Medikamentöse Abortinduktion im niedergelassenen Bereich

Kontext

Die medikamentöse Abortinduktion mit Mifepriston (Mifegyne®) durfte bisher nur in Krankenhäusern oder Zentren, welche zur Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen ermächtigt sind, verabreicht werden. Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen hat mit Juli 2020 eine Änderung des Zulassungsbescheides vorgenommen, wonach Mifegyne® auch durch niedergelassene Fachärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe verabreicht werden darf. Mifegyne®­ ist rezept- und apothekenpflichtig. Apotheken dürfen das Medikament an niedergelassene Fachärzte abgeben – eine Abgabe unmittelbar an eine Patientin ist weiterhin nicht erlaubt.

Fristenlösung: Seit 1975 ist der Schwangerschaftsabbruch in Österreich nach §97 StGB mit der sogenannten Fristenlösung gesetzlich geregelt. Seither kann eine Schwangerschaft innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate straffrei abgebrochen werden. Juristisch beginnt eine Schwangerschaft mit der Implantation somit ca. am 7. Tag. Ein Abbruch darf vor Beginn der 16. Schwangerschaftswoche, gerechnet vom ersten Tag der letzten Menstruationsblutung erfolgen. Die Einnahme des Medikamentes darf nur in Gegenwart des Arztes bzw. nach schriftlicher ärztlicher Anordnung erfolgen.

Kritik: Die neue österreichische Regelung dient zur Erleichterung für ungewollt schwangere Frauen. Für diese ist der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch nun zugänglicher, da die oftmals langen Anfahrtswege zu Kliniken entfallen. Jedoch ist zu befürchten, dass die Abgabe künftig auch ohne Qualitätssicherung, Beratung oder Nachkontrolle erfolgen könnte. Bei Komplikationen im Zusammenhang mit dem medikamentösen Schwangerschaftsabbruch müssten Frauen wieder an Krankenhäuser verwiesen werden. Nun gilt es diesen Punkten entgegenzuwirken.

Beratungsstellen: Bevor Frauen die Entscheidung für einen Schwangerschaftsabbruch treffen, können sie sich in Familienberatungsstellen oder Frauengesundheitszentren beraten lassen. Eine Liste von Beratungsstellen ist von der österreichischen Gesellschaft für Familienplanung unter https://oegf.at/verhuetung/schwangerschaftsabbruch bzw. auf der OEGGG-Website unter „Stellungnahme der OEGGG zur medikamentösen Abortinduktion“ abrufbar. Die Patientin soll sich während des Abortprozesses in Begleitung einer Vertrauensperson befinden, um Unterstützung zu erhalten.

 

 

Management

Medikamente: Mifepriston (Mifegyne®) ist ein Progesteron-Rezeptor-Antagonist, welcher zu dezidualer Nekrose, zervikaler Aufweichung und vermehrter uteriner Kontraktilität sowie Prostaglandinsensitivität führt. Misoprostol (Cyprostol®, Topogyne®) ist ein Prostaglandin-E1-Analogon, welches zu uterinen Kontraktionen sowie Muttermunderöffnung führt und somit die Wirksamkeit von Mifegyne® erhöht. Cyprostol® ist in Österreich zur Vorbeugung und Behandlung bei Magenschleimhautentzündungen, Zwölffingerdarm- und Magengeschwüren zugelassen, somit erfolgt in der Gynäkologie die Gabe als sogenannter Off-Label-Use. Topogyne® ist seit dem 1. 5. 2020 in Österreich für die medikamentöse Abortinduktion zugelassen.
Eine vaginale Gabe von Misoprostol geht mit geringeren Nebenwirkungen wie Übelkeit, Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, aber einem etwas erhöhten Infektionsrisiko, welches jedoch insgesamt sehr gering ist, einher.

Effektivität: Mit der Einnahme von Mifegyne®­ wird ein Prozess in Gang gesetzt, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. Auch wenn die Schwangere kein Cyprostol® einnehmen würde, käme es in etwa 60 bis 80 % der Fälle zu einem Abbruch. Insgesamt beträgt die Effektivität einer medikamentösen Abortinduktion in der oben genannten Kombination etwa 95 %. Je früher die Therapie verabreicht wird, desto effektiver ist sie.

Rhesusprophylaxe: Vor der 6. SSW kann von einer Rhesusprophylaxe Abstand genommen werden. Rhophylac® ist nach derzeitigem Stand im Erstattungskodex nur zur Prophylaxe der Rhesus-Sensibilisierung bei Rh-negativen Schwangeren in der 28.–30. Schwangerschaftswoche erstattungsfähig. Somit kann die Bewilligung der Kostenübernahme chefarztpflichtig sein und bei Rezeptierung ist zu vermerken: IND: präpartale Prophylaxe nach Komplikationen in der Schwangerschaft: medikamentös induzierter Abort. Alternativ kann man Rhophylac® in der Ordination auf Lager legen, um der Patientin bürokratische Gänge zu ersparen. Etwa 14,5 % der Bevölkerung sind Rhesus-negativ.

Es gibt zwei Indikationen, in denen die Kombinationstherapie, wie oben beschrieben, verabreicht werden darf. Bei einer Abortinduktion auf Wunsch und bei Vorliegen eines Missed Abortion. Es gilt, dass vor der medikamentösen Therapie eine Differenzierung der beiden Diagnosen erfolgen sollte. Das Vorliegen einer extrauterinen Gravidität (kommt in etwa 2 % der Fälle vor) muss im Vorfeld ausgeschlossen werden.

Bei sehr frühen Schwangerschaften, wo eine positive Herzaktion noch nicht darstellbar ist (< 6. SSW), kann die Bestimmung von humanem β-Choriongonadotropin (β-hCG) vor einer medikamentösen Abortinduktion hilfreich sein, um den Erfolg der Therapie zu beurteilen. Ein deutlicher Rückgang des Schwangerschaftshormons (ca. 70–80 %) nach einer Woche belegt, dass die Schwangerschaft beendet ist. Falls bei der Kontrolle das Hormon angestiegen ist oder gleichgeblieben ist, muss unbedingt eine ektope Gravidität ausgeschlossen werden.
Bei biochemischen Schwangerschaften ist eine Nachverfolgung des β-HCG bis unterhalb der Nachweisgrenze indiziert.
Die Schwangerschaftswoche soll anhand der letzten Regelblutung sowie der sonografisch ermittelten Größe der Fruchthöhle, des Dotter­sackes bzw. der Scheitel-Steiß-Länge (SSL) datiert werden. Ab einer SSL von 30 mm (= 63. Tag der Amenorrhö bzw. SSW 9+0) ist eine medikamentöse Abortinduktion nicht zu empfehlen.

Vaginale Blutung: Innerhalb von wenigen Stunden nach Einnahme von Mifegyne® ist eine überregelstarke Blutung zu erwarten. Falls eine Blutung durch die Einnahme von Mifegyne® ausbleibt, ist nach der Verabreichung von Cyprostol® in den meisten Fällen nach 1 bis 7 Stunden eine stärkere bis sehr starke Blutung mit Gewebeabgang zu erwarten. Die Blutung dauert in der Regel einige Stunden und ist danach rückläufig. Eine Schmierblutung kann bis etwa 4 Wochen anhalten. Die Erfolgsrate beläuft sich bei richtiger Indikationsstellung auf 95 %. Um einer möglichen Infektion vorzubeugen, sollte die Frau, solange sie vaginal blutet, nichts vaginal einführen, nicht baden und keinen Geschlechtsverkehr haben.
Bei sehr starken Blutungen (= vier durchgeblutete, dicke Damenbinden pro Stunde über mehr als zwei Stunden) ist eine Vorstellung in einer gynäkologischen Ambulanz zu empfehlen.
Mit dem Schwangerschaftsabbruch und der danach einsetzenden Blutung beginnt ein neuer Menstruationszyklus, im Rahmen dessen die Frau wieder schwanger werden kann. Deshalb ist es wichtig, unmittelbar mit einer wirksamen Verhütung zu beginnen. Ein komplikationsloser Abbruch hat keine negativen Auswirkungen auf die Fertilität.

Typische Nebenwirkungen der medikamentösen Abortinduktion:

  • mäßige bis starke Unterbauchschmerzen
  • Nausea, evtl. Erbrechen
  • Kopfschmerzen, Schwindel
  • Diarrhö

Kontraindikationen der medikamentösen ­Abortinduktion:

  • Hb < 9,5 g/dl
  • Gerinnungsstörungen
  • Antikoagulation
  • fehlende Compliance
  • Unmöglichkeit der adäquaten Aufklärung
  • Ablehnung durch die Patientin
  • Vd. a. Trophoblasterkrankung
  • Vd. a. Extrauteringravidität
  • liegendes IUD
  • entzündliche Darm
    erkrankung
  • Z. n. mehrfacher Uterus-OP
  • schwerwiegendes Asthma
  • septischer Abort


Mögliche Vorgehensweise
 zur medikamentösen Abortinduktion bei Wunsch nach Schwangerschaftsabbruch bis sonografisch SSW 9+0 (max. SSL 30 mm) im niedergelassenen Bereich:

  • Aufklärung über die verschiedenen Möglichkeiten der Abortinduktion – ­chirurgisches Vorgehen (Saugckürettage) versus medikamentöses Vorgehen ­(Mifegyne® und Cyprostol® im ­Off-Label-Use, Erfolgsrate bis 95 %).
  • Anbieten einer psychologischen ­Betreuung und Bedenkzeit.
  • Vor Therapiestart sollte eine Blutabnahme (Blutbild, Blutgruppe, falls nicht ­bekannt, eventuell β-HCG) erfolgen.
  • Gabe einer Tablette Mifegyne® (= 200 mg Mifepriston) oral unter ­ärztlicher Aufsicht (keinesfalls der ­Patientin mit nach Hause geben).
  • 24–48 Stunden nach der Einnahme von Mifegyne® erfolgt die Verabreichung von Cyprostol® 800 μg Tbl. (4 Tabletten à 200 μg) vaginal. Alternativ ist eine orale Applikation 2 Tbl. alle 4 Stunden (max. 1.200 mg/24 h) (buccal oder ­sublingual) möglich.
  • Der Patientin sollte ein Rezept für ein analgetisches und antiemetisches ­Medikament, z. B. Ibuprofen 400 mg bis 4 x täglich und Paspertin®-Filmtabletten 1 Tablette 3 x täglich verordnet werden. Nichtsteroidale Antiphlogistika (z. B. Ibuprufen/Naproxen etc.) sind gegenüber Paracetamol als Schmerzmedikation bevorzugt anzuwenden.
  • Bei Rhesusnegativität ist die Gabe der Rh-Prophylaxe nach der 6. SSW angezeigt.
  • Eine Kontrolle beim niedergelassenen Facharzt soll zur Verlaufskontrolle ­sowohl nach einer als auch nach 6 Wochen durchgeführt werden.
  • Wenn die Patientinnen angeben, dass bereits nach der Einnahme von Mifegyne® eine überregelstarke Blutung stattgefunden hat, dann kann je nach Ultraschallbefund wie folgt vorgegangen werden:
    • Wenn kein Fruchtsack (FS) vorhanden ist und das Endometrium < 20 mm misst (= Abortus completus), kann auf die Gabe von Cyprostol® verzichtet und eine Kontrolle beim Facharzt in 6 Wochen durchgeführt werden.
    • Falls ein Abortus incompletus ­(= FS noch sichtbar oder Endometrium > 20 mm) bei einer Kontrolle nach Cyprostol®-Gabe vorliegt, kann nach einer Woche eine weitere Ultraschall-Kontrolle erfolgen. Die Abgangswahrscheinlichkeit liegt bei ca. 70 % ­innerhalb von 7 Tagen.
      Falls weiterhin ein FS oder großer, durchbluteter Rest sichtbar ist, kann ein 2. Versuch 4 Tabletten à 200 µg Cyprostol® vaginal durchgeführt werden.