Studien-Highlights vom EHA 2022

Abermals wurde auch beim diesjährigen, in Wien hybrid durchgeführten 30. EHA-Kongress eine Vielzahl (n = 332) an Abstracts zum multiplen Myelom (MM) vorgestellt. Highlights stellten sowohl Ergebnisse von Studien zum neu diagnostizierten als auch zum relapsierten/refraktären MM (RRMM) dar.

Neu diagnostiziertes multiples Myelom

Stellenwert der frühen autologen Stammzelltransplantation gefolgt von einer prolongierten Lenalidomid-Erhaltungstherapie

DETERMINATION-Studie

Finale Ergebnisse der US-amerikanischen, 1 : 1 randomisierten Phase-­III-DETERMINATION-Studie (Delayed vs. Early Transplant with Revlimid Maintenance and Antimyeloma Triple Therapy) (n = 729), die auch in der Plenarsitzung am ASCO 2022 präsentiert wurden und nun in Vollpublikation im NEJM vorliegen, wurden im Rahmen des Kongresses der EHA in der „Late-breaking Abstract“-Sitzung vorgestellt.
Ergebnis: Nach einem medianen Beobachtungszeitraum von 76 Monaten konnte ein signifikant verlängertes medianes und gesteigertes progressionsfreies Überleben (PFS) nach 5 Jahren von bisher einzigartigen 67,5 vs. 46,2 Monaten bzw. von 55, 6 % vs. 41,5 % im Transplant-Arm A (3xRVd > HD-ChT/ASCT > 2xRVd > Lenalidomid-­Erhaltungstherapie bis zum Progress) vs. Kontroll-Arm B (8 x RVd > Lenalidomid-Erhaltungstherapie bis zum Progress) gezeigt werden. Im Vergleich dazu betrug das PFS in der IFM-2009-Partnerstudie, in der die Lenalidomid-Erhaltung nur 1 Jahr andauerte, 47,3 vs. 35 Monate. Die 5-Jahres- Ansprechdauer (DOR) war mit einer Komplettremissionsrate (CR) von 60,6 % in Arm A vs. 52,9 % in Arm B der DETERMINATION-Studie ebenfalls signifikant verlängert. Weiterhin war eine klare Tendenz einer höheren MRD-Negativität zu Beginn der Erhaltungstherapie zu Gunsten von Arm A vs. Arm B (54,4 % vs. 39,8 %) erkennbar. Die objektive Ansprechrate (ORR) (97,5 % vs. 95 %) sowie auch > CR (46,9 vs. 42 %), > PR (Partial Response) und > VGPR (Very good partial Response) gemäß IMWG-­Kriterien waren in beiden Armen gleich. Hervorzuheben ist bei dieser Studie insbesondere auch der adäquate 19%ige Einschluss der sonst stark unterrepräsentierten Population von Afroamerikaner:innen.

Fazit: Frühere Studiendaten haben bereits eine hohe Effizienz (hohe ORR- und MRD-Negativitätsraten) von Triplet-Induktionstherapien (insbesondere RVd) bei neu diagnostizierten transplantfähigen (NDTE) MM-Patient:innen gezeigt, die durch eine anschließende (zeitlich begrenzte) Lenalidomid-Erhaltungstherapie weiter verbessert werden konnte. Auch die Überlegenheit einer autologen-Stammzelltransplantation-(ASZT-)hältigen Induktionstherapie wurde bereits durch die IFM2009- und die EMN02/HO95-Studie belegt. Inwieweit eine frühe Therapie mit Hochdosis-Melphalan [HD-Mel]/ASZT die Effizienz der VRd-Induktionstherapie gefolgt von einer zeitlich nichtbegrenzten Lenalidomid-Erhaltungstherapie Resultate dieser Studien weiter verbessert und die HD-Mel/ASZT auch auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden kann, war bisher nicht völlig geklärt. In Bestätigung der IFM2009-, aber auch der EMN02-Studie untermauert die DETERMINATION-Studie einen klaren Vorteil der frühen HD-Mel/ASZT-Therapie, auch im Kontext einer hochwirksamen Triplet-Induktionstherapie. Darüber hinaus konnte ein klarer Vorteil einer verlängerten Lenalidomid-­Erhaltungstherapie bis zum Progress nachgewiesen werden. Derzeit wird die Lenalidomid-Erhaltungstherapie in den meisten euro­päischen Zentren auf maximal 2 bis 3 Jahre begrenzt. Die Frage nach der Praktikabilität einer breit angewandten Lenalidomid-Erhaltungs­therapie bis zum Krankheitsprogress bleibt offen. Auch ist eine längere Beobachtungsdauer notwendig, um die signifikante PFS-Verlängerung in eine Verbesserung des Gesamtüberlebens übersetzen zu können (aktuell Arm A 81 % vs. Arm B 79 %). Laufende und geplante Studien untersuchen den Stellenwert einer MRD-gesteuerten Verwendung neuer Substanzen +/– ASZT (z. B. MIDAS, DETERMINATION 2), insbesondere von Quadruplet- Strategien (GRIFFIN, MASTER, MANHATTAN, GMMG-HD7, GMMG-­CONCEPT) sowie auch von CAR-T-Zellen, bispezifischen Antikörpern (bsAK), Antikörper-Wirkstoff-Konjugaten (ADCs) und Cereblon E3 Ligase Modulating Drugs (CeLMODs).

 

Referenzen: Richardson et al., EHA Library 2022; LB2366, Richardson et al., NEJM 2022; 387:132–47

Quadruplet-Therapien für Hochrisikopatient:innen

IFM 2018-04

Der Paradigmenwechsel von der Triplet- zur Quadruplet-Induktionstherapie bei transplantfähigen MM-Patient:innen ist unaufhaltsam. Die Wirksamkeit von Quadruplet-Induktionstherapien bei Hochrisiko-­(HR-)Patient:innen stellt ein besonders brisantes Thema der aktiven Myelomforschung dar. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang erste, beim EHA 2022 gezeigte Daten der Phase-II-Studie IFM 2018-04 (6 x Dara-Kd > ASCT > 4 x Dara-KRd > ASCT > DaraR-­Erhaltung).
Ergebnis: Diese zeigen bei guter Toleranz ein ausgezeichnetes Ansprechen von Dara-KRd bei neu diagnostizierten Hochrisiko-MM-Patient:innen (t[4;14], 17p del und t [14;16]) nach 18 Monaten (ORR 96 %, > VGPR 91 % > CR 31 %; PFS 92 %, OS 96 %; MRD-Negativitätsrate [Cut-off 10–5] 62 %). Um eine erfolgreiche Stammzellsammlung sicherzustellen, sollte diese allerdings stets nach 3–4 Zyklen durchgeführt werden.

Fazit: Diese Ergebnisse korrelieren, trotz leicht unterschiedlichen Studiendesigns, gut mit den Ergebnissen der GMMG-CONCEPT-­Studie (Isa-KRd bei Hochrisiko-Patient:innen). Eine längere Beobachtungsperiode ist notwendig, um die Wirksamkeit der IFM-2018-04-Studien-Behandlungsstrategie (Induktion, doppelte Transplantation, Konsolidierung und Erhaltung) bei Hochrisiko-­Myelom-Patient:innen zu bestätigen.

Referenz: Touzeau et al., EHA Library 2022; S176

MRD-geleitete KRd-Erhaltungstherapie

ATLAS-Studie

Frühere Studien wiesen bereits auf Vorteile einerseits einer KRd-Konsolidierung nach ASZT, andererseits einer KR-Erhaltung in der Post­induktionsphase (mit oder ohne ASZT) hin. Der mögliche Stellenwert einer Erhaltungstherapie mit Carfilzomib, Lenalidomid und Dexamethason (KRd) nach ASZT war bisher unbekannt. Die randomisierte Phase-III-Studie ATLAS untersucht aktuell erstmals den Stellenwert einer MRD-gesteuerten, risikoadaptierten KRd- vs. Lenalidomid-Erhaltungstherapie nach Stammzelltransplantation.

Ergebnis: Nach Erreichen einer MRD-Negativität wurden Standard­risikopatient:innen konventionell mit Lenalidomid weiterbehandelt. Nach einer medianen Beobachtungsdauer von 33,8 Monaten konnte gezeigt werden, dass eine bis zu drei Jahren anhaltende, intensivierte KRd-Erhaltungstherapie bei Nichterreichen einer MRD-Negativität bei Standardrisikopatient:innen eine beeindruckende Verbesserung des PFS von knapp 18 Monate erzielt.

Fazit: Weitere Daten, insbesondere zur Toxizität dieser Behandlungsstrategie, werden Voraussetzung dafür sein, dass die KRd-Erhaltungstherapie in die breite Anwendung kommen kann. Derzeit scheint aus Sicht des Autors die Strategie einer KR-Erhaltungstherapie entsprechend der FORTE-Studie wahrscheinlich leichter umsetzbar.

Referenz: Dytfeld et al., EHA Library 2022; S175

Sind KTd- und KRd-Induktionstherapien gleichwertig? Und bringt eine Carfilzomib- Erhaltungstherapie im Vergleich zur Observanz einen zusätzlichen Nutzen bei nichttransplantfähigen älteren MM-Patient:innen?

AGMT-MM02

Die finale Analyse der Phase-II-AGMT-MM02-Studie zeigte keinen signifikanten Unterschied der Ansprechraten (ORR, PFS) und des OS nach 9 Zyklen KTd (Carfilzomib + Thalidomid + Dexamethason) vs. KRd bei nichttransplantfähigen (NTE) älteren (median 75 Jahre) MM-Patient:innen. Auch die Carfilzomib-Erhaltungstherapie für 1 Jahr vs. Observanz zeigte keinen statistisch signifikanten Unterschied. Diese Ergebnisse bestätigten sich für alle Subgruppen von NTE-­MM-Patient:innen > 65 Jahre.

Fazit: Die wöchentliche Gabe von Carfilzomib ist bei älteren Patient:innen gut praktikabel. Bei gleicher Effektivität von KTd und KRd sind zwar beide Optionen möglich, aufgrund des günstigeren Toxizitätsprofils von KRd würde man jedoch dort, wo Lenalidomid (insbesondere in Anbetracht von Kostengründen) leicht einsetzbar ist, dieser Kombination den Vorzug geben. Die Carfilzomib-Erhaltungstherapie scheint – zumindest in dieser Patientengruppe – von untergeordneter Bedeutung zu sein.

Referenz: Ludwig et al., EHA Library 2022; S179

Relapsiertes/refraktäres multiples Myelom (RRMM)

Der Großteil der beim EHA 2022 vorgestellten Beiträge zum MM konnte dem RRMM zugeordnet werden. Es dominierten Beiträge zur Immuntherapie. Zusammenfassend wurden Ergebnisse zu antikörper- und CAR-T-Zell-basierten bzw. anti-BCMA- und nicht-anti-BCMA-­gerichteten Therapiestrategien präsentiert.

Wie effizient sind bsAK-enthaltende Kombinationstherapien?

Bispezifische Antikörper (bsAK)

Neben aktualisierten Ergebnissen zur Monotherapie des BCMA × CD3 bsAKs Teclistamab (MajesTEC-1-Studie) und des GPCR5D × CD3 bsAKs Talquetamab (MonumenTAL-1-Studie) sowie initialen Daten zum BCMA x CD3 bsAK Elranatamab (MagnetisMM-3-Studie) und REGN5458 für RRMM-Patient:innen standen insbesondere Updates der multizentrischen Phase-Ib-Studie TRIMM-2, welche die Kombination von Teclistamab/Talquetamab mit dem CD38-AK Daratumumab untersucht, im Mittelpunkt des Interesses.

TRIMM-2: Nach einer medianen Beobachtungszeit von 8,6 Monaten konnte mit Teclistamab/Daratumumab eine ORR von 76,5 % (> VGPR 70,6 %) bei vielfach vorbehandelten RRMM-Patient:innen erzielt werden. Ähnlich gute Resultate konnten mit Talquetamab/Daratumumab nach einer Beobachtungsdauer von 5,1 Monaten erzielt werden (ORR 80,4 %, > VGPR 62,7 %; > CR 29,4 %). Die Ansprechdauer beider Kombinationen war anhaltend, nahm über die Zeit an Tiefe zu und war sowohl bei CD38- exponierten als auch -refraktären Patient:innen nachweisbar. Weitere Studien untersuchen aktuell die Anti-MM-Aktivität der Kombination von Teclistamab mit Talquetamab oder mit PD-1-Inhibitoren, IMiDs und Proteasominhibitoren.

Fazit: bsAK-Monotherapien sind hocheffektiv, auch für Patient:innen, die mit Anti-BCMA-Therapeutika (CAR-T-Zellen, Belantamab-­Mafodotin) vorbehandelt worden waren. Bei guter Toleranz übertreffen bsAK-enthaltende Kombinationstherapien die Effizienz von bsAK-Monotherapien bei vielfach vortherapierten MM-Patient:innen noch deutlich. Erwähnenswert ist weiters, dass bsAK/Daratumumab-Schemata steroidfrei sind.

Referenzen: Touzeau et al., EHA Library 2022; S184, Minnema et al., EHA Library 2022; S182, Lesokhin et al., EHA Library 2022; P949, Jagannath et al., EHA Library 2022; S189, Rodriguez-Otero et al., EHA Library 2022; S188, van de Donk et al., EHA Library 2022; S183

Sind CAR-T-Zellen auch in früheren Therapielinien effizient?

CAR-T-Zellen

Basierend auf den eindrucksvollen Daten der Phase-II-Studie KarMMa- und der Phase-Ib/II- CARTITUDE-1 sind sowohl Idecabtagen-­Vic­leucel (Ide-cel) als auch Ciltacabtagene Autoleucel (Cilta-cel) für vielfach vortherapierte Patient:innen zugelassen bzw. bedingt zugelassen.
CARTITUDE-2: Beim EHA 2022 präsentierte Daten zur Kohorte B der CARTITUDE-2-Studie, welche die Anti-MM-Aktivität von Cilta-­cel bei Patient:innen im frühen Rezidiv (Progression innerhalb von 12 Monaten nach einer ASZT oder nach einer ASZT-freien Therapie) untersucht, zeigten nach einer Beobachtungsdauer von 13,4 Monaten eine ORR von 100 % (> CR 90 %; > VGPR 95 %) und eine 12-Monats-PFS-Rate von 89,5 %.

Fazit: Die CARTITUDE-2-Studie weist auf ein hervorragendes Ansprechen von Patient:innen auf CAR-T-Zellen in früheren Therapielinien hin. Weitere Ergebnisse zum Einsatz von CAR-T-Zellen beim MM in allen Therapielinien und in Kombination bzw. sequenziell mit anderen Therapeutika werden mit Spannung erwartet. Es ist davon auszugehen, dass CAR-T-Zellen in absehbarer Zeit einen essenziellen Bestandteil einer effektiven MM-Therapie darstellen werden. Deren sehr eingeschränkte aktuelle Verfügbarkeit in Europa stellt allerdings eine leidige Hürde dar. Basierend auf der hohen Effizienz bei vielfach vorbehandelten MM-Patient:innen, dem rasanten Eintritt der Wirksamkeit, der langen Ansprechdauer, insbesondere aber der einfachen Off-the-Shelf-Verfügbarkeit ist im Gegensatz zu CAR-T-Zellen, deren Einsatz auf wenige Zentren beschränkt sein wird, die breite Anwendung von bsAK in allen MM-Therapielinien nicht aufzuhalten.

Referenz: Agha et al., EHA Library 2022; S185

Wie kann die CAR-T-Zell-Therapie weiter verbessert werden?

Humanisiertes BCMA-CAR-T-Zell-Produkt ARI0002h

Mit verschiedenen Ansätzen wird versucht, die CAR-T-Zell-Therapie weiter zu verbessern. Der Zeitfaktor der CAR-T-Zell-Herstellung ist hierbei der wesentliche limitierende Faktor. Besonders bemerkenswert sind in diesem Zusammenhang die erstmals in der „Presidential“-­Sitzung am EHA 2022 vorgestellten Daten zu ARI0002h, einem in einem akademischen Zentrum hergestellten, vollhumanisierten BCMA-­CAR-T-Zell-Produkt. Nach einem Beobachtungszeitraum von 17,5 Monaten konnte mit ARI0002h eine eindrucksvolle ORR-Rate von 100 % (CR 63 %) und ein PFS von 53 % bei vielfach (median 4-fach) vortherapierten MM-Patient:innen erzielt werden. Das OS nach 18 Monaten betrug 73 %. Erwähnenswert ist auch, dass zwar Grad-1- und -2-CRS bei 90 % auftraten, es aber keinen Fall von Neurotoxizität gab.

Fazit: Anhand von ARI0002h wurde die prinzipielle Umsetzbarkeit einer hausinternen, median ca. 11 Tage dauernden CAR-T-Zell-Produktion, die auch eine zweite/Booster-Infusion erlaubt, demonstriert. Weitere Ansätze zur Optimierung von CAR-T-Zellen, die beim EHA 2022 präsentiert wurden, sind die Verwendung des neuartigen, vollhumanisierten dualen BCMA/CD19-FAST-CAR-T-Zell-Produkts GCO12F, CT103A-CAR-T-Zellen (Phase-I/IIb-Studie FUMANBA-1) und GPRC5D-CAR-T-Zellen (ORICAR-017) in der Phase-I-Studie POLARIS.

Referenzen: Fernandez de Larrea et al., EHA Library 2022; S103, Du et al., EHA Library 202; S186, Li et al., EHA Library 2022; S187, Zhang et al., EHA Library 2022; S263