COVID-19-Impfung – lohnt es sich?

C-R-A-B in Zeiten der COVID-19-Pandemie mal anders ausgedrückt: Corona, Abstands-Regeln, Antikörper, Booster-Impfung. Im Dezember 2020 wurden die ersten Impfungen in Österreich verabreicht, man hoffte, damit ein Ende der Pandemie herbeiführen zu können. Das Virus hat sich verändert und nun, gut ein Jahr später, müssen wir uns eingestehen, dass dieses Virus weiterhin unseren Alltag, zumindest zu einem gewissen Teil, dominiert.

Hintergrund

Patienten mit multiplem Myelom (MM) sind nicht nur wegen der zugrunde liegenden eingeschränkten Immunität anfälliger für Infektionen im Allgemeinen, sondern viele der Patienten erhalten auch immunmodulatorische Therapien, die eine weitere Dysregulation des Immunsystems bedingen. Intrinsisch ist aufgrund des MM-Klons die B-Zell-Expansion eingeschränkt, außerdem ist die Immunglobulinproduktion suboptimal. Therapeutisch stellen anti-CD38-basierende Therapien, anti-SLAM7-monoklonale Antikörper als auch neue, auf BCMA abzielende Therapien eine Herausforderung bezüglich Infektionen und Prävention von Infektionen dar. Im Allgemeinen kommt es durch Myelomtherapien somit zu einer Beeinträchtigung, sowohl der angeborenen, als auch der adaptiven Immunität.
Schnell haben wir gelernt, dass hämatologische und onkologische Patienten im Allgemeinen und Patienten mit lymphatischen Erkrankungen und MM im Speziellen eine Population mit Risiko für einen schweren Verlauf bei Erkrankung mit COVID-19 darstellen.1–3 Initiativen haben es möglich gemacht, dass betroffene Patienten prioritär Zugang zu einer Impfung bekommen haben. Zulassungsstudien haben Patienten mit einer malignen Grunderkrankung nicht untersucht, somit war zum damaligen Zeitpunkt noch unklar, welchen Effekt eine Impfung bei diesen Patienten hat. Im Folgenden soll der aktuelle Wissensstand bezüglich der Impfung bei Patienten mit MM genauer dargestellt werden.

Impfantwort und Einfluss der Therapien

In allen Impfstudien, die das Impfansprechen bei Patienten mit MM im Fokus hatten, stellte sich heraus, dass es nach der 1. Impfung bei nur einem geringen Teil (je nach Studie und Definition des Ansprechens 20–56 %) der MM-Patienten zu einer suffizienten Antikörperproduktion kommt.4–6 Nach der 2. Dosis hingegen kann dieses Ansprechen signifikant erhöht werden, je nach Studie auf bis zu über 90 %.7–11 Es kommt also zu einem verspäteten Schutz im Vergleich zur Normalbevölkerung, bis zur Vollimmunisierung sollten die Patienten somit weiterhin alle Schutzmaßnahmen wie „Nicht-Geimpfte“ einhalten. Eine Ausnahme stellen jedoch Patienten mit MGUS dar, hier scheint das Impfansprechen vergleichbar zu sein mit jenem der Normalbevölkerung. Hingegen scheint es, dass Patienten mit „smoldering myeloma“ bereits ein Risiko haben, schlechter auf die Impfung anzusprechen.12, 13

Eine durchgemachte COVID-19-Infektion vor der Impfung führte zu einem robusteren Impfansprechen mit bis zu 10x höheren Antikörpertitern.8, 13–15 Ebenso gibt es Daten, dass eine durchgemachte Infektion (ohne vorherige Impfung) im Vergleich zu zwei Impfungen mit dem mRNA-Impfstoff Comirnaty (BioNTech, Pfizer) bei Patienten mit MM vermehrt zu einer neutralisierenden Antikörperproduktion führt.16 Eine longitudinale Analyse mit Detektion von Antiköpern nach 1 und 3 Monaten im Vergleich zu gesunden Probanden hat gezeigt, dass die Langlebigkeit der Antikörper bei Patienten mit MM geringer ist.9 Letzteres zeigt auf, dass bei diesen Patienten ggf. engere Abstände bzw. häufigeres Impfen sinnvoll sein könnte. Dies wäre ähnlich wie bei der Influenzaimpfung, wo man zeigen konnte, dass zusätzliche Dosen und ein optimales „Timing“ von großer Bedeutung zur Bildung einer adäquaten Impfantwort sind.17

Zur Auswirkung einer 3. Dosis ist bisher noch wenig bekannt. Anhand einer kleinen Fallzahl (n=15) wurde rezent publiziert, dass eine 3. Dosis zu einem weiteren Anstieg des Antikörpertiters führt.18 Henriquez et al. haben einen Teil der anti-CD-38-therapierten Patienten mit einer 3. Impfung 21 Tage nach der 2. Impfung geboostert. Es kam hierbei zu einem Anstieg des Antikörpertiters, jedoch die Bildung neutralisierender Antikörper gegen die Alpha- oder die Delta-Variante blieb aus.10 Diese Beobachtung zeigt, dass die Bildung von IgG-anti-Spike-Antikörpern nicht automatisch mit der Bildung von neutralisierenden Antikörpern einhergeht, die jedoch zum Schutz vor einer Infektion nötig sind. Letztere Beobachtung zeigt auf, dass die Messung von Anti-Spike-Antikörpern alleine nur einen eingeschränkten prädiktiven Wert in Bezug auf den Schutz vor Infektion bedeutet und weitere Studien mit höheren Fallzahlen benötigt werden.

Mit immer neu aufkommenden Mutationen haben sich Studien auch mit der Effektivität der Impfung bezüglich der einzelnen Varianten beschäftigt. Mittels eines Neutralisationstests wurde in der prospektiven CAPTURE-Studie die Bildung von neutralisierenden Antikörpern bei MM-Patienten, die zwei Impfdosen (Vaxzevria, AstraZeneca) oder Comirnaty (BioNTech, Pfizer)) erhielten, untersucht. Während bei 89 % neutralisierende Antikörper gegen die Wildtyp- Variante festgestellt wurden, fiel dieser Prozentsatz auf 53 % hinsichtlich der Alpha- bzw. auf 32 % bei der Delta-Variante.19 In einer weiteren Studie wurden vergleichbare Zahlen publiziert (51 % für die Alpha-Variante bzw. 41 % für die Delta-Variante).10 Bezüglich des verwendeten Impfstoffes konnte in der CAPTURE-Studie kein Unterschied abhängig vom Impfstoff Comirnaty (BioNTech, Pfizer) vs. Vaxzevria (AstraZeneca) festgestellt werden.19 In einer anderen Studie, in welcher die beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty (BioNTech, Pfizer) und Spikevax (Moderna) verwendet wurden, stellte sich heraus, dass Spikevax sowohl zu einem höheren Ansprechen im Allgemeinen führt als auch zu höheren Antikörper-Levels, sowohl nach der 1. als auch nach der 2. Dosis.6

Wiederkehrende Risikofaktoren für das Nichtansprechen in den bisher publizierten Studien stellen hohes Alter, eingeschränkte Nierenfunktion, Lymphopenie, Hypoglobulinämie bzw. Immunglobulinsubstitutionen, eine fortgeschrittene Therapielinie, Hochrisiko-Zytogenetik sowie eine unbeherrschte Erkrankung dar.5, 6, 9, 11 Männliches Geschlecht konnte auch vereinzelt als negativer Faktor eruiert werden.15 Bezüglich der spezifischen Therapien wurden negative Assoziationen zwischen anti-CD-38- und BCMA-gerichteten Therapien und der Bildung von neutralisierenden Antikörpern gezeigt. Hingegen hatten MM-Patienten mit laufender Lenalidomid-(Erhaltungs-)Therapie und/oder einer Therapie mit Proteasom-Inhibitoren ein vergleichbar gutes Ansprechen wie Patienten, die therapiefrei waren.8, 11, 12, 20 Eine Analyse von Patienten unter Daratumumab-Therapie hat gezeigt, dass die Titerhöhe von der Häufigkeit der Daratumumab-Gaben abhängig ist. Infusionen öfter als 1x/Monat waren mit niedrigeren Titern vergesellschaftet als monatliche Gaben.20 Beobachtungen zufolge kam es bei einer Patientin, die unter Therapie mit Daratumumab stand, initial nach 1 bzw. 3 Monaten zu keinem detektierbaren Ansprechen auf die Impfung. In einer erneuten Messung nach 6 Monaten, nachdem Daratumumab 3 Monate nicht mehr verabreicht worden war, konnte schließlich ein Titer nachgewiesen werden. Ein Pausieren der Therapie, vorausgesetzt die Krankheitsaktivität lässt dies zu, scheint somit vielleicht eine Strategie in der Zukunft zu sein.9 Vorangegangene Hochdosis-Melphalan-Therapie und anschließende autologe Stammzelltransplantation (ASCT) stellen hingegen keinen Risikofaktor dar, insbesondere nicht, wenn die ASCT die letzte Therapie darstellt.9, 20–22

Ist die Impfung für MM-Patienten sicher?

In allen bisher publizierten Studien wurden keine vermehrten schweren Nebenwirkungen, welche nicht auch in der Allgemeinbevölkerung registriert wurden, festgestellt.7, 11, 12 Schmerzen im Bereich der Einstichstelle, Müdigkeit, Kopfschmerzen, Fieber, Lymphadenopathie, Muskelschmerzen und Arthralgien im Bereich der Schweregrade 1–2 sind die am häufigsten dokumentierten Nebenwirkungen. Es konnte bezüglich des Auftretens von Nebenwirkungen auch kein Zusammenhang mit einer laufenden bzw. vorangegangenen Therapie festgestellt werden.

Schützt die Impfung vor Infektion und schweren Verläufen?

Multiple Studien haben gezeigt, dass Patienten mit MM im Falle einer COVID-19-Infektion oftmals hospitalisiert werden müssen und öfters schwere Verläufe haben, einhergehend mit einer erhöhten Mortalität. Auf Basis dieser Daten lautete die Empfehlung der International Myeloma Society, alle MM-Patienten zu impfen. Ein gutes Jahr später haben wir die beschriebenen detaillierten Daten bezüglich des Ansprechens auf die Impfung, aber hat sich dies auch positiv auf den Verlauf ausgewirkt? Pagano et al. haben im Rahmen der EPICOVIDEHA-Studiengruppe SARS-CoV-2-Infektionen bei geimpften Personen mit hämatologischen Erkrankungen untersucht und konnten zeigen, dass sich die Gesamtmortalität durch die Impfung deutlich verringert (ca. 31 %), jedoch weiterhin mit 12,4 % höher als in der Normalbevölkerung ist. Von den hierbei 113 analysierten Patienten hatten 20 ein MM, nach 30 Tagen Follow-up kam es nur zu einem Todesfall in der MM-Subgruppe.23 Bedenkt man die Sterblichkeitsrate von 27–57 % bei nicht geimpften MM-Patienten, zeigt dies deutlich die Effektivität und den Nutzen der Impfung auf.3

Eine Datenanalyse aus den USA zeigte, dass es bei vollimmunisierten MM-Patienten verglichen mit der Normalbevölkerung zu vermehrten Durchbruchinfektionen (15,4 % vs. 3,9 %) kommt, verbunden mit einer höheren Hospitalisierungsrate. In dieser Studie wurde jedoch auf das Impfansprechen und darauf, ob Patienten, bei welchen es zu einer Infektion gekommen ist, ein fehlendes Ansprechen auf die Impfung hatten, nicht eingegangen.24 Vereinzelt werden Durchbruchinfektionen im Rahmen von den oben zitierten Impfstudien innerhalb des Beobachtungszeitraumes berichtet. In der Studie von Van Oekelen et al. werden 10 COVID-19-Infektionen im Beobachtungszeitraum (median 122 Tage nach der 1. Dosis) berichtet, die jeweils keine Anti-Spike-Antikörper gebildet hatten.8

Unklar bleibt …

Eine zentrale, bisher unbeantwortete Frage bleibt weiterhin: Was können wir Patienten anbieten, die keinen Titer aufbauen? Neben den allgemeinen Hygienemaßnahmen (Maske tragen, Abstand halten, regelmäßiges Händewaschen etc.) wird die Verwendung verschiedener Impfstoffe und auch verschiedener Applikationswege (intramuskulär, nasal, oral), um häufigere Impfungen zu ermöglichen, diskutiert.25 Offen bleibt jedoch, ob solche Strategien bei MM-Patienten, welche keine Immunität durch die bisherigen Impfstoffe entwickeln, zu einem besseren Ansprechen führen.26 Immer wieder diskutiert wird auch ein Absetzen von laufenden Therapien, insbesondere der CD38-basierten Antikörpertherapie. Hierbei gilt es, individuelle Entscheidungen zu treffen, aktuell gibt es keine Leitlinien bezüglich der empfohlenen Dauer der Pause bzw. des Zeitpunkts der Impfungen in der Therapiepause. Bezüglich Daratumumab gibt es Daten, dass es nach einem Abstand von 2 Monaten zwischen der letzten Therapie und Impfung bezüglich Haemophilus influenzae B, Influenza und Streptococcus pneumoniae zu einer suffizienten Antikörperproduktion gekommen ist.27 Ob sich ein solches Schema auch auf die COVID-19-Impfung anwenden lässt, muss untersucht werden.

Des Weiteren ist es wichtig, zu beachten, dass die in den Studien am meisten gemessene und angewendete Anti-Spike-Titer-Bestimmung alleine nur eine eingeschränkte Bedeutung bezüglich eines Schutzes hat. Wie bereits oben erwähnt gilt es, die Bildung neutralisierender Antikörper und auch die zelluläre Immunantwort zu beachten. Hierzu gibt es aktuell nur vereinzelt kleine Studien. Publizierte Daten zur aktuell vorherrschenden Omikron-Variante gibt es bisher noch keine. Insbesondere, ob es auch bei MM-Patienten zu einem milderen Verlauf kommt, ist von hoher Relevanz.

Beim Anblick der gezeigten Grafiken zu den aktuellen Infektionszahlen besteht, mit ein bisschen Fantasie, eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Elektrophorese. Es scheint aktuell (Stand 03/22), dass die Spitze des M-Gradienten noch nicht erreicht ist. Umso mehr gilt es, Patienten bestmöglich vor einer Infektion zu schützen und bezüglich der Impfung aufzuklären.