COVID-19 und Typ-1-Diabetes
Publizierte Daten zeigen, dass Patienten mit Diabetes im Falle von COVID-19 eine höhere Inzidenz von respiratorischen Komplikationen und eine erhöhte Mortalität aufweisen. Bei der Mehrheit der untersuchten Personen handelte es sich jedoch um Patienten mit Typ-2-Diabetes.2 Weitgehend unbeantwortet blieb bislang jedoch die Frage, ob Patienten mit Typ-1-Diabetes eine vergleichbar erhöhte Vulnerabilität im Zusammenhang mit COVID-19 aufweisen.
Erste Daten aus den USA von Patienten mit Typ-1-Diabetes (n = 64) mit möglicher oder bestätigter COVID-19 wiesen darauf hin, dass bei 50 % der Betroffenen eine unzureichende glykämische Einstellung vorlag (medianer HbA1c 8 %). Bei über einem Drittel der Untersuchten trat eine diabetische Ketoazidose auf.3
Eine belgische Studie verglich 2.336 Personen mit Typ-1-Diabetes mit 15.239 Personen der Allgemeinbevölkerung. Die Ergebnisse zeigten kein erhöhtes Risiko für Patienten mit Typ-1-Diabetes bezüglich COVID-19-bedingter Hospitalisierung oder Mortalität.4 In einer Untersuchung aus Boston wurden schließlich die klinischen Charakteristika von Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes, die wegen COVID-19 ins Spital aufgenommen wurden, mit Typ-1-Diabetes-Patienten verglichen, die im gleichen Zeitraum aus anderen Gründen hospitalisiert wurden. Glykämische Einstellung, gewichtsbezogene Insulindosis, diabetische Folgeerkrankungen oder immunsuppressive Therapien in den Monaten vor Spitalsaufnahme unterschieden sich nicht zwischen COVID-19-positiven und COVID-19-negativen Patienten. Auffällig war hingegen ein erhöhter Anteil schwarzer Patienten nichthispanischer Abstammung in der COVID-19-positiven Gruppe.5
COVID-19 und diabetische Fußulzera
Zwei aktuelle Studien befassten sich mit dem Einfluss COVID-19-bedingter gesellschaftlicher Maßnahmen auf die Versorgungssituation von Patienten mit diabetischen Fußulzera (DFU).
In der ersten, in Italien durchgeführten Studie verglichen Caruso et al.6 25 im Jahr 2020 mit DFU ins Spital aufgenommenen Patienten mit 38 Personen, welche im Jahr 2019 wegen DFU hospitalisiert worden waren. Die beiden Gruppen unterschieden sich nicht bezüglich Alter, Diabetesdauer und HbA1c. Die Gruppe aus 2020 hatte einen signifikant höheren Albumin-Kreatinin-Quotienten im Urin. Bei den 2020 hospitalisierten Patienten zeigte sich eine signifikant höhere Prävalenz einer Gangrän (64 vs. 29 %, p = 0,009) sowie ein signifikant höherer Anteil an Patienten, bei denen eine Amputation notwendig war (60 % vs. 18 %, p = 0,001). Das Risiko für eine Amputation war bei Patienten aus dem Jahr 2020 um mehr als das Dreifache erhöht (relatives Risiko 3,26; 95%-KI: 1,55–6,84).
In der zweiten, chinesischen Untersuchung7 wurden zunächst anhand von Daten aus den Jahren 2016 bis 2019 Vorhersagen bezüglich Hospitalisierungtrends erstellt und mit dem ersten Trimester 2020 verglichen. Im Anschluss wurden die Daten von im ersten Trimester 2020 hospitalisierten Patienten mit aktiven DFUs (Gruppe A) retrospektiv mit den Daten von Patienten im korrespondierenden Zeitraum 2019 (Gruppe B) verglichen. Es zeigte sich eine signifikante Reduktion der Spitalseinweisungen in den Monaten Jänner und Februar 2020, die erst im März auf das übliche Niveau zurückgingen. Bei Erstvorstellung litten 52,3 % der Patienten aus Gruppe A gegenüber 20,7 % aus Gruppe B an einer schweren Infektion (p < 0,001). Darüber hinaus wurden signifikante Unterschiede zwischen Gruppe A und Gruppe B bezüglich des Zeitraums des von den Patienten berichteten Auftretens der DFUs bis zur medizinischen Abklärung (75 vs. 45 Tage, p = 0,001) beobachtet. Die Zeit bis zur Spitalsaufnahme war jedoch signifikant verringert. (3 vs. 7 Tage, p < 0,001). Die Rate an großen Amputationen betrug in Gruppe A 11,4 %, in Gruppe B 4,6 % (p = 0,162).
COVID-19-Infektionsrisiko und Grunderkrankung
Fang et al.8 verglichen die Daten von erwachsenen US-Amerikanern vor dem COVID-19-Ausbruch (National Health and Nutrition Examination Survey, NHANES 2017–2018) mit den Daten aus dem im Juni 2020 von den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) veröffentlichten Bericht zu Personen mit bestätigter COVID-19-Infektion hinsichtlich der Prävalenz von Diabetes, kardiovaskulären Erkrankungen, chronischen Nierenerkrankungen und COPD. Verglichen mit Erwachsenen vor der COVID-19-Pandemie (NHANES 2017–2018) zeigten COVID-19-positive Personen im CDC-Bericht eine erhöhte Prävalenz von Diabetes (31,2 vs. 12,7 %) und insbesondere COPD (17,5 vs. 4,6 %). Die Prävalenz von kardiovaskulären Erkrankungen (33,3 % vs. 52,9 %) und chronischen Nierenerkrankungen (7,9 % vs. 15,6 %) war jedoch geringer.
COVID-19 und viszerales Fett
Mit zunehmendem Body Mass Index steigt das Risiko für schwere Verläufe von COVID-19.2 Welche Rolle dabei dem viszeralen Fettgewebe zukommt, war bislang unklar.
Battisti et al.9 untersuchten in diesem Zusammenhang die Assoziation zwischen viszeralem Fettgewebe (VAT) bzw. dem Verhältnis von subkutanem Fettgewebe (SAT) zu VAT und der COVID-19-assoziertem Transferierung auf die Intensivstation. Untersucht wurden 441 konsekutive Patienten, die an einer Notfallstation aufgenommen worden waren. Von diesen Patienten hatten 144 sowohl eine mittels PCR-Test bestätigte COVID-19 als auch eine mit hochauflösender Computertomografie (HR-CT) diagnostizierte Pneumonie. 42 % dieser Patienten wurden auf die Intensivstation transferiert (COVID-19-ICU-Gruppe). Als Kontrollgruppe dienten 136 COVID-19-negative Patienten ohne Pneumonie. VAT wurde mittels HR-CT gemessen und die VAT-Dicke als größter Abstand zwischen Innenseite der Muskelwand und der vorderen Leberoberfläche definiert. Zwischen COVID-19-positiven und -negativen Patienten bestand kein Unterschied hinsichtlich Alter und BMI. Innerhalb der COVID-19-positiven Patienten war der BMI bei jenen Patienten höher, die auf die Intensivstation verlegt wurden als bei jenen ohne Intensivbehandlung. Personen mit COVID-19 hatten eine höhere VAT-Dicke als Patienten ohne COVID-19. Der Unterschied wurde durch die COVID-19-ICU-Gruppe hervorgerufen. Eine Aufnahme auf die Intensivstation war mit einer um 30 % höherem VAT (p < 0,001) und um 30 % geringerem SAT (p < 0,011) assoziiert. Die VAT-Dicke war mit einem für Alter, Geschlecht und BMI adjustierten, erhöhten Risiko für eine ICU-Aufnahme assoziiert (Odds Ratio [OR] pro mm Zunahme: 1,16; 95%-KI: 1,07–1,26; p < 0,0001). Gleiches wurde für das Verhältnis VAT/SAT beobachtet (OR pro 20 % Zunahme: 1,25; 95%-KI: 1,10–1,42; p < 0,0001).
COVID-19 und Renin-Angiotensin-System
Um an den Zielzellen anzudocken, nutzt SARS-CoV-2 den Angiotensin-converting-Enzyme-2-(ACE2-)Rezeptor, der sich auf Endothelzellen, Zellen der Lungen und des Herzens, im Darm, in der Niere sowie in geringerem Ausmaß an Hepatozyten findet.
Um einen möglichen Einfluss der Hyperglykämie auf die Aktivierung des Renin-Angiotensin-Systems (RAS) zu überprüfen, führten Moine et al.10 einen einstündigen hyperinsulinämischen, euglykämischen Clamp an Personen mit Typ-2-Diabetes und Kontrollpersonen durch. Bei Personen mit Typ-2-Diabetes lag der Baseline-Glukosespiegel bei 136,8 mg/dl und wurde im Rahmen des Insulin-Clamps auf 81 mg/dl gesenkt. Bei den Kontrollpersonen wurde der Glukosespiegel bei 88,2 mg/dl konstant gehalten. Personen mit Typ-2-Diabetes hatten zu Baseline als Ausdruck einer verstärkten RAS-Aktivierung einen signifikant höheren Renin- und einen signifikant geringeren Angiotensinogen-Spiegel. Bezüglich ACE2 bestand kein Unterschied zwischen den Gruppen. Die akute Normalisierung der Hyperglykämie durch Insulin hatte keinen Einfluss auf die Spiegel der RAS-Proteine. Eine Stratifizierung nach BMI oder Einnahme/Nichteinnahme von ACE-Inhibitoren zeigte weder zu Baseline noch nach dem Clamp einen Zusammenhang mit den RAS-Proteinen.
Soldo et al.11 untersuchten die hepatische ACE2-mRNA-Expression in Leberbiopsien bei 165 Personen europäischer Abstammung, darunter 31 Patienten mit Typ-2-Diabetes. Die hepatische ACE2-mRNA-Expression war bei Männern signifikant höher als bei Frauen (p = 0,024). Eine signifikante Korrelation bestand auch mit zunehmendem Lebensalter (p = 0,011; r = 0,197). Zwischen ACE2-Expression und Adipositas bestand keine Verbindung. Dagegen stieg die ACE2-Expression mit zunehmender, hepatischer Fettakkumulation an (p = 0,002; r = 0,239). Diese Beziehung blieb auch nach Adjustierung für Alter, Geschlecht und BMI signifikant (p = 0,0028). Patienten mit Diabetes wiesen eine signifikant höhere ACE2-Expression auf als Personen ohne Diabetes.
COVID-19 und Hyperglykämie
Adipositas, männliches Geschlecht, kardiale, renale oder pulmonale Erkrankungen stellen Risikofaktoren für die Progression von COVID-19 dar, die nicht oder nur schwer modifizierbar sind. Die Hyperglykämie sowohl vor als auch nach der klinischen Manifestation von COVID-19 könnte hingegen einen modifizierbaren Risikofaktor darstellen. Agarwal et al.12 untersuchten 1.126 Personen mit Diabetes, die aufgrund von COVID-19 hospitalisiert worden waren, hinsichtlich der Assoziation zwischen glykämischer Einstellung vor Spitalsaufnahme und Mortalität. Die Studie bestätigte Alter, männliches Geschlecht, Insulintherapie (möglicherweise als Indikator einer längeren Diabetesdauer) und den BMI als Risikofaktoren. Zwischen HbA1c-Werten bei Aufnahme oder in den vorangegangenen 3 Jahren und der Mortalität bestand jedoch keine Assoziation.
Im Gegensatz zur soeben erwähnten Studie untersuchten Coppelli et al.13 den Zusammenhang zwischen den aktuellen Glukosewerten bei Spitalsaufnahme und der Mortalität im Krankenhaus. Die Patienten wurden unterteilt in Patienten mit Normoglykämie (Median: 5,99 mmol/l), Patienten mit Hyperglykämie ohne bekannten Diabetes (Median: 8,57 mmol/l) und Patienten mit Diabetes mellitus (Median: 9,18 mmol/l). Im Vergleich mit der Mortalität bei normoglykämischen Patienten (16,8 %) war die Mortalität bei Patienten mit Hyperglykämie ohne bekannten Diabetes (39,4 %) signifikant erhöht (HR: 2,196; 95%-KI: 1-27–3,81; p = 0,005). Bei Patienten mit Diabetes war die Moralität (28,6 %) gegenüber der normoglykämischen Gruppe nur marginal erhöht (HR 1,73; 95%-KI: 0,92–3,25; p = 0,086). Im multivariablen Modell erwies sich die Hyperglykämie über die gesamte Studienpopulation hinweg als starker und unabhängiger Prädiktor für die Mortalität.
Sardu et al.14 untersuchten in einer kleinen Studie (n = 59) normoglykämische und hyperglykämische Patienten (mit und ohne Diabetes) mit COVID-19 bezüglich der Entwicklung schwerer Verläufe (ICU-Transfer, mechanische Beatmung oder Tod). Bei den hyperglykämischen Patienten (n = 25) wurde eine kontinuierliche Insulininfusion mit einer Basis-Bolus-Therapie verglichen. Ziel war es, den Glukosewert zwischen 7,77 mmol/l und 9,99 mmol/l zu halten. In der Cox-Regressionsanalyse hatten sowohl Patienten nur mit Hyperglykämie als auch jene mit Diabetes ein höheres Risiko für schwere Krankheitsverläufe als jene mit Normoglykämie und jene ohne Diabetes. Bei den hyperglykämischen Patienten (mit oder ohne Diabetes) hatten jene unter kontinuierlicher Insulininfusion ein geringeres Risiko für schwere Verläufe (inklusive erhöhter Mortalität). Erste Pilotstudien zur Anwendung von CGM bei COVID-19-Patienten zeigen Verbesserungen der Glykämie, belegen aber auch Erhöhung von Zeitaufwand und Kosten.15, 16