Große Belastung für die Intensivmedizin

  • Gesundheitspolitische (Vermeidung von Menschenansammlungen) und
    hygienetechnische Maßnahmen (Mund-Nasen-Maske, Hände waschen und
    Abstand halten) sind essenziell zur Entschleunigung der COVID-19-Pandemie.
  • Die Gabe von Kortikosteroiden verringert die Mortalität bei schwerem COVID-19.
  • Die Behandlung des einzelnen Individuums ist auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie den ethischen Grundprinzipien der Patientenautonomie, Schadensvermeidung, Fürsorge und Gerechtigkeit verpflichtet.

Medizinische Herausforderung

Während die große Mehrheit der Infizierten mit SARS-CoV-2 milde Symptome und einen komplikationslosen Krankheitsverlauf hat, kommt es bei ca. 1 % der Erkrankten mit COVID-19 zu einem Lungen- bzw. Mehrorganversagen, welches eine intensivmedizinische Behandlung notwendig macht.1 Die entscheidenden Determinanten für den Schweregrad der Erkrankung scheinen dabei primär in Wirtsfaktoren und nicht in genetischen Variationen des Virus zu liegen.2 Risikofaktoren für einen schweren Krankheitsverlauf sind beispielsweise Alter, männliches Geschlecht, Adipositas, kardiopulmonale Vorerkrankungen, aber auch bestimmte genetische Variationen des Wirtes, die unter anderem die immunologische Sy­napse zwischen T-Lymphozyten und antigenpräsentierenden Zellen beeinflussen.3

Die intensivmedizinische Therapie beruht dabei primär auf supportiven Maßnahmen mit mechanischer Ventilation, einer gezielten Behandlung etwaiger bakterieller und fungaler Superinfektionen4, insbesondere aber auch auf einer Gabe von Kortikosteroiden, die offensichtlich die Mortalität bei schwerer COVID-19 senken kann.5 Da die Virus-Clearance bei kritisch kranken Patienten auf der Intensivstation ähnlich wie bei schweren Influenza-Pneumonien verzögert ist und im Einzelfall bis zu 7 Wochen betragen kann,6 kommt es durch diese Erkrankung – wie in der und vermutlich parallel zur Influenzasaison – zu einer massiven Mehrbelastung der Intensivstationen. Interessant ist dabei, dass COVID-19 oft zweizeitig verläuft und dass es erst ca. 7 Tage nach Krankheitsbeginn zu einer späten hyperinflammatorischen Reaktion mit Multiorganversagen kommt, die in manchen Aspekten der sekundären hämophagozytischen Lymphohistiozytose gleicht.3, 7 Eine gezielte Behandlung von COVID-19 gibt es bisher noch nicht und wird es – nach derzeitigem Wissensstand – erst mit der Impfung gegen SARS-CoV-2 nächstes Jahr für breite Schichten der Bevölkerung geben. Bis dahin ist weiter mit einer sehr hohen Auslastung der Intensivstationen zu rechnen.

Ressourcenknappheit

Zur Vermeidung von Ressourcenknappheit während der COVID-19-Pandemie sind gesundheitspolitische und hygienetechnische Maßnahmenbündel essenziell. Gesundheitspolitische Maßnahmen auf nationaler/gesellschaftlicher Ebene dienen der Entschleunigung der Pandemie („flattening the curve“) und beinhalten Mund-Nasen-Maske, häufiges Händewaschen, Abstandhalten sowie das Vermeiden von Menschenansammlungen. Sie müssen durch krankenhaushygienetechnische Maßnahmen innerhalb des Gesundheitssystems ergänzt werden. Dazu gehören die Trennung von Behandlungspfaden für SARS-CoV-2-positive und SARS-CoV-2-negative Patienten, tägliche Erhebungen der Bettenkapazität und der Personalausfälle in neuralgischen Versorgungseinheiten, um hier rasch punktgenau gegensteuern zu können. Notwendig sind insbesondere auch eine lokale sowie eine überregionale Koordination und interdisziplinäre Zusammenarbeit mit täglichen Rücksprachen zur Vermeidung von einseitigen Ressourcenengpässen und eine situationsangepasste Abstimmung mit Step-down-Einheiten, um rasche zielgerichtete (Rück )Transferierungen zu ermöglichen. Die letzten Wochen haben gezeigt, dass nicht nur die Verfügbarkeit von Intensivbetten, sondern auch die des Personals systemkritisch ist. Intensivmediziner und insbesondere das hochspezialisierte Intensivpflegepersonal stemmen gemeinsam die intensivmedizinische Behandlung von kritisch kranken COVID-19-Patienten und laufen dabei trotz aller krankenhaushygienetechnischen Vorsichtsmaßnahmen systemimmanent Gefahr, sich selbst während ihrer Arbeit mit SARS-CoV-2 zu infizieren und damit über Wochen auszufallen.

Zur Vermeidung von Ressourcenknappheit ist es aber genauso wichtig, das individuelle Therapieziel, die Indikationsstellung und den Patientenwillen für jeden einzelnen Patienten kritisch zu überprüfen. Als Prämisse gilt dabei, dass die Behandlung des einzelnen Individuums auch in Zeiten der COVID-19-Pandemie den ethischen Grundprinzipien der Patientenautonomie, Schadensvermeidung, Fürsorge und Gerechtigkeit verpflichtet ist. Dabei geht es um die Beantwortung von drei Fragen: 1) Welches individuelle Therapieziel für einen Patienten kann definiert werden? 2) Ist eine intensivmedizinische Behandlung für dieses Therapieziel notwendig/indiziert? 3) Liegt eine Einwilligung/Ablehnung des Patienten für die gegebenenfalls notwendige intensivmedizinische Therapie vor? Sieht das individuelle Therapieziel keine intensivmedizinische Behandlung vor, ist diese nicht indiziert oder wird sie vom Patienten abgelehnt, ist eine Not-Triage nicht notwendig.
In Extremfällen ethischer Dilemmata ist die Triage und Ressourcenallokation transparent in interprofessionellen Teamentscheidungen und nach Möglichkeit in Rücksprache mit dem lokalen Ethikkomitee zu begründen, zu fällen, zu dokumentieren und regelmäßig zu evaluieren. Dazu liegen aktuelle Stellungnahmen und Dokumentationshilfen der Bioethikkommission zum Umgang mit knappen Ressourcen in der Gesundheitsversorgung im Kontext der COVID-19-Pandemie vor.8, 9

Resümee

Die COVID-19-Pandemie stellt die Gesundheitssysteme weltweit vor massive medizinische und organisatorische Herausforderungen, die nur in enger interdisziplinärer und interprofessioneller Zusammenarbeit in einem überregionalen Management bewältigt werden können. Dazu sind gesundheitspolitische und flächendeckende hygienetechnische Maßnahmen essenziell.

 

Literatur:
  1. Sakurai A et al., NEJM 2020; 383:885
  2. Cantuti-Castelvetri et al., Science 2020; DOI: 10.1126/science.abd2985
  3. Kaser A et al., NEJM 2020; 383:1590
  4. Prattes J et al., Med Myc Case Rep 2020; DOI: 10.1016/j.mmcr.2020.05.001
  5. The RECOVERY Collaborative Group; NEJM 2020; DOI: 10.1056/NEJMoa2021436
  6. Gütl et al., J Infect 2020; DOI: 10.1016/j.jinf.2020.10.025
  7. Chen G et al., J Clin Invest 2020; 130:2620
  8. Druml C et al., Zum Umgang mit knappen Ressourcen in der Gesundheitsversorgung im Kontext der COVID-19-Pandemie. Stellungnahme der Bioethikkommission. Bundeskanzleramt Wien, März 2020
  9. Dutzmann J et al., Entscheidungen über die Zuteilung von Ressourcen in der Notfallmedizin im Kontext der COVID-19-Pandemie. Klinisch-ethische Empfehlungen der Deutschen interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin. Berlin, März 2020