Pulmonale arterielle Thrombosen und systemische Organbeteiligung

Österreichische prospektive klinisch-pathologische Studie:
COVID-19-Obduktionen zeigen pulmonale arterielle Thrombosen und systemische Organbeteiligung

Die rezent im Top-Journal Annals of Internal Medicine publizierten1 und mit einem Editorial gewürdigten2 Ergebnisse einer ersten größeren Serie von Obduktionen in Österreich zeigen, dass die vom Coronavirus SARS-CoV-2 ausgelöste Krankheit COVID-19 neben einem diffusen Alveolarschaden auch Thrombosen in der Lunge verursachen und in weiterer Folge auch andere Organe wie Niere, Leber und Bauchspeicheldrüse schädigen kann. Die Lymphopenie geht als Ausdruck der Virusinfektion mit einer Verminderung der Lymphozyten in Lymphknoten und Milz einher. UNIVERSUM INNERE MEDIZIN sprach mit dem Erst- und dem Letztautor der Studie – stellvertretend für das klinisch-pathologische Team, welches es sich zur Aufgabe gesetzt hatte, zu klären, welche Organe an COVID-19 beteiligt sind und woran die Patienten letztendlich sterben.

Redaktion: Dr. Melanie Spitzwieser

Die Studie
Um die pathologischen Veränderungen der Organsysteme und die klinisch-pathologische Basis für tödliche Verläufe von COVID-19 zu evaluieren, wurde an der Pathologie des Landeskrankenhauses Graz II, Standort West, in Kooperation mit den dortigen Abteilungen für Innere Medizin und Anästhesiologie der Medizinischen Universität Graz, der Johannes- Kepler-Universität Linz und der Universitätsklinik für Innere Medizin III der Medizinischen Universität Wien eine prospektive Autopsiestudie durchgeführt. Obduziert wurden 11 an COVID-19 verstorbene Patienten (medianes Alter 80,5 Jahre [Range 66–91]; 10 von 11 Patienten erhielten eine prophylaktische Antikoagulation).
An Komorbiditäten lagen typische Begleiterkrankungen wie arterielle Hypertonie, koronare Herzerkrankung, Diabetes mellitus, zerebrovaskuläre Erkrankungen und COPD vor. Es erfolgten systematische makroskopische, histopathologische und virale Analysen – mit Korrelation von pathologischen und klinischen Merkmalen, einschließlich Komorbiditäten, Komedikation und Laborwerte. Bei keinem der Patienten bestand vorab der klinische Verdacht auf eine venöse Thromboembolie. Beide Lungenflügel zeigten unterschiedliche Stadien eines diffusen Alveolarschaden (DAD), einschließlich Ödeme, hyaline Membrane und Proliferation von Pneumozyten und Fibroblasten.
Bei allen 11 Patienten wurde eine Thrombose kleiner und mittlerer Lungenarterien in unterschiedlichem Ausmaß festgestellt, und diese war bei 8 Patienten mit einem Infarkt und bei 6 Patienten mit einer Bronchopneumonie assoziiert. In der Leber konnte bei allen Patienten eine Kupffer-Zellproliferation und bei 8 Patienten eine chronische Leberstauung beobachtet werden. Weitere Veränderungen in der Leber umfassten eine Steatose, Pfortaderfibrose, lymphozytäre Infiltrate im Portalfeld und duktuläre Proliferation, eine lobuläre Cholestase und akute Leberzellnekrose sowie Zentralvenenthrombose. Weitere wichtige Befunde waren akute Schäden/Nekrosen der proximalen Nierentubuli, fokale Pankreatitiden, eine adrenokortikale Hyperplasie und eine ausgeprägte Reduktion der Lymphozyten in Lymphknoten und Milz. Virale RNA war in der Pharyngeal- und Bronchial- und zum Teil in der Kolonschleimhaut nachweisbar, jedoch nicht in der Galle.

Herausforderungen
„Wir werden oft gefragt, warum es überhaupt so lange dauert, bis erste Obduktionsergebnisse zur Verfügung stehen. Tatsächlich wurden aber ab dem 19. März 2020 im LKH Graz II Obduktionen durchgeführt und die Ergebnisse bereits ab Anfang (3.) April in klinischen Boards und Sitzungen kommuniziert. Anfänglich waren die deutschen und andere nationale Fachgesellschaften und auch das Robert-Koch-Institut (RKI) in Bezug auf Obduktionen ablehnend. Das österreichische Gesundheitsministerium hingegen hat Obduktionen nicht aktiv empfohlen, aber auch nicht davon abgeraten, und die Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Pathologie, Prim. Dr. Freibauer, hat meine proaktive Haltung stets befürwortet. Ganz wesentlich war die positive Einstellung und fachliche Unterstützung unseres Krankenhaushygienikers und Vorstandes des IKM Graz Prim. Dr. Klaus Vander“, berichtet der Erstautor der Studie, Prim. Univ.-Prof. Dr. Sigurd Lax, Vorstand des Instituts für Pathologie des Landeskrankenhauses Graz II und Professor für Pathologie an der Johannes-Kepler-Universität Linz, der jede der 11 Obduktionen selbst durchgeführt und ausgewertet hat. Obduktionen während einer Krisensituation wie der COVID-19-Pandemie und die nachgeschaltete histopathologische Aufarbeitung erfordern höchste Sicherheitsbedingungen, einen hohen Zeitaufwand und einen enormen logistischen Aufwand – so die Ausführungen. „Eine Schutzausrüstung, wie sie auch die Kliniker tragen – FFP3-Atemschutzmaske, doppelte Handschuhe, Schutzbrille, Schutzvisier, wasserdichter Mantel –, ist ein wichtiges Sicherheitskriterium, um sich bei einer Obduktion und der nachfolgenden Aufarbeitung der Proben nicht zu infizieren“, so Sigurd Lax. „Die Ergebnisse der Studie wurden in der Community unter Kollegen sehr rasch mit anschaulichem Bildmaterial kommuniziert und bezüglich der klinischen Implikationen intensiv diskutiert, also weit vor der Publikation“, betonen sowohl Lax als auch der Letztautor der Studienpublikation, Univ.-Prof. Dr. Michael Trauner, Leiter der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie mit Intensivstation 13H1, Universitätsklinik für Innere Medizin III, Medizinische Universität Wien, die Tatsache, dass sehr früh die klinische Bedeutung der Befunde erkannt wurde.

COVID-19 – eine Systemerkrankung
Lax führt an, dass es sich bei COVID-19 nicht um eine rein die Lunge schädigende Erkrankung handelt. Die Ergebnisse der Studie hätten gezeigt, dass es bei COVID-19 zwar direkt in den Lungenbläschen zu einer Entzündung kommt, die Mitreaktion in den kleinen Arterien scheint aber häufig eine Blutgerinnung auszulösen, die speziell bei Patienten mit Vorerkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems zu einer Verlangsamung der Lungendurchblutung und in der Folge zu weiteren Thrombosen in der Lunge führen kann. Somit kommt es zu einem rasch voranschreitenden Versagen der Lungenfunktion und des Kreislaufs als unmittelbare Todesursache bei COVID-19. Die bei der Obduktion entnommenen Organe wurden in Formaldehyd fixiert und systematisch aufgearbeitet.
Viele der festgestellten Veränderungen, allen voran die Lungenthrombosen, waren erst im fixierten Präparat wirklich gut sichtbar. Hätte man nicht dieses Vorgehen gewählt, wären diese Veränderungen vermutlich nicht zum Vorschein gekommen, so der Pathologe. Wie die Studienergebnisse zeigen, sind bei COVID-19 auch eine Reihe weiterer Organe wie Niere, Leber, Bauchspeicheldrüse, Nebenniere und lymphatisches System mitbetroffen. Trauner meint: „Mich als Internisten haben die breiten systemübergreifenden Auswirkungen von COVID-19 sofort fasziniert, als Gastroenterologen und Hepatologen natürlich auch die Rolle der Leber und des Gastrointestinaltraktes bei COVID-19. Denn ungeklärt ist bis dato, ob erhöhte Leberwerte als prognostisch ungünstiges Zeichen eine Begleitreaktion im Rahmen einer Entzündung, des sogenannten Zytokinsturms, sind oder ob es eine Begleithepatitis durch die SARS-CoV-2-Infektion ist. Mittlerweile ist bekannt, dass es nicht nur zu einem Zytokinsturm, sondern tatsächlich auch zur Infektion anderer Organe wie der Leber und des Gastrointestinaltraktes kommt.“ Leber und Niere sind typische Zielorgane für Folgeschäden bei kritisch kranken Patienten und auch bei schweren Verläufen von COVID-19 betroffen.
Rezente Daten zeigen, dass diese Organe auch direkt vom SARS-CoV-2-Virus infiziert werden können. Überraschend war laut Trauner, dass das Herz in der aktuellen Studie – im Gegensatz zu anderen Berichten – keine wesentlichen entzündlichen Veränderungen aufwies. Die Depletion der Lymphozyten in Lymphknoten und Milz passt zum laborbiochemischen Leitbefund der Lymphopenie und erklärt auch die Anfälligkeit der Patienten für Sekundärinfektionen.

Pulmonale Thrombose oder Embolie?
Auch andere Studien über COVID-19-Patienten, die Thrombosen in den Beinvenen mit Lungenembolien sowie Schlaganfälle erlitten haben, untermauern, dass die erhöhte Thromboseneigung bei COVID-19 weitreichende Auswirkungen hat.3–5 Derzeit wird intensiv diskutiert, ob die gehäuften Thrombose- und Embolieraten bei COVID-19 spezifisch sind oder nicht, es wurde auch bereits der Begriff der COVID-19-assoziierten Koagulopathie geprägt. „Wir wissen, dass jeder schwer kranke Patient, jeder Intensivpatient und jeder Patient mit einer schweren Entzündung eine erhöhte Thromboseneigung aufweist. Aber bei COVID-19 hat sich in unserer Studie herausgestellt, dass diese Thrombosen offensichtlich durch die Schädigung in der Lunge in den kleinsten Gefäßen beginnen und sich auf die größeren Gefäße ausweiten“, erläutern Lax und Trauner. Diese Thrombosen entstehen laut den Studienautoren typischerweise in der Lunge und werden nicht aus den Bein- und Beckenvenen in die Lunge verschleppt. Wichmann et al.3 analysierten Autopsien von 12 an COVID-19 verstorbenen Patienten. Die Autoren stellten eine hohe Inzidenz von Lungenembolien mit oder ohne zugrunde liegender tiefer Venenthrombose fest, obwohl keine venöse Thromboembolie in der Anamnese vorlag. In einem Drittel der Fälle war eine massive Lungenembolie die Todesursache. „Die von Wichmann et al.3 berichteten Ergebnisse konnten wir in unserer Studie nicht belegen. Wir glauben nicht, dass es sich um Thromboembolien handelt, die von den Beinvenen ausgehen“, so Lax, denn die intensive Aufarbeitung von weiteren 12 Fällen hat nur in einem Fall einen Hinweis auf eine tiefe Beinvenenthrombose ergeben, womit sich die Ergebnisse der ersten publizierten Serie bestätigen. Thrombosen der Lungenarterien könnten für Trauner erklären, warum bei Patienten mit COVID-19 manchmal eine sehr rapide Verschlechterung des Krankheitsverlaufes mit akutem Zusammenbruch der respiratorischen und hämodynamischen Situation zu beobachten ist. Lax meint weiters: „Thrombosen können wie bei einem Herzinfarkt und einem Schlaganfall zu einem direkten Gefäßverschluss und in Folge dessen zu einem Infarkt führen, begünstigt durch eine chronische Linksherzinsuffizienz im Rahmen der ischämischen Kardiomyopathie, welche bei vielen Pateinten vorlag.“ Das erklärt in vielen Fällen auch die Entstehung von Lungeninfarkten und Infarktpneumonien. „Um Thrombosen frühzeitig zu erkennen, ist bei schweren Verläufen von COVID-19 neben einer engmaschigen Laborüberwachung (D-Dimer) auch eine großzügigere Handhabung von umfassenderen CT-Untersuchungen mit Gefäßkontrastmittel anzudenken, sofern es die klinische Situation erlaubt“, meint Trauner. Pulmonalthrombosen oder Pulmonalembolien wurden klinisch im Rahmen von COVID-19 zunehmend vermutet, es gibt in der Zwischenzeit auch bereits Berichte über CT-Befunde6, die in diese Richtung weisen und durch die aktuelle Studie nun erhärtet werden.

Thromboseprophylaxe
Klinisch betrachtet sind jene COVID-19-Verläufe prognostisch schlechter, die Zeichen einer Gerinnungsaktivierung (erhöhtes D-Dimer) aufweisen. Welche Rolle eine medikamentöse Thromboseprophylaxe oder eine therapeutische Antikoagulation bei diesen Thrombosen einnehmen, ist noch unklar, da klinisch behandelte Patienten ohnehin eine klassische Thromboseprophylaxe (meist niedermolekulares Heparin) erhalten, diese in der publizierten Serie aber die COVID-19-typischen Thrombosen nicht verhindern konnten. Viele der Patienten in der aktuellen Studie erhielten zusätzlich auch noch Plättchenaggregationshemmer. „Die Befunde der Studie unterstützen die Forderung von Gerinnungsspezialisten nach einer großzügigen und rechtzeitigen Indikationsstellung für eine medikamentöse Thromboseprophylaxe – auch bei nichthospitalisierten Patienten“, untermauert Trauner. Weitere klinische Studien werden untersuchen müssen, ab wann und in welchem Umfang eine therapeutische Antikoagulation abhängig von Laborbefunden und Bildgebung sinnvoll ist, wobei hier sicherlich die Nebenwirkungen und Risiken im Auge behalten werden müssen. „Jetzt sind unsere Gerinnungsexperten gefragt, die Mechanismen dieser Thrombosen zu erforschen und welche neuen Therapieansätze davon abgeleitet werden können. Das Hauptaugenmerk sollte hier auf die lokalen Faktoren gelegt werden, die zur Gerinnungsaktivierung führen“, so Trauner. SARS-CoV-2 kann neben dem Zytokinsturm auch direkt eine Endothelitis7 verursachen, hier liegt die Lösung des Problems möglicherweise in antiviralen und antiinflammatorischen Ansätzen, sind sich die Studienautoren einig.

Resümee
Lax und Trauner betonen, dass es bei einer unbekannten Erkrankung eine logische Konsequenz ist, eine klinisch-pathologische Korrelation anzustellen. Die prinzipielle Fragestellung war, welche Organveränderungen sich infolge von COVID-19, vor allem bei fatalen Verläufen, ergeben und woran Patienten mit einem besonders schweren Verlauf letztendlich sterben. Obwohl die obduzierten Patienten ein hohes Alter (im Median 80,5 Jahre) und viele Komorbiditäten aufwiesen, kann klar gesagt werden, dass diese nicht die Todesursache waren. „Die Patienten sind nicht mit, sondern wegen COVID-19 verstorben“, verdeutlicht Lax. Die Untersuchung zeigt, dass zwar der diffuse Alveolarschaden an der Lunge der Ausgangspunkt der COVID-19-Erkrankung ist, aber die Folge sind häufig Thrombosen im Lungenkreislauf selbst. Zudem sind bei COVID-19 eine Reihe weiterer Organe wie Niere, Leber, Bauchspeicheldrüse, Nebenniere und lymphatisches System mitbetroffen. „Wir sehen, dass es sich bei COVID-19 um eine schwere Infektionskrankheit mit breiten systemischen Auswirkungen handelt, die den gesamten Organismus beeinträchtigen kann“, resümiert Trauner.
Zudem sei es laut den Experten noch unklar, ob es bei Überlebenden schwerer Verläufe zu Langzeitschäden der betroffenen Organe kommen kann – neben der Lunge stehen hier Niere und Leber im Zentrum des Interesses. Welche Rolle blutverdünnende Medikamente in der Prophylaxe und Therapie dieser COVID-19-assoziierten Thrombosen spielen, ist noch nicht geklärt. „Obwohl 10 der 11 autopsierten Patienten eine prophylaktische Antikoagulation erhielten, konnten die COVID-19-typischen Thrombosen nicht verhindert werden“, betont Trauner. Das klinisch-pathologische Team um Lax und Trauner ist sich einig, dass es weiterer Studien bedarf, um die systemischen und lokalen Mechanismen im Lungenkreislauf, die zu diesen Thromboseneigungen bei COVID-19 führen, aufklären zu können, um daraus neue, wirkungsvollere Therapien zu entwickeln. Zudem stellen die Ergebnisse und das Gewebsmaterial aus dieser Studie natürlich auch einen guten Ausgangspunkt für weiterführende histomorphologische, virologische und molekulare Untersuchungen dar, um die systemübergreifende Organbeteiligung bei dieser Erkrankung besser zu verstehen.

 

1    Lax SF et al., Ann Intern Med 2020; DOI: 10.7326/M20-2566

2    Deshpande C, Ann Intern Med 2020; DOI: 10.7326/M20-3255

3    Wichmann D et al., Ann Intern Med 2020; DOI: 10.7326/M20-200

4    Menter T et al., Histopathology 2020; DOI: 10.1111/his.14134

5    Oxley TJ et al., New Engl J Med 2020, DOI: 10.1056/NEJMc2009787

6    Bompard F et al., European Respiratory Journal 2020; DOI: 10.1183/13993003.01365-2020

7    Varga Z et al., Lancet 2020, DOI: 10.1016/S0140-6736(20)30937-5