The Dark Side of Science−Forschungs-Müll, Fake-Publikationen und Junk-Konferenzen

Der Kernvorwurf lautet: Forscher veröffentlichen ihre „Forschungsergebnisse“ gegen (gute) Bezahlung in pseudowissenschaftlichen Journalen, sog. Predatory Journals (Raubjournalen) und halten, ebenfalls für gutes Geld, auf pseudowissenschaftlichen Konferenzen, sog. Junk-Konferenzen, sinnbefreite Vorträge. Worauf basieren nun diese Fake Science-Modelle?

Vorerst die gute Nachricht: Open Access

Open Access (OA) steht für den weitgehend uneingeschränkten und kostenlosen Zugang zu wissenschaftlicher Information im Internet. Mit OA verbunden ist der Anspruch, dass die Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung auch öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein wissenschaftliches Dokument, das unter OA-Bedingungen publiziert wird, kann also entgeltfrei gelesen, heruntergeladen, gespeichert, verlinkt und ausgedruckt werden. Es handelt sich dabei um Beiträge in elektronischen Zeitschriften, um Preprints oder Onlineversionen von Beiträgen (Postprints) und um Bücher, die, ebenfalls kostenfrei, auf Servern von elektronischen Zeitschriften, in universitären und institutionellen Archiven und auf privaten Websites zur Verfügung gestellt werden. Auch hinsichtlich der AutorInnenrechte bietet OA Vorteile: Im Gegensatz zu klassischen Journalen, in denen die AutorInnen die Verwertungsrechte meist an den Verlag übertragen müssen, verbleiben diese bei OA-Publishing zumeist bei den AutorInnen.

Geschäftsmodelle: Auch beim digitalen Veröffentlichen von Dokumenten entstehen naturgemäß Kosten, für deren Finanzierung gibt es unterschiedliche Modelle: Eine große Zahl der OA-Zeitschriften verlangt von den Autoren Publikationsgebühren, sog. Article Processing Charge (APC), das Geschäftsmodell wird als „Autor-zahlt-Modell“ (engl. „author pays model“) bezeichnet; die Gebühren liegen allerdings zumeist unter 50 % jener konventioneller Zeitschriften. Etliche Förderorganisationen ermutigen bzw. verpflichten nun ihre Wissenschaftler zum OA-Publizieren, dafür übernehmen sie teilweise oder ganz die Veröffentlichungsgebühren, womit die Etats der Arbeitsgruppen und Institute nicht oder weniger stark belastet werden.
Zumeist zahlen Forschungsinstitutionen oder deren Bibliotheken den Verlagen eine Jahresgebühr, um ihren WissenschaftlerInnen die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen in einem OA-Journal kostenfrei bzw. vergünstigt zu ermöglichen (sog. institutionelle Mitgliedschaft). Die MedUni Wien hat zum Beispiel Abkommen mit dem Springer-Verlag und dem Wiley-Verlag.

Nun die schlechte Nachricht: Predatory Open Access

Open Access könnte also die ideale Lösung für die Distribution von Wissen sein, wären da nicht die sog. Raubtierverlage („Predatory Publishers“), die Autoren und Lesern mit unredlichen Mitteln Professionalität und Reputation vortäuschen. Deren Geschäftsmodell beruht auf dem Umstand, dass der Markt für wissenschaftliche Fachpublikationen durch die paradoxe Situation gekennzeichnet ist, dass der Druck, zu veröffentlichen, wesentlich größer ist als die Nachfrage nach Veröffentlichungen; es wird also wesentlich mehr Wissen produziert als tatsächlich „benötigt“. Die Raubtierverlage machen sich diesen Umstand zunutze und verdienen gutes Geld bei den Autoren durch die Publikation einerseits von tendenziell irrelevanten Artikeln und andererseits auch von Fake-Science. Ein lohnendes Geschäft: Gegen Zahlung hoher Gebühren, werden in über das Internet verfügbaren Journalen, die von Unternehmen aus Südostasien, der Golfregion, Afrika, der Türkei oder auch Aserbaidschan herausgegeben werden, „Forschungsergebnisse“ publiziert. Es wird zwar behauptet, dass diese vor der Veröffentlichung erfahrenen WissenschaftlerInnen zur Prüfung vorgelegt, also einem Peer-Review-Prozess unterzogen werden, das geschieht jedoch (zumeist) nicht, nach Bezahlung erfolgt die Publikation oft binnen weniger Tage. Bei Veröffentlichungen in solchen Journalen handelt es sich nicht zwingend um Fake-Science, oft ist es schlicht nur sog. Forschungsmüll, der in einem anerkannten Publikationsorgan keine Chance hätte. Kritischer ist allerdings die Publikation von Fake-Science, wenn z. B. Klimawandel-Skeptiker ihre umstrittenen Thesen in diesen Zeitschriften veröffentlichen oder umstrittene Mittel gegen Krebs, Autismus und Parkinson von dubiosen Firmen mit ungeprüften Studien beworben und verkauft werden; Experten sprechen von einem Desaster für die Wissenschaft.
Das Publikationsvolumen von Raubzeitschriften ist in den letzten Jahren explodiert, es werden mehr als eine halbe Million Artikel von über 1.000 Verlagen in 12.000 aktiven Zeitschriften herausgegeben.
Predatory Publishers zeichnen sich durch Reihe von Merkmalen aus, die der „Raubtierjäger“ Jeffrey Beall, Bibliothekar an der University of Colorado in Denver, anhand von 48 Indikatoren im Jahre 2010 zusammengestellt hat. Bealls akribische Nachforschungen haben mittlerweile so große Bedeutung erlangt, dass im März diesen Jahres ein Beitrag unter dem Titel „The dark side of publishing“ in „Nature“1 erschienen ist.
Hilfreich bei der qualitativen Bewertung von OA-Zeitschriften ist das Directory of Open Access Journals, sozusagen eine Art Weißbuch von Zeitschriften, die nachweisbar eine transparente Qualitätskontrolle durchführen.

Fake Science Conference Industry (Junk- oder Predatory­ Conferences): Das Phänomen der Predatory Conferences ist schnell abgehandelt. Täglich bekommen wir E-Mails mit der Ankündigung von spannend klingenden Konferenzen in attraktiven Destinationen weltweit. Auf den Homepages der einzelnen Veranstalter finden sich dabei Hunderte Kongressankündigungen zu Dutzenden völlig verschiedenen Themen. Tatsächlich werden dann an einem einzigen Veranstaltungsort innerhalb von 1–2 Tagen zu all den Themen „Konferenzen“ abgehalten, auf denen man, insofern die Tagungsgebühr (beträgt zumeist mehrere 100 Dollar oder Euro) bezahlt wurde, einen Vortrag halten kann. Nicht selten finden dann allerdings diese Konferenzen nicht statt und das Geld ist weg. Wenn das Meeting aber tatsächlich stattfindet, gibt es kaum TeilnehmerInnen und auch kein richtiges Programm. In einem Selbstversuch hat „ORF Science“ für eine dieser Konferenzen im Juni 2018 in Wien einen sinnbefreiten Vortrag eingereicht und ist, nach Erstattung einer Anmeldegebühr von EUR 500,–, akzeptiert worden (in Wien). Viele der Einladungen zu solchen Konferenzen sind allerdings, obwohl Namen und Titel genutzt werden, die hohe Ähnlichkeit mit Konferenzen etablierter wissenschaftlicher Organisationen haben, und angesehene WissenschaftlerInnen ohne deren Wissen als Mitveranstalter und Vorsitzende angekündigt werden, ohnedies leicht als Spam zu erkennen.
Selbstverständlich hat das alles mit Wissenschaft rein gar nichts zu tun, allerdings auch das Geschäftsmodell der ­Fake-Konferenzen scheint gut zu funktionieren. Entsprechend der Recherche des eingangs angeführten Konsortiums haben zumindest 400.000 „ForscherInnen“, weltweit an solchen Konferenzen teilgenommen – es dürfte sich bei vielen um „Stammgäste von Städtereisen“ handeln –, und es wurden hunderte Millionen Euro an die Veranstalter überwiesen.

Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege,

in Zeiten von Fake-News gehört die Wissenschaft wohl noch zu den Bereichen unseres Lebens, die Orientierung geben, nicht zuletzt, da sich die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen in seriösen wissenschaftlichen Journalen und Vorträge auf wissenschaftlichen Konferenzen einem kritischen Diskurs stellen müssen. All dies scheint nun offenbar, entsprechend der eingangs zitierten investigativen Recherche gefährdet und dazu angetan, das Vertrauen der Allgemeinheit in die Wissenschaft, das ohnedies zunehmend „relativiert“ wird, noch weiter in Frage zu stellen. Zur Entwarnung lässt sich allerdings feststellen, dass es sich, entsprechend einer Analyse der „Neuen Zürcher Zeitung“ (NZZ) – es wurden die Publikationen von 1.000 ForscherInnen berücksichtigt –, von einem Phänomen handelt, das im Promillebereich angesiedelt ist. Auch hat eine Überprüfung der vom FWF unterstützten Projekte (zwischen 2013 und 2017) ergeben, dass in diesem Zeitraum, bei Förderungen im Gesamtwert von 17,6 Mio. Euro, exakt 10 Publikationen, gefördert mit 14.000 Euro, in einem „übel beleumundeten Portal“ erschienen sind; das entspricht einem Anteil von 0,08 %. In all diesen Fällen handelte es sich allerdings nicht um Fake-Science, also nicht um wissenschaftlich bedenkliche Publikationen, sondern schlicht und einfach um drittklassige Arbeiten.

PS: Noch ein Hinweis: Sollten Zweifel bezüglich des Herausgebers eines Publikationsorganes bzw. der Seriosität eines Kongressveranstalters bestehen, so gibt es einen ganz einfachen Weg zur Orientierung: Googeln Sie einfach den Namen des Unternehmens mit den Zusatz Fraud (eng. Betrug/Schwindel), so hilft Wikipedia weiter. Zum Beispiel World Academy of Science, Engineering and Technology (WASET)/Fraud oder OMICS/Fraud etc.

 

1 Butler D., Nature 2013; 495 (7442): 433–5; doi: 10.1038/495433a