaft in der ersten Hälfte des 19. sowie dem 20. Jahrhundert, doch befinden sich zahlreiche bemerkenswerte Bestände aus früheren Zeiten darunter. So ist die Gesellschaft heute im Besitz von 40 Büchern aus dem 16. Jahrhundert.
Dass eine private Vereinsbibliothek unter ihren Schätzen sogar eine Inkunabel (vor dem Jahr 1500 gedruckte) aus dem Jahr 1497 – „De mysteriis Aegyptorum“ des Autors Chalcidensis Iamblichus als ältestes Werk der Sammlung – vorweisen kann, verdient sicherlich eine gesonderte Erwähnung.
Die ersten (kurzlebigen) deutschsprachigen medizinischen Zeitschriften erschienen ab 1717. Diese waren noch keine wissenschaftlichen Blätter, sondern sprachen Laien wie ausgebildete Mediziner gleichermaßen an. Erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts erschienen die ersten spezialisierten medizinischen Fachjournale. Die Bibliothek der Gesellschaft der Ärzte besitzt mehrere Zeitschriften aus dieser „vorwissenschaftlichen Übergangsperiode“.
Besonders beeindruckend ist die vollständige Sammlung aller Bände des internationalen Top-Journals „The Lancet“ vom ersten Band im Jahr 1823 bis heute.
Einen weiteren besonderen Bestand stellt die große historische Separata-Sammlung an medizinischen Fachartikeln dar, die etwa 50.000 Exemplare umfasst. Hier finden sich durchaus Raritäten und selbst verschollen geglaubte Texte, etwa entlegen publizierte Artikel sehr bekannter Mediziner.

Dauerleihgaben im Josephinum: Die permanente Platznot auf Grund des ständigen Zuwachses an wissenschaftlicher Literatur in der Bibliothek war auch die Ursache für mehrmalige Ortswechsel der Gesellschaft vor der Eröffnung des Billrothhauses 1893 und die Auslagerung große Teile der Bibliothek als Dauerleihgaben an die Zweigbibliothek der Universitätsbibliothek der MUW im „Josephinum“. Bestandteil dieser Dauerleihgaben war die gesamte vor 1750 erschienene Literatur der Bibliothek.

Umbruch seit den 1990er-Jahren: Mitte der 1990er-Jahre begann ein langfristiger, aber konsequenter Umstieg im Angebot der Bibliothek. Die sehr früh vollzogene Umstellung mehrerer hundert laufender Fachjournale von der Print- auf die digitale Version sowie die Vorbereitung der Auslagerung der Dauerleihgaben schufen Raum für die Einrichtung zusätzlicher Ser­viceangebote. So wird seitdem mit Hilfe von studentischen Mitarbeitern ein umfassendes elektronisches Literaturservice angeboten, das die Mitglieder der Gesellschaft bei der Beschaffung medizinischer Fachliteratur unterstützt. Dieses Service wird bis heute intensiv genutzt.
Der begonnene Umstieg im Angebot der Bibliothek von Printmedien auf elektronische Journale wurde konsequent fortgeführt. Die Zahl der Abonnements an gedruckten Zeitschriften lag Ende der 1980er Jahre bei über 500 Abonnements, im Jahr 2019 nur mehr bei 2! Alle anderen Zeitschriftenabonnements betreffen heute digitalisierte Journale.

Aktueller Bestand an elektronischer und gedruckter Literatur: Derzeit wird den Mitgliedern des Vereins ein direkter Zugriff auf mehr als 3.000 elektronische Fachzeitschriften sowie Zugang zu den wichtigsten Datenbanken im medizinischen Bereich angeboten (Medline und Dynamed Plus). Dass diese Angebote ein sehr attraktives Gesamtpaket für viele Ärzte darstellen, ist indirekt auch an den steigenden Mitgliederzahlen der letzten Jahre ablesbar.
Die immensen jährlichen Preissteigerungen bei E-Journals machen schon lange das Abonnement einer einzelnen elektronischen Zeitschrift unmöglich; es können nur Paket-Angebote erworben werden, die teilweise erst durch die Teilnahme der Gesellschaft an einem Konsortium österreichischer wissenschaftlichen Bibliotheken finanziell leistbar sind.
Der bis heute in der Bibliothek des Billrothhauses befindliche Print-Bestand umfasst ca. 1.800 Zeitschriften (mit einem Gesamtumfang von ca. 100.000 Bänden!) sowie die erwähnte Separata-Sammlung. Auf der Homepage der Gesellschaft (http://www.billrothhaus.at) befindet sich ein Online-Katalog, in dem alle Print- und E-Journals nachgewiesen sind. Die im Haus befindliche Literatur ist zu den Öffnungszeiten der Bibliothek frei öffentlich zugänglich. Eine Entlehnung ist nicht möglich.

Gegenwärtige und zukünftige Aufgaben: Während die elektronischen Zeitschriften und Datenbanken der Gesellschaft von den Mitgliedern sehr gut genutzt werden, ist die Bekanntheit des medizinhistorischen Teils der Bibliothek verbesserungsbedürftig. 2015 wurde deshalb begonnen, die Sichtbarkeit durch den konkreten Nachweis aller Titel des gesamten vorhandenen Buchbestandes in den Katalogen des Österreichischen Bibliothekenverbundes allmählich zu erhöhen.
Die Bibliothek der Gesellschaft der Ärzte in Wien selbst ist wichtiger Bestandteil des kulturellen Erbes der Wiener Medizingeschichte. Sie dokumentiert das Wissen, das den Pionieren zur Verfügung stand. Insofern wäre die Bibliothek selbst ein wertvolles Objekt für medizinhistorische Forschungen.