EHA 2019 – Neue Entwicklungen beim Multiplen Myelom

Die Präsentationen anlässlich des 24. Kongresses der European Haematology Association (EHA) reflektieren den rasanten Fortschritt in der Behandlung des multiplen Myeloms. So wurden in den letzten 15 Jahren zehn neue Medikamente für die Therapie zugelassen, die naturgemäß bei Patienten mit verschiedenen Charakteristika, Vortherapien und in verschiedenen Kombinationen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Verträglichkeit sorgfältig untersucht werden müssen. Der letzte Teil der genannten Zeitspanne wurde von der Einführung biologischer Therapien, allen voran von monoklonalen Antikörpern und der Entwicklung zellulärer Immuntherapien, geprägt. Im Weiteren wird eine subjektive Selektion interessanter Studien vorgestellt.

Hochrisiko-Smoldering MM (HR SMM)

Marivi Mateos berichtete über aktualisierte Ergebnisse der CESAR-Studie, in der Patienten mit HR SMM einer aggressiven Behandlung mit KRd (4 Zyklen), gefolgt von ASCT und 4 Zyklen KRd-Konsolidierung, sowie Erhaltungsthe­rapie mit Lenalidomid und Dexamethason über zwei Jahre, behandelt wurden. Nach einer Nachbeobachtungszeit von im Median 32 Monaten sind 98 % der Patienten am Leben und 93 % ohne Progressionszeichen, die Rate an &≥ CR und MRD-Negativität beträgt 70 % bzw. 57 %. Leider hat man, wie bei mehreren anderen Studien beim SMM, verabsäumt, eine unbehandelte Kontrollgruppe mitzuführen, sodass die zentrale Frage, ob damit die Über­lebenszeit verlängert werden kann, unbeantwortet bleiben wird.

Patienten, die für eine Transplantation (TE) geeignet sind

CASSIOPEIA: In der Präsidential Session wurden die Ergebnisse der CASSIOPEIA-Studie, die Daratumumab + VTd mit VTd vor und nach ASCT verglichen hat, vorgestellt. In einer zweiten Randomisierung wurden die Patienten einer Gruppe mit Daratumumab-Erhaltungstherapie bzw. einer unbehandelten Kontrollgruppe zugewiesen. Die Dara­tu­-m­umab-Kom­bination mit VTd war der VTd-Gruppe ­­in Hinblick auf Ansprech­rate (93 % vs. 90 %), Rate an sCR (stringent complete remission: 29 % vs. 20 %), MRD-Negativität (64 % vs. 44 %) sowie PFS (93 % vs. 85 % zum Zeitpunkt 18 Monate) signifikant überlegen (Abb. 1). Allerdings waren die Ansprechraten bei Patienten mit Hochrisiko (HR)-Zytogenetik und jenen mit ISS III in beiden Behandlungsgruppen vergleichbar. Durch die Kombination mit Daratumumab kam es aber zu einer geringeren Ausbeute an CD34+-Stammzellen (Median: 6,0 vs. 8,9 x 106/kg) und dementsprechend zu einem häufigeren Einsatz von Plerixafor. Das Nebenwirkungs­profil war bis auf die Daratumumab-bedingten Infusionsreaktionen in beiden Gruppen vergleichbar. Mit diesen Ergebnissen wird auch bei TE (transplant-eligible)-Patienten eine neue Therapieära mit Einbindung eines monoklonalen Antikörpers in die Erstlinienbehandlung eröffnet.

 

 

GRIFFIN: In Zusammenhang mit den CASSIOPEIA-Daten sind die ersten Ergebnisse der Run-in-Phase einer randomisierten Phase-II-Studie mit VRd mit und ohne Daratumumab, die bereits beim ASCO-Meeting präsentiert wurden, bemerkenswert, da mit Dara-VRd bei allen 16 Patienten eine VGPR oder besser zu verzeichnen war. Eine CR oder sCR wurde bei 63 %, ein MRDneg-Status bei 50 % beobachtet. Infektionen wurden bei 75 % der Patienten beobachtet. Nach einem medianen Follow-up von 15,6 Monaten sind 94 % der Patienten ohne Progression (Abb. 2).

 

 

FORTE: Francesca Gay hat einen Teilaspekt der FORTE-Studie vorgestellt und den Vergleich der Ansprech- und Rezidiv-Raten bei TE-Patienten, die entweder eine prolongierte Induktionstherapie mit 12 Zyklen KRd oder eine ASCT mit jeweils 4 Zyklen KRd als Induktions- und Konsolidierungstherapie erhalten haben, präsentiert. Beide Patientengruppen wurden anschließend in eine Gruppe mit Carfilzomib-Revlimid bzw. mit Revlimid-Erhaltungstherapie randomisiert. Beide Therapiearme führten zu vergleichbar hohen Ansprechraten: ≥ VGPR und MRDneg (89 % vs. 87 % bzw. 58 % vs. 54 %). Interessanterweise wurde bei Patienten mit R-ISS II und R-ISS III eine signifikant höhere Rezidivrate (23 % vs. 12 %) als in der Gruppe ohne ASCT beobachtet. Dies bestätigt frühere Ergebnisse, die bei zytogenetisch-definierten Hochrisiko-Patienten einen Vorteil einer ASCT aufzeigen.

Die NORDIC MM Gruppe berichtete ihre Ergebnisse bei 168 Patienten mit Rezidiv nach erster autologer ASCT. Die Patienten wurden einer Behandlung mit 4 Zyklen KCd gefolgt von einer neuerlichen ASCT und anschließender Randomisierung in eine Erhaltungstherapiegruppe mit KCd (27–56 mg Q2W) bzw. Beobachtung unterzogen. Mit Erhaltungstherapie konnte ein etwa 6 Monate längeres PFS (25,1 vs. 18,9 Monate; HR = 0,5; p = 0,006) erreicht werden.

Patienten, die für eine Transplantation (NTE) nicht geeignet sind

MAIA: Die überlegenen PFS-Daten, die mit Rd in Kombination mit Daratumumab im Vergleich zu Rd alleine bei NTE (non-transplant-eligible)-Patienten erzielt wurden, sind bereits im Dezember beim ASH in der „Late Breaking Abstract“-Sitzung vorgestellt worden. Beim EHA wurde nun eine Subgruppen-Analyse bei Patienten < 75 und jenen ­≥ 75 Jahren präsentiert. Ältere Patienten erreichten vergleichbare Ansprechraten wie jüngere Patienten, wobei in allen Responsekategorien ein Vorteil für die Daratumumab-Kombination zu beobachten war. Ähnliche Ergebnisse fanden sich bezüglich PFS. Die Kombination mit Daratumumab führte in beiden Altersgruppen zu einer beachtlichen Verlängerung des PFS, wobei der Median noch nicht erreicht wurde, während in der Kontrollgruppe das mediane PFS bei jüngeren Patienten 33,7 Monate (HR = 0,50) und bei älteren 31,9 Monate (HR = 0,63) betrug (Abb. 3).
Interessanterweise wurden in der Dara-Rd-Gruppe weniger Behandlungsab­brüche als in der Rd-Gruppe beobachtet, wenn auch erwartungsgemäß bei den älteren Patienten in beiden Gruppen mehr Therapieabbrüche zu verzeichnen waren.

 

 

Neue Therapieansätze für Patienten mit relapsiertem/refraktärem Myelom (RRMM)

IKARIA: Paul Richardson hat die Ergebnisse der IKARIA-Studie vorgestellt. In dieser Phase-III-Studie wurde Pomalidomid-Dexamethason (Pd) mit und ohne Isatuximab bei Patienten mit RRMM, die zumindest 2 Vortherapien, welche Lenalidomid (93 % refraktär) und einen Proteasom-Inhibitor erhalten haben, und zusätzlich auf die letzte Therapie refraktär waren, verglichen. Isatuximab ist ein monoklonaler Antikörper mit Spezifität gegen ein anderes Epitop auf CD38 als Daratumumab und mit ausgeprägter direkter apoptotischer Wirkung. Mit der Tripelkombination konnte fast eine Verdoppelung der Ansprechrate von 60,4 % vs. 35,3 % und eine Verlängerung des PFS von 11,5 Monaten vs. 6,5 Monaten erzielt werden (Abb. 4). Die IPd-Kombination führte bei verschiedenen Risikogruppen, wie Patienten mit HR-Zytogenetik, Lenalidomid-refraktären und mit mehreren Behandlungslinien vorbehandelten Patienten, zu vergleichbaren Verbesserungen (Abb. 4). Allerdings wurden in der IPd-Gruppe etwas mehr Grad-3/4-Nebenwirkungen (86,8 % vs. 70,5 %) beobachtet. Isatuximab-bedingte Infusionsreaktionen wurden bei etwas mehr als einem Drittel der Patienten (38,2 %; 2,6 % Grad 3–4) verzeichnet. Vorteilhaft ist auch die relativ kurze Infusionsdauer von 3 Stunden.

 

 

BELLINI: Venetoclax ist ein potenter Inhibitor von Bcl2, ein anti-apoptotisches Protein, das nicht nur bei der CLL und bestimmten B-Zell-Lymphomen stark exprimiert ist, sondern auch bei Pati­enten mit einem t(11;14) Myelom. Venetoclax führt in Kombination mit Dexamethason (Hemmung von Bcl-x) und Proteasom-Inhibitoren (Hemmung von Mcl-1) zur Inhibition des Bcl2-Protein-Komplexes und befördert dadurch die Apoptose. In der BELLINI-Studie (Paul Richardson et al., ASCO 2019, Abstract 8004) wurden Patienten mit 1–3 Vor­therapien 2:1 in eine Gruppe mit Venetoclax-Bortezomib-Dexamethason (Vd) bzgl. Vd randomisiert. Mit der Kombinationstherapie konnten eine signifikant höhere Ansprechrate (82 % vs. 68 %) sowie eine höhere Rate an MRDneg (10-5) Befunden erzielt werden (13 % vs. 1 %). Besonder
s hervorzuheben sind die hervorragenden Ergebnisse beim Patientenkollektiv mit t(11;14). Hier ­lagen die entsprechenden Vergleichswerte bei 90 % vs. 47 % bzw. bei 25 % vs. 0 % (Abb. 5). Mit der Tripelkombination wurden auch eine Verdoppelung des PFS (Median 22,4 Monate vs. 11,5 Monate) sowie eine Verlängerung des OS (Median in beiden Armen noch nicht erreicht; HR = 2,027; p < 0,034) erzielt. Allerdings fand sich auch eine erhöhte Mortalitätsrate (21 % vs. 11 %), weswegen von der FDA ein temporärer Stopp der Studie und eine genaue Untersuchung der Ursachen veranlasst wurden. Mittlerweile wird die Studie wieder fortgesetzt.

 

 

IBERDOMIDE MM-001: Diese Substanz gehört zur Klasse der CELMoDs, welche Cereblon weitaus stärker binden und zu einer höheren Degradation von Ikaros und Aiolos führen, was zu beträchtlicher Aktivität selbst bei Lenalidomid- und Pomalidomid-resistenten Ziellinien führt. In Kombination mit Dexamethason konnte in einer Phase-I/II-Studie bei IMiD- bzw. Daratumumab-Pomalidomid-refraktären Patienten eine Ansprechrate von 35,5 % bzw. 29,8 % erzielt werden.

AMG 420: Beim letzten ASH wurden bereits bemerkenswerte Resultate mit diesem T-cell-engager (BiTE), welcher CD3 auf T-Zellen und BCMA auf Myelom-Zellen bindet, berichtet. Nun wurden von Martin Topp die Ergebnisse ­einer größeren Patientengruppe, die mit einer Tagesdosis von 420 mg/kg behandelt wurde, vorgestellt. 13 der 42 Patienten zeigten ein Therapieansprechen, wovon 6 einen MRD-negativen Status erreichten. Als derzeitige Limitationen sind die Notwendigkeit, den BiTE-Antikörper über eine kontinuierliche Infusion zu verabreichen, sowie eine erhöhte Infektionsrate zu nennen.

HORIZON: Melflufen ist ein neues „Peptide-conjugated“ Alkylans auf Basis von Melphalan, welches über eine über­legene Penetrationsfähigkeit in Myelomzellen verfügt, wodurch es zu höheren intrazellulären Konzentrationen und verstärkter Wirksamkeit kommt. Melflufen-Dexamethason führte bei umfangreich vorbehandelten Patienten (> 2 Vortherapien, IMiD und PI exponiert, Pomalidomid oder Daratumumab refraktär) zu einer Ansprechrate von 30 %, einem PFS von 4 Monaten und einem OS von 10 Monaten. Die häufigsten Grad-3/4-Nebenwirkungen betrafen Neutropenie, Thrombopenie und Anämie: Grad-3/4-Infektionen waren selten (Pneumonierate: 3 %).

SPANNENDE PIPELINE: Aus Platzgründen kann leider nur kursorisch auf weitere erfolgversprechende Medikamente bzw. Strategien eingegangen werden. Selinexor ist ein Inhibitor von XP01, einem nuklearen Transportsystem, welcher als Monotherapie (mit Dexamethason) in Kombination mit Vd oder Daratumumab evaluiert wird. Mittlerweile sind mehr als 50 verschiedene CAR-T-Zell-Therapieansätze in klinischer Erprobung (die Hälfte davon in China). Die hohen damit erzielbaren Ansprechraten inklusive MRDneg-Status werden durch das relativ kurze PFS ein wenig getrübt. Zusätzlich sollen hier noch Antikörper-­Toxin-Konjugate erwähnt werden, wobei mit dem GSK2857916, einem Antikörper gegen BCMA, Ansprechraten von ­60 % erzielt wurden.