Impfen − Verantwortung oder Verpflichtung?

Bei nicht erfolgten Impfungen inklusive Auffrischungen solle letztlich der Zugang zu öffentlichen Kindergärten und Gemeinschaftseinrichtungen verwehrt werden. Ein analoges Prinzip existiere und funktioniere bereits beim Mutter-Kind-Pass, wo versäumte Untersuchungen zu Kürzungen führen.

Paternalismus versus Autonomie des Patienten: Wenn die Ausübung der Verantwortung („moralische Verpflichtung“) nicht zum Ziel führt, braucht es dann Verbote und gesetzliche Verpflichtungen? Dazwischen lägen noch nicht ausgeschöpfte Instrumente wie Motivation und Bonifikation, allerdings begründen solche Maßnahmen per se schon indirekte Verpflichtungen, wenn man in der finanziellen Abhängigkeit steht.

Ethische Verpflichtung, das Gemeinwohl genauso im Auge zu haben wie das Recht auf Selbstbestimmung – „Abwägung in der Prinzipienethik“: Zweifellos existiert auch eine ethische Verpflichtung zu empfohlenen Impfungen, wenn es um Krankheitsvermeidung durch Herdenimmunität geht. Eine Impfpflicht, wie sie beispielsweise auch in Italien und den USA existiert, wird praktisch immer ethisch (utilitaristisch), aber kaum gesundheitsökonomisch argumentiert.
„Healthcare professionals“ tragen im Rahmen ihrer Berufsausübung als Vorbilder in Gesundheitseinrichtungen besondere Verantwortung. Bedauerlicherweise schafft man es nicht einmal in den eigenen Reihen, die geforderten Immunisierungen zu gewährleisten, weder auf freiwilliger Basis noch durch gesetzliches (weil nicht exekutiertes) Regelwerk. Entsprechend Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention können Privatrechte beispielsweise zum Schutz der Gesundheit anderer Personen eingeschränkt werden. Ein solches Schutzmotiv wäre zweifellos gegeben, wenn es um impfpräventable Erkrankungen mit Ansteckungsgefahr geht.

„Vaccine hesitancy“ – „Impfskepsis“ ist laut WHO bereits ein globales Problem: Impfskeptiker werden in der Öffentlichkeit als Menschen mit Expertise wahrgenommen, obgleich sie über kein überzeugendes Argumentarium verfügen. Allein die Tatsache, gegen etwas zu sein, gaukelt überzeugende Auseinandersetzung mit der Materie vor, während Impfbefürworter, die ja die Mehrheit darstellen, zu ahnungslosen Unwissenden degradiert werden. Bedauerlicherweise gibt es von politischer Seite trotz abnehmender Impfbereitschaft, sinkender Herdenimmunität und zunehmender Wahrscheinlichkeit von lokalen Epidemien zu wenig Rückendeckung für das Engagement der Impfärzte. Klare Statements und engagierte Kampagnen gibt es allerdings in den Ländern, wo das öffentliche Impfwesen noch gut funktioniert. Die drastische Maßnahme einer gesetzlichen Impfpflicht wäre natürlich ein klares Bekenntnis und würde auch Impfgegnern das Leben in der Mogelpackung schwer machen und sie als „Trittbrettfahrer“ demaskieren.

Gynäkologische Perspektiven: Ich glaube, dass dieser Vorstoß der Wiener und Österreichischen Ärztekammer zu einer sachlichen und alle Aspekte einer gesellschaftlichen Verantwortung umfassenden Diskussion führen kann.
Eine Impfpflicht würde alle laut Impfplan empfohlenen Impfungen im Kindes- und Jugendalter umfassen, also auch die HPV-Impfung!
Frauenärztinnen und -ärzte haben die Möglichkeit, über die Mütter die Töchter zu erreichen, aber leider keine Beteiligungsmöglichkeit am Catch-up-Programm der 12–15-Jährigen. Ich sehe hier auch eine große Chance in der Zukunft für die noch unbefriedigende Situation der HPV-Impfung. Eine Impfpflicht würde sicherlich mit dem 12. Lebensjahr enden, aber der Imagegewinn durch ein klares Bekenntnis seitens der Politik und der Gesellschaft insgesamt würde zu mehr Akzeptanz aller Vakzinen führen und auch die Altersgruppen erreichen, die wir in der Praxis sehen und ansprechen können! Die gynäkologische Impfthematik beschränkt sich nicht nur auf die HPV-Impfung, ganz wesentlich erscheint mir hier auch die Impfberatung vor und während einer Schwangerschaft.

Ich freue mich wie immer über Ihre Kommentare und ­Anregungen: office(at)mein-frauenarzt.at